Rheinische Post Erkelenz

IS-Kämpfer sollen Deutsche bleiben

- VON ALEV DOGAN

Deutsche IS-Kämpfer, die eine zweite Staatsange­hörigkeit besitzen, sollen nach dem Willen der Bundesregi­erung künftig ihren deutschen Pass verlieren. Dies sieht ein Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung zur Änderung des Staatsange­hörigkeits­gesetzes vor.

Der Verlust der Staatsange­hörigkeit ist nichts gänzlich Neues, auch nicht im Deutschlan­d der Nachkriegs­zeit. Artikel 16 des Grundgeset­zes legt zwar fest: „Die deutsche Staatsange­hörigkeit darf nicht entzogen werden.“Doch heißt es weiter: „Der Verlust der Staatsange­hörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffene­n nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.“Bedeutet: Entzug nein, Verlust ja.

Der formale Unterschie­d zwischen „Entzug“und „Verlust“, so erklären es Juristen, macht sich am Kriterium der Beeinfluss­barkeit fest. Eine Person muss demnach beeinfluss­en können, ob ihre Handlungen zum Verlust der Staatsange­hörigkeit führen können. Diese Regelung darf in scharfer Abgrenzung zu den Ausbürgeru­ngen während der NS-Diktatur verstanden werden. Das Dritte Reich machte umfassende­n Gebrauch von der Ausbürgeru­ng, insgesamt wurden bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mehr als 39.000 Personen ausgebürge­rt.

Der Paragraph, durch den heute schon Deutsche ihren Pass verlieren können, steht im Staatsange­hörigkeits­gesetz: „Ein Deutscher, der auf Grund freiwillig­er Verpflicht­ung (…) in die Streitkräf­te (…) eines ausländisc­hen Staates, dessen Staatsange­hörigkeit er besitzt, eintritt, verliert die deutsche Staatsange­hörigkeit.“Bereits jetzt sieht der Rechtsstaa­t also vor, dass ein deutscher Bürger – so er denn eine zweite Nationalit­ät hat – seine deutsche Staatsange­hörigkeit verliert, wenn er sich einer fremden Armee anschließt.

In dieses Gesetz lässt sich die Mitgliedsc­haft im IS nicht subsumiere­n. Aber: Ähnlich wie beim Eintritt in eine fremde Armee, sehen Politiker und Juristen auch beim Anschluss an den IS eine freiwillig­e Abkehr von der Bundesrepu­blik. Eine Kampfhandl­ung für den IS sieht das Bundesinne­nministeri­um als einen „gravierend­en, den Verlust der deutschen Staatsange­hörigkeit nach sich ziehenden Fall der Illoyalitä­t“.

Betroffen von dieser Regelung wären derzeit „schätzungs­weise Fallzahlen im einstellig­en bis niedrigen zweistelli­gen Bereich“, sagt ein Sprecher des Innenminis­teriums. Zwar gilt das Gesetz nicht für die derzeit im ausländisc­hen Gewahrsam befindlich­en IS-Kämpfer, weil die Einbeziehu­ng in der Vergangenh­eit liegender Handlungen laut Bundesverf­assungsger­icht illegitim ist – die Betroffene­n müssen zum Zeitpunkt ihres Handelns wissen oder wenigstens wissen können, dass sie mit einem missbillig­ten Verhalten die Voraussetz­ungen für den Verlust der Staatsange­hörigkeit schaffen. Doch ausgehend davon, dass sich die Zahl der deutschen IS-Kämpfer mit Doppelpass bei Inkrafttre­ten des Gesetzes nicht wesentlich ändert, ist von drei bis 14 Menschen auszugehen, bei denen die neue Regelung Anwendung finden könnte.

Im Vergleich zu dieser Zahl ist das Signal, das von dem Gesetzesen­twurf ausgeht, enorm. Denn de facto schafft er zwei Kategorien von Deutschen: jene, die deutsch sind, und deren Beteiligun­g an Terror dazu führt, dass sie im Sinne des Strafgeset­zbuches zur Rechenscha­ft gezogen werden, und jene, die zwar eigentlich auch deutsch sind, aber denen ihr Deutschsei­n im selben Fall aberkannt wird. Zu Ende gedacht macht das Deutsche mit Migrations­hintergrun­d zu Bürgern zweiter Klasse.

Hinzu kommt: Welchen Effekt soll die Maßnahme haben? Es ist mehr als fraglich, ob die Aussicht, den deutschen Pass zu verlieren, einen Selbstmord­attentäter von seiner Tat abhalten wird.

Wo ein realer Effekt fraglich ist, reduziert sich ein Gesetzesvo­rhaben auf reine Symbolik. Wenn es denn reine Symbolpoli­tik ist, dann muss den Urhebern bewusst sein, dass diese zwar auf Terroriste­n abzielt, aber letztlich vor allem bei zugewander­ten Deutschen ohne terroristi­sche Absichten eine Wirkung erzielen wird: Sorge. Denn mit dieser Gesetzesin­itiative geht auch die Angst vor einem Präzedenzf­all einher. Jeder, der nachträgli­ch eingebürge­rt wurde, wird sich fragen, ob nun Tür und Tor für weitere Schritte in diese Richtung geöffnet wurden. Erst wird IS-Kämpfern mit Doppelpass die Staatsange­hörigkeit weggenomme­n, dann Schwerstkr­iminellen mit Doppelpass, dann Kleinkrimi­nellen. Und was ist eigentlich, wenn der andere Staat, dessen Pass der deutsche Terrorist auch hat, ebenfalls ausbürgern möchte? Kommt es dann zum Wettlauf zwischen den Staaten? Wer zuerst ausbürgert, hat gewonnen?

Ungeachtet der Diskussion­en um Effekt, Symbolik und Sorgen berührt der Gesetzesen­twurf die Verantwort­ung, die ein Rechtsstaa­t für seine Bürger trägt, auch wenn sie nicht mehr dessen Ordnung achten. Deutschlan­d muss sich fragen, welchen Anspruch es hat. Den Anspruch, seine Bürger, die sich in Deutschlan­d radikalisi­eren und dem IS anschließe­n, auch als sein Problem zu sehen? Sie nach den Regeln des eigenen Rechtsstaa­tes zur Rechenscha­ft zu ziehen?

Verantwort­ung, die Deutschlan­d auch deshalb übernehmen könnte, weil es den weitaus leistungsf­ähigeren Rechtsstaa­t hat als beispielsw­eise ein Land wie Afghanista­n. Und von den Herkunftsl­ändern der hier lebenden Gefährder zu erwarten, dass sie ihre Bürger zurücknehm­en, die eigenen Terroriste­n aber einfach auszubürge­rn, entbehrt nicht einer gewissen Fragwürdig­keit. Von einem globalen Gesichtspu­nkt könnte man gar von Verantwort­ungslosigk­eit reden: Denn indem man sich durch Passentzug des Problems entledigt, ist das Problem nicht weg – es ist nur nicht mehr innerhalb der eigenen Grenzen, sondern der eines anderen Staates, etwa Syrien.

Fraglich, ob die Aussicht, den deutschen Pass zu verlieren, einen Selbstmord­attentäter von seiner Tat abhält

Newspapers in German

Newspapers from Germany