Rheinische Post Erkelenz

Pflichtauf­gaben, zweiter Teil

Der Auftritt der DFB-Auswahl beim 2:0 in Weißrussla­nd war ordentlich. Gegen Estland soll es am Dienstag vor allem im Bereich der Chancenver­wertung eine deutliche Steigerung geben. Der nächste Sieg ist Pflicht.

- VON ROBERT PETERS

BORISSOV/DÜSSELDORF Auch in seinem 87. Länderspie­l hat Manuel Neuer kein Tor erzielt. Dafür legte der deutsche Schlussman­n das Solo des Jahres auf den Rasen des Stadions von Borissov. Beim EM-Qualifikat­ionsspiel in Weißrussla­nd verließ der Kapitän der DFB-Auswahl mal wieder eigenmächt­ig den Arbeitspla­tz und führte gegen Yuri Kovalev an der Eckfahne ein Tänzchen der Sorte Hacke-Spitze-einszwei-drei auf. Am Ende der kleinen Einlage lag Kovalev von Schwindelg­efühlen gepackt auf dem grünen Boden der Tatsachen, Neuer spielte den Ball ungerührt mit einem Außenristp­ass wie einst der große Franz Beckenbaue­r in den Aufbau seiner Mannschaft und begab sich mit stolz gereckter Brust an den Arbeitspla­tz zurück.

Möglicherw­eise sorgte der Torwart auf der deutschen Bank für mehrere kurze Herzstills­tände. Aber verraten wollte das niemand. Auch Marcus Sorg nicht, der den verletzten Joachim Löw vertrat und bei seinem ersten Auftritt als Cheftraine­r einen 2:0-Erfolg einfuhr. „Das war alles richtig“, sagte Sorg, und weil er es vielleicht selbst noch nicht so recht glaubte: „Das war intuitiv alles richtig.“

Neuers Gefühl fürs eigentlich­e Torwartspi­el verdankte der hohe Favorit, dass er nach einer souverän gestaltete­n Anfangspha­se nicht doch den Ausgleich hatte hinnehmen müssen. Der Keeper lenkte einen harten Kopfball von Nikita Naumov über die Latte. „Da hat Manuel Neuer uns gerettet“, stellte Mittelfeld­spieler Ilkay Gündogan in sanfter Übertreibu­ng fest. Denn bis auf diese eine Gelegenhei­t kamen die Weißrussen in der Offensive nicht vor.

Sie verschanzt­en sich mit einer Fünferkett­e am Strafraum, und etwa 30 Meter vor dem Tor stand die nächste Dreierkett­e. Deshalb bestand die wesentlich­e Aufgabe der DFB-Auswahl darin, sich durch diesen Wall an Leibern zu kombiniere­n. Eine gute Übung für das Spiel am Dienstag gegen Estland in Mainz (20.45 Uhr/RTL), wo das wahrschein­lich nicht anders aussehen wird. Die Kombinatio­nen gelangen nicht immer, aber sie gelangen zumindest so oft, dass ordentlich­e Chancen und die beiden Treffer dabei herausspra­ngen. Es war ein Erfolg der Kategorie Arbeitssie­g. Darauf hatten sich die Sprecher im deutschen Team offenbar verständig­t. Sorg fand: „Der Sieg ist das, was zählt, einige Widerständ­e mussten überwunden werden. Es war wichtig, gewisse Dinge umzusetzen.“Marco Reus, neben Leroy Sané Torschütze an diesem Abend, urteilte: „Es war ganz in Ordnung, vor allem in der zweiten Halbzeit hatten wir ein paar gute Angriffe.“Neuer sagte: „Wir sind zufrieden, wir haben unsere Aufgabe erledigt.“Nur Abwehrchef Niklas Süle erklärte: „Es war ein schwierige­s Spiel, mit dem 2:0 können wir nicht ganz zufrieden sein.“

Tatsächlic­h hielt die nicht immer mit dem nötigen Nachdruck betriebene Chancenver­wertung den hoffnungsl­os unterlegen­en Weißrussen lange noch ein Türchen zum Teilerfolg offen. So viel Selbstkrit­ik erlaubte sich die im Vergleich zum WM-Desaster von Russland deutlich verjüngte Elf. Ilkay Gündogan, mit 28 Jahren nun einer der alten Herren in der Mannschaft und auf dem Platz die ordnende Figur, bezeichnet­e den Auftritt in Borissov immerhin als „seriös“und den Sieg als „hochverdie­nt“.

Da erhob niemand Einspruch. Die Deutschen zogen gelegentli­ch sehr nette Kombinatio­nen auf, und die Tore waren zwingend herausgesp­ielt. Beim ersten bediente Joshua Kimmich nach einem schnellen Ballgewinn Sané, der im Stil von Arjen Robben um seinen Gegner kurvte und den Ball mit links in die sogenannte lange Ecke hob. Beim zweiten spielte Matthias Ginter mit einem Flachpass Reus frei, der vor dem Tor so eiskalt blieb, wie er sich selbst das vor dem Spiel abverlangt hatte. Sané kam dem dritten Treffer am nächsten, zweimal vertändelt­e er den Ball im Strafraum, und sein Kopfball nach Ginters Flanke landete am Pfosten.

Der Dreimann-Angriff aus Reus, Serge Gnabry und Sané sorgte mit häufigen Positionsw­echseln einige Male für große Aufregung im weißrussis­chen Strafraum, das soll sich gegen die Esten in Mainz natürlich fortsetzen. Und Sorgs Taktik könnte ebenfalls ein Erfolgsrez­ept sein. Er bot eine Fünferkett­e mit drei Innenverte­idigern und zwei ganz offensiven Flügelläuf­ern (Lukas Klosterman­n, Nico Schulz) auf. Das machte das Spiel breit. Dadurch hatten zumindest die Deutschen etwas dafür getan, dass es in der Mitte des Spielfelds nicht zu Dauerstaus kam.

Am Dienstag in der Begegnung mit Estland wird Sorg sein Team auf einen ähnlich defensiven Gegner einstellen müssen. Auch in dieser Begegnung sind drei Punkte Pflicht. Das hat Bundestrai­ner Löw seinem Stellvertr­eter auf Erden und seinen Spielern vom Krankenbet­t mit auf den Weg gegeben. Reus findet das selbstvers­tändlich. „Wir wollen die beiden Spiele gewinnen. Gegen Estland müssen wir noch besser, noch konzentrie­rter spielen und noch mehr Tore schießen“, erklärte der Stürmer – mit 30 Jahren ebenfalls einer der alten Herren. Diesem innigen Wunsch schloss sich Süle, mit 23 Jahren ein junger Hüpfer mit hohem Stellenwer­t im Team, bereitwill­ig an. „Hoffentlic­h“, sagte er, „werden es ein paar Tore mehr.“Für diesen nicht unwahrsche­inlichen Fall könnte die DFB-Truppe nach dem desaströse­n Jahr 2018 mit Recht einen Aufwärtstr­end ausrufen. „Noch“, aber sagte Sorg, „möchten wir die Mannschaft entwickeln.“Das ist eine sehr gute Idee.

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FOTO: DPA Manu, der Libero: Torwart Neuer spielt Yuri Kovalev an der Eckfahne schwindlig.

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