Als der Wagen nicht kam
Puritanischer Bewährungsaufgabe verdankte er auch wohl seinen Fleiß und die Tüchtigkeit für alle irdischen Aufgaben, mit der er als vorbildlicher Landwirt das vom Vater verschuldet überkommene Gut Kreisau mustergültig wieder hochwirtschaftete und mit der er zu einem hochangesehen Berliner Anwalt unter Spezialisierung auf Völkerrecht und internationales Privatrecht wurde.
Die ganze Persönlichkeit Moltkes wurde getragen vom christlichen Glauben. Es waren hierbei neben dem landeskirchlichen Urgrund Elemente des Pietismus und der „christian-science“mitbestimmend, die für mich als Katholiken schwer ergründbar sind. Das Familienleben war streng christlich. Tischgebet und sonntäglicher Kirchenbesuch bildeten eine Selbstverständlichkeit, obschon der zu Fuß absolvierte Kirchweg in Kreisau ziemlich weit
war. Die Familie Moltke wohnte in Kreisau aus Sparsamkeit und des guten Beispiels halber nicht in dem Schloss, sondern in einem zehn Minuten abseits vom Gutshof auf einer Anhöhe liegenden kleineren Landhaus aus dem 19. Jahrhundert, das Platz für die aus der Gräfin und zwei kleinen Söhnen bestehende Familie und einige Gästezimmer bot. Die gepflegte Schlichtheit des Haushalts entsprach Moltkes sozialem Denken und war besonders bemerkenswert, weil die Gräfin Freya Moltke aus der Kölner Bankiersfamilie Deichmann stammte, also aus reicher Lebenshaltung. Es war eine vorbildliche christliche Ehe, auf gleichen Ansichten und Überzeugungen beruhend. Die Gräfin war nicht nur eine bewundernswerte Hausfrau, sondern ebenso eine tätige Helferin und geistige Mitarbeiterin bei allen Bestrebungen Moltkes. Als Student schon hatte Moltke sich intensiv mit gesellschaftspolitischen und sozialen Fragen befasst und praktische Mitarbeit in den damals aufkommenden Schulungslagern geleistet, was bestimmend für seine gesamte Lebenshaltung geworden ist.
Ich hatte den um fünfzehn Jahre jüngeren Moltke bereits in meiner Kattowitzer Tätigkeit als jungen Studenten kennengelernt. Damals war er durch Vermittlung meines Amtsvorgängers, des späteren Warschauer und Madrider Botschafters Hans Adolf von Moltke, mehrmals bei mir, um Material zu sammeln für eine Arbeit über das Minderheitenrecht. Seitdem bestand keine Verbindung zwischen uns, und ich traf ihn erst wieder, als ich 1940 zum OKW/Wehrmachtführungsstab eingezogen wurde, wo Moltke bei der Abteilung OKW/Ausland-Abwehr unter Canaris als völkerrechtlicher Experte tätig war. Wir gerieten auf Grund der früheren schlesischen und der neuen dienstlichen Beziehungen allmählich in näheren Zusammenhang, der sich dann zu der gemeinsamen Arbeit im Widerstand gegen Hitler ausweitete. Diese Arbeit, für die er nach seinen Qualitäten vorausbestimmt war, hat Moltke in Gang gebracht und mit leidenschaftlicher Energie einen Kreis Gleichgesinnter um sich gesammelt.
Er tat dies gemeinsam mit dem ihm gleichaltrigen Graf Peter Yorck von Wartenburg, den er vorher trotz verwandtschaftlicher Beziehungen und der gleichen schlesischen und gesellschaftlichen Herkunft nicht gekannt hatte. Sie fanden sich erst in Berlin als Gleichgesinnte gleicher Art zu einer schönen Freundschaft und zu gemeinsamen hohen Zielen. Es ist bemerkenswert für die geistige und patriotische Zeugungskraft Schlesiens, dass die gesamten Kreisauer Bestrebungen also in Schlesien wurzeln.