Pfingsten inspiriert
Das Hochfest ist eine Herausforderung für die Kunst: Wie lässt sich der heilige Geist darstellen, der unsichtbar ist? Zugleich ist das die große Chance für Künstler, die in der Abstraktion dem Wesen der Dinge auf die Schliche kommen.
DÜSSELDORF Diese Aufgabe scheint für Künstler schlichtweg unlösbar zu sein. Denn wie soll man etwas darstellen, was gar nicht zu sehen ist? Welche Gestalt gehört dem Gestaltlosen? Von den drei christlichen Hochfesten ist Pfingsten auch für die Kunst das anspruchsvollste. Bei aller Zeichenhaftigkeit der geschilderten Ereignisse bedarf es nicht allzu viel Phantasie, sich Weihnachten und Ostern vorzustellen. Die Krippe mit Maria und Josef sowie der Gekreuzigte und Auferstandene machen das Evangelium sichtbar und die Geschehnisse greifbar. Doch Pfingsten mit dem heftigen Brausen vom Himmel und schließlich dem heiligen Geist, der sich in Flammenzungen auf die Häupter der Jünger niederlässt?
Wir alle kennen die frühen künstlerischen Versuche der Darstellung, und nicht wenige muten heute ungewollt komisch an mit den Flämmchen auf den Köpfen der Entzückten und Beseelten. Gerne wird auch eine Taube als Symbol hinzugenommen, obgleich diese im Pfingstbericht der Apostelgeschichte nicht vorkommt, aber im Taufbericht des Evangeliums nach Lukas.
Die Pfingstereignisse entziehen sich der Gegenständlichkeit – und eröffnen damit große Gestaltungsräume für jene, die vor allem im Abstrakten einen Weg sehen, dem Wesen der Dinge auf die Schliche zu kommen. Auch darum ist Pfingsten ein Fest der modernen Kunst. Damit sind nicht nur Abstand und Negation gemeint, sondern der ehrliche Versuch, im Kunstwerk den Blick auf etwas zu eröffnen, was sich im Innern abspielt. Eines der vielleicht aufregendsten Bilder ist das Aquarell von Anselm Kiefer. Auch er bedient sich der Taube, und von ihr strahlt der berühmte Anfang des Psalmverses herab: „Sende Deinen Geist aus“. Berührt wird davon aber kein Mensch, sondern die Palette des Malers.
Ist der Künstler somit der Erleuchtete? Man darf das nicht als Gotteslästerung verstehen, vielmehr gehört es zum Selbstverständnis des 1945 in Donaueschingen geborenen Kiefers: Durch die Inspiration von oben und vermittelt durch Werk und Künstler, kann unser Leben auf der Erde harmonisch, friedvoll werden. „Dem Künstler kommt dabei die Aufgabe zu, Himmel und Erde miteinander zu verbinden“, schreibt der Theologe und Kunsthistoriker Kurt-Peter Gertz in seinem neuen Buch „Pfingsten in der modernen Kunst“.
Spannend ist auch die Auftelung des Aquarells: Die Palette steht zwischen dem Himmlischen und dem Irdischen, und ein nahezu unleserlicher Schriftzug teilt das Bild horizontal. Es gibt eine Ordnung auf diesem Bild und in dieser Welt, es gibt Vermittler zwischen oben und unten, und es gibt eine Botschaft, die nur ansatzweise zu entziffern ist und die wir Menschen vielleicht vervollständigen müssen. Nichts ist entschieden, aber die Hoffnung ist sichtbar.
Pfingsten inspiriert, und hat von den Künstlern unserer Zeit unter etlichen anderen James Ensor, Gabriele Münter und HAP Grieshaber tätig werden lassen, Salvador Dalì, Arnulf Rainer und Bert Gerresheim.
Natürlich Gerresheim – möchte man fast sagen, schließt hat der 1935 in Düsseldorf geborene und bis heute in der Landeshauptstadt tätige Künstler christliche Themen zur Grundlage seines Schaffens gemacht. Und dann betrachtet man seine Bleistiftzeichnung von 1978 und kommt es aus dem Staunen kaum raus. Gerresheim zeichnet einen „Pfingst-Narrentag“, und das ist ganz und gar konkret zu verstehen. In trauter Runde erwarten den heiligen Geist Charlie Chaplin und Buster Keaton, Charlie Rivel und Giuletta Masina, aber auch der heilige Franziskus sowie der im Mittelalter als Ketzer verbrannte Mönch Savonarola. Was für eine Gesellschaft! Und was hat die mit Erleuchtung zu schaffen? Kunst stellt Fragen, aber sie gibt keine Antworten. Die sind dann anderswo zu finden – zum Beispiel in der Heiligen Schrift. Darin ist vom Apostel Paulus und seinen Worten zu lesen: „Wir sind töricht um Christi willen.“Der Narr ist nicht unzurechnungsfähig, sondern jemand, der mit anderem Verstand und anderen Augen auf die Welt schaut.