Als der Wagen nicht kam
Auch ich wäre ohne meine Beziehungen zu Schlesien nicht in diese Zusammenhänge geraten, die verstärkt wurden durch meine Freundschaft mit Hans Lukaschek, dem symbolhaften Repräsentanten Oberschlesiens, den Moltke sowohl wie Yorck von Schlesien her kannten. Ich war persönlich in Schlesien mit Yorck nicht bekannt, obschon seine Schwester Davy die Frau des Botschafters Moltke war, mit dem ich in vielfachen Beziehungen stand. Erst in Berlin hatte ich Yorck kennengelernt durch meinen oberschlesischen Freund Robert Brebeck, der als Ministerialdirigent beim Preiskommissar die Personalien bearbeitete und dort in der politisch harmlosen Arbeit nach Möglichkeit Hitlergegner unterschlüpfen ließ, und so auch Yorck aus der Preußischen Verwaltung als Oberregierungsrat übernommen hatte. Brebeck wusste aber nichts von den Widerstandsbestrebungen, ahnte sie aber bei seiner Klugheit. Yorck war anfangs bei der Truppe, soldatischer gesinnt als Moltke, der nur Wehrmachtbeamter war und Uniformen nicht liebte. Nachdem zwei Brüder gefallen waren, wurde Yorck in einen Wirtschaftsstab des Oberkommandos des Heeres nach Berlin versetzt. Yorck war ein Nachkomme des durch die Konvention von Tauroggen geschichtlich gewordenen Feldmarschalls.
Die Familie Yorck war wegen ihrer hohen humanistischen Geistigkeit bekannt, die Peter Yorcks Wesen geformt hatte. Auch er war tief gläubiger Christ, der die lutherische Abendmahlslehre, hoc est enim corpus meum (das ist mein Leib) sehr ernst nahm. Ohne calvinistische Einschläge fühlte er sich fröhlich in
Gottes Hand geborgen. Heiterkeit war der Grundzug seines Wesens. Bei den schwierigsten Dingen lief ein verspieltes Lächeln über die feinen Züge seines Gesichts, und dann kam eine lustige, oft ironisch gefärbte, aber immer treffsichere Bemerkung. Wenn er etwas Neues berichten wollte, so pflegte er als Einleitung mit einem leisen Stich gegen die Geschäftigkeit im Kreis um Gördeler zu sagen: „In Berliner Verschwörerkreisen erzählt man sich heute Folgendes“. Hatte die Gestapo jemanden verhaftet, so kündete er das in Vorahnung des eigenen Geschicks mit dem Satz an: „Trau schau, wem ein Kopf auf den Schultern ist unangenehm „. Ich möchte glauben, dass er noch in der Todesnot unterm Galgen versucht hat, zu lächeln. Ohne seine feste religiöse und sittliche Fundierung hätte er das beste Zeug gehabt für einen geistvoll leichtfertigen Kavalier des 18. Jahrhunderts; so aber war er ein liebenswerter Junge geblieben, der die großen Gaben des Verstandes, des Willens und des Herzens hinter leichten äußeren Formen verborgen hielt. Wenn man sich Moltke gut als Säbelfechter vorstellen konnte, so gehörte zu Yorck ein scharfes, stahlhart biegsames Florett. Für den schwerblütigeren Moltke bot Yorck mit seiner moussierenden Spritzigkeit eine fruchtbare Ergänzung. Yorck war mittelgroß, wirkte aber größer wegen seiner schlanken, fast überzüchteten Feingliedrigkeit. Blaue Augen, blondes Haar und ein fast fleischloses Gesicht machten ihn zum äußerlichen Gegensatz zu Moltke. Innerlich verwuchsen die beiden aber in lebensvoller Spannung bei der Verfolgung des gemeinsamen Ziels auf gemeinsamer Grundlage zu einer fast personhaften Einheit in Denken und Handeln. Sie wurden getrieben von der religiösen Verantwortung als Christen, von Vaterlandsliebe und auch von Herrenverachtung gegenüber den pöbelhaften Machthabern und ihren Untaten, die alles gefährdeten, was preußische Tüchtigkeit durch Generationen aufgebaut hatte. Mit Ehrgeiz, Geschäftigkeit oder Geltungsbedürfnis hatten diese beiden Edelleute nichts zu tun. Sie standen ja auf Grund ihrer geschichtstragenden Namen, nach altüberkommenem Besitz, Einkommen und Kultur so da, dass sie nichts zu erwerben brauchten. Gerade deshalb haben sie ihr Leben so wahrhaft als Herren einsetzen und hingeben können.
Auch Yorck wurde ebenso wie Moltke von seiner Frau, der Geist und Leben sprühenden Gräfin Marion unterstützt, die bei der Heirat ihr juristisches Studium als Referendarin aufgab. Die beiden Damen haben nicht nur durch ihre unermüdliche, in der Notzeit sehr opferbedingte Gastlichkeit, sondern ebenso durch ihre eigene Mitarbeit an den Problemen und durch mühsame Schreibarbeit, die sonst niemandem anvertraut werden konnte, die Bestrebungen gefördert und deren Risiko mitübernommen. An sich entspricht es preußischer Tradition, Damen trotz aller Gleichberechtigung nicht in solche unfraulichen und gefährlichen Dinge einzubeziehen. Diese gute Regel konnte hier nicht eingehalten werden, weil die an sich schon hinreichend verdächtigen häufigen Zusammenkünfte von Männern allzu auffällig erschienen wären, wenn die Hausfrau dabei ausgeschlossen worden wäre. Den Versuch einer Charakterisierung der anderen Freunde unterlasse ich, um nicht weitschweifig zu werden und weil ich kein Talent für biographische Medaillons besitze. Sie alle wurden getrieben vom Wehen des Geistes.
Wenn man vom Kreisauer Kreis spricht, so bedeutet das die gemeinsame Arbeit von Helmuth Moltke und Peter Yorck. Alle andern in diesen Zusammenhang hineingehörenden Personen haben hierbei nur Hilfe und Mitarbeit in jeweils verschiedenem Umfang geleistet. Es handelte sich nicht um eine organisierte Zusammenfassung von Personen. Moltke und Yorck saßen vielmehr wie eine Spinne mitten im Netz und holten sich mit ihren weitreichenden und feinfühligen Fangarmen von allen Seiten die Personen heran, die ihnen für bestimmte Gebiete kundig und wertvoll erschienen, und spannten sie für ihr Ziel ein. Diese Personen wussten auch meist nicht von den andern, die herangezogen wurden. Moltke und Yorck waren nicht geschäftig und verstanden zu schweigen, wie es das Risiko der Aufgabe gebot. Die Gefahr der Aufdeckung eines Geheimnisses wächst mit der Zahl der Mitwisser. Selbst wenn diese höchst zuverlässig waren, so herrschte damals die Ansicht, dass die Gestapo, abgesehen von ihren Torturmitteln durch die Injektion sogenannter „Wahrheitsdrogen „, in der Lage sei, innere Tatbestände aus Personen wider ihren Willen herauszuholen, so dass Vorsicht zwingend erforderlich war.