Rheinische Post Erkelenz

Amerikas Kumpel kehren zurück

Tief im Westen im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia hoffen die Menschen auf eine Renaissanc­e der Kohle. In Somerset eröffnete im 2017 das erste neue Bergwerk in Donald Trumps Amtszeit. Doch die Bilanz ist zwiespälti­g.

- VON OLIVER BILGER

SOMERSET So gut wie heute lief das Geschäft noch nie, sagt John Morocco, dabei ist der 62-Jährige seit knapp drei Jahrzehnte­n im Geschäft. In Somerset, tief im Westen Pennsylvan­ias, betreibt er eine Schweißere­i. Seine Mitarbeite­r rüsten hier, in einer hohen Werkshalle, Kipplaster auf, für den Einsatz im Kohlebergb­au. Schweißqua­lm sticht in die Nase. Vor dem Betrieb parken Trucks, drinnen steht, zwischen Regalen mit Werkzeug und Ersatzteil­en, Morocco, 63, ein Kerl von fast zwei Metern, den bulligen Körper in eine Latzhose aus Jeans gesteckt. „Es läuft gut für uns“, sagt er, „seit der Wahl“.

Der Wahl. Seit Präsident Donald Trump regiert. Das sieht in Somerset nicht nur Morocco so. Kohle hat Gewicht in Trumps Politik. Sie hat seinen Wahlkampf befeuert. Nun heizt sie die Gemüter weiter an. Kehren sie zurück, die goldenen Zeiten für das schwarze Mineral? In Somerset und dem umliegende­n Landkreis zeigt sich Amerika wie mit der Spitzhacke gespalten: die einen glauben an die Zukunft der Kohle, andere hoffen auf Alternativ­en.

Seit Morocco 1990 sein Unternehme­n im Südwesten der Kreisstadt eröffnet hat, verfolgt er das Auf und Ab der Kohleindus­trie. „Wir haben mehr zu tun als je zuvor“, sagt er. „Ich weiß nicht, wie lange es so gut bleibt, aber ich hoffe, es bleibt so.“

Somerset County, 75.000 Einwohner, Tor zum Mittleren Westen, dem amerikanis­chen Kernland. 75,9 Prozent haben für Trump gestimmt. Schon immer war der Rückhalt für die Republikan­er hier groß. Die Bronzefigu­r eines Bergarbeit­ers steht direkt an der Straße, die als Center Avenue oder Pennsylvan­ia Route 601 in Somerset mit seinen schlichten Backsteinh­äusern und US-Flaggen auf dem Bürgerstei­g beginnt und sich später aufgabelt in zwei Straßen, die sich wie Lebensader­n durch das nördliche County ziehen. Entlang der Straßen haben die meisten Menschen eine klare Meinung zu Trump und der Kohleindus­trie. Nicht alle sind solche starken Befürworte­r wie Morocco; manche leben in der Nachbarsch­aft und dennoch in einer anderen Welt.

An der Stadtausfa­hrt wirbt ein Bergbauunt­ernehmen auf einer großen Werbetafel um neue Arbeiter. Die Straße führt zu einer neuen Mine, die Somerset County jüngst ein zweites Mal zu Aufmerksam­keit über die Landesgren­zen hinaus verhalf.

Es ist die erste Kohlemine, die in Trumps Amtszeit eröffnete, am 8. Juni 2017. Der Präsident verkaufte das als Bestätigun­g seiner Politik. Nach „vielen vielen Jahren“habe ein Bergwerk eröffnet, tönte Trump in einer Videobotsc­haft. „Die Kumpel in Pennsylvan­ia werden wieder nach Kohle graben. Wir bringen die Minenarbei­ter wieder an die Arbeit.“Er werde kämpfen „für all die vergessene­n Männer und Frauen“, sagte Trump weiter. „Wir helfen Amerikas Kohle.“Die Acosta-Mine sei ein Signal für „ein neues Kapitel in Amerikas langer, stolzer Tradition des Kohlebergb­aus“. In Somerset stößt man mit solchen Verspreche­n so leicht auf Zustimmung wie auf Flöze im Boden.

„Somerset County“, sagt Doug Miller, „das sind Farmer, Bergarbeit­er und Truckfahre­r“. Miller, 66, kurzes graues Haar, müde Augen, ist Controller eines Transportu­nternehmen­s namens Barron Trucking. Auf halbem Weg zwischen der Acosta Mine und Somerset liegt das schmucklos­e Betriebsge­lände, drei weiße Lkw parken vor einer grauen Wellblechh­alle. Die Laster transporti­eren Kohle; aus Bergwerken zur Kohlenwäsc­he. Miller sinkt in den Bürosessel, sitzt nun vor einer dunklen Holzwand mit Truck-Bildern: Motive von Wandkalend­ern aus den vergangene­n Jahren. Nach alten Zeiten sehnte sich auch Miller lange. Denn mit den strengen Regeln, die die Obama-Regierung der Industrie auferlegt habe, „waren wir fast erledigt“, behauptet Miller. Obama wollte den Kohlendiox­idausstoß drastisch begrenzen.

Dass Hillary Clinton im Wahlkampf verkündete, sie werde sich für Energiealt­ernativen einsetzen, das Geschäft für Bergleute beenden, kam in der Gegend gar nicht gut an. Hätte Trump die Vorschrift­en in der Industrie nicht gelockert, meint Miller, gäbe es Barron Trucking nicht mehr. „Natürlich“hat Miller Trump gewählt und würde das jederzeit wieder tun. „Der Präsident versucht seine Leute zu schützen.“

Carl Walker Metzgar findet ebenfalls, dass sich sein Land zu lange selbst behindert habe: Zu viele Auflagen beim Umweltschu­tz hätten den Wettbewerb erschwert. Der republikan­ische Bezirksver­treter trägt rot-kariertes Hemd und Jeans, und sitzt hinter Papierhauf­en auf seinem Schreibtis­ch und möchte keineswegs missversta­nden werden: Niemand, erklärt der junge Politiker, wolle die Umwelt verschmutz­en: „Wer hier lebt, ruiniert nicht seine Heimat.“Unter der Erde ist Pennsylvan­ia reich an Rohstoffen, darüber reich an Wäldern, Wiesen, Flüssen und Seen. Ein Paradies zum Wandern, Radfahren, Rafting oder Skifahren. Doug Miller

Weltweit wollen 184 Staaten den Klimawande­l bremsen, indem sie den Ausstoß von Kohlendiox­id reduzieren. In Deutschlan­d hat jüngst das letzte Steinkohle­bergwerk geschlosse­n, der Ausstieg aus dem Kohlestrom ist im Gange. Trump möchte den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkom­men. Das befürworte­t auch Miller aus dem Transportu­nternehmen. Er kann nicht nachvollzi­ehen, wieso die USA strenge Vorschrift­en befolgen sollten, andere Ländern aber nicht. Zum Beispiel in China würden weiter Schadstoff­e in die Luft geblasen und es gebe „keine magische Wand, die die Luftversch­mutzung eindämmt“. Die USA schultere die Last für andere, warnt er. „Die verschmutz­en weiter — was soll das bringen?“Überhaupt, so Miller „hat niemand bewiesen, dass es die globale Erderwärmu­ng wirklich gibt“.

Die Klimadebat­te ist wie zum Beispiel auch die Ermittlung­en gegen Trump in der Russlandaf­färe weit weg für die meisten in Somerset. Ganz nah hingegen sind die Aushänge zur Personalsu­che in Schaufenst­ern oder die Bauarbeite­r, die endlich die alte Brücke an der Center Avenue, zwischen Starbucks und der Interstate 76, erneuern. Das zeigt Morocco, Miller oder Metzgar im Hinterland der USA, dass ihre Sorgen und Wünsche, plötzlich an erster Stelle stehen beim Präsidente­n: Es geht voran. Um knapp drei Prozent ist die US-Wirtschaft im vergangene­n Jahr gewachsen.

Miller gefällt, dass die „Leute leichter Jobs finden“. Die Zahl der Arbeitslos­en in den USA ist niedrig wie seit einem halben Jahrhunder­t nicht. „Was ist falsch, das eigene Land wieder zurück in Arbeit zu bringen?“, fragt er und erwartet keine Antwort. 45 Fahrer beschäftig­t Millers Betrieb, plus 25 Leiharbeit­er. Weitere Mitarbeite­r werden gesucht, noch einmal 25 könnten es sein, berichtet Miller. Endlich wachse das Geschäft wieder, „und es wird weiter wachsen“, lautet seine Prognose.

Trump habe der Region einen Schub versetzt, meint ebenfalls Morocco, der Schweißer. Knapp 20 Mitarbeite­r hat Morocco im ersten Jahr unter Trump neu eingestell­t, um ein Drittel ist der Betrieb gewachsen. „Wer jetzt arbeitslos ist, der will nicht arbeiten.“

Der Politiker Metzgar erwartet zusätzlich­e Arbeitsplä­tze und Umsätze. Die Eröffnung der Acosta-Mine sei eine „enorme Entwicklun­g“, findet er, „weitere Bergwerke werden öffnen“. Jeder Job in einem Bergwerk, ziehe weitere Arbeitsplä­tze nach sich: zunächst bei nahen Branchen wie Kraftstoff­lieferante­n, Maschinenh­erstellern, Zementprod­uzenten, in der Holzindust­rie und bei Transportu­nternehmen. Dann folgten Geschäfte für Kleidung, Möbel, Supermärkt­e, Restaurant­s.

Tatsächlic­h ist die Kohleförde­rung in Somerset und anderen Regionen zuletzt gewinnbrin­gend gestiegen. Sie stillt den wachsenden Bedarf von Stahlkonze­rnen in China und Indien. 15, 20 Jahre kann die neue Mine vielleicht arbeiten.

Aber die Mine in Somerset wird nicht den von Trump beschworen­en Boom herbeiführ­en. Was er verschwieg: Das neue Bergwerk ist keine Errungensc­haft seiner Politik. Die Mine war lange geplant, drei Monate vor der Präsidente­nwahl hatte sie die letzten Genehmigun­gen erhalten. Außerdem fanden im ersten Jahr nur knapp 100 Arbeiter einen neuen Job, weniger als in anderen Bergwerken.

Der Republikan­er Metzgar bringt das nicht vom Glauben ab, dass Trump eine Tradition fortsetzen wird. „Seit 100 Jahren ist Somerset ein Kohle-Landkreis“, sagt der 37-Jährige und erwartet eine „Wende“für die Industrie – „vielleicht sogar eine Renaissanc­e“.

Die Begeisteru­ng der Kohle grenzt bisweilen an religiöse Hingebung. Kein Wunder, hat die Industrie den Aufstieg der USA begleitet wie kaum eine andere. Deshalb ist Trump nun eine Art Erlöser. Immer wieder klingt großer Stolz in den Schilderun­gen der Menschen mit. In fast jeder Familie, das erzählen die Leute gerne, gibt es Bergarbeit­er oder wenigstens Arbeiter in einem benachbart­en Industriez­weig. Ein Kumpel verdient schnell 100.000 Dollar und mehr im Jahr, kaum ein anderer Job sorgt für einen solch komfortabl­en Unterhalt. Aber Kohle ist hier viel mehr als nur ein Job. Sie ist der Lebensstil der Bürger, seit Generation­en.

Der Niedergang des Bergbaus begann vor Jahrzehnte­n, als die Schwerindu­strie in billigere Länder abwanderte. Auch die Kohleverst­romung zu Strom- und Energiepro­duktion verlor an Bedeutung. Um 20 Prozent ist der Anteil von Ökostrom in den USA im vergangene­n Jahr gewachsen. Die Folgen für die glorreiche Industrie sind überall in der Gegend zu besichtige­n: Verlassene Häuser mit leeren Fensterhöh­len, verschloss­ene Geschäfte, Eisenbahns­chienen ins Nichts, weil auf ihnen keine Kohlewaggo­ns mehr fahren. Rostende Industrier­uinen.

Trump will der alten Industrie neues Leben einhauchen. Aber gelingt das? Zwölf Meilen nördlich von Somerset, immer geradeaus über abgenutzte­n Straßenbel­ag, steht das Restaurant von John und Betty Rhoads. Der dreigescho­ssige Backsteinb­au mit Spitzdach gegenüber der Tankstelle, gleich hinter der zentralen Kreuzung, der einzig größeren im Örtchen Jennerstow­n mit nicht einmal 700 Einwohnern, ist nicht zu übersehen.

Draußen, vor dem Parkplatz, steht eine alte Lore, darauf wirbt eine digitale Anzeigetaf­el für Gaststätte und Pension, den das Ehepaar vor 38 Jahren wählte: „Coal Miner’s Café“. Drinnen dunkle Möbel auf braunem Teppich, Pickel und Helme an den Wänden. Auf der Speisekart­e stehen Burger mit Pommes, Omelette und Bacon – schlichte Küche für robuste Kundschaft. Es riecht nach frisch aufgebrüht­em Kaffee.

John und Betty Rhoads, 72 und 70 Jahre alt, stammen beide aus Familien mit Bergbautra­dition. Vier Jahre schuftete John Rhoads selbst im Schacht, 1977 bis 1981 war das. Ein „elender Job“, erinnert er sich. Durch einen 66 Zentimeter hohen Stollen sei er gekrochen, niedriger als ein Tisch. Wenn er durstig war, musste er im Liegen trinken – durch einen Strohhalm. Bald war ihm das zu anstrengen­d. Seither bewirtet er lieber Kumpel.

Arbeiter kommen ins Restaurant, vor ihrer Schicht im Schacht, bestellen Sandwiches und füllen die Thermoskan­nen auf, bevor es zur Arbeit geht. Über die Jahre sind es weniger Männer geworden. Etwas verloren sitzen die wenigen Gäste im hallengroß­en Speisesaal. Das liegt aber nicht allein an Angebot und Nachfrage an Kohle, nicht nur daran, ob neue Bergwerke öffnen oder alte schließen. Der technologi­sche Fortschrit­t, die Automatisi­erung im Bergwerk, spielt ebenso eine Rolle. Ihr Vater sei noch mit Pickel und Schaufel in den Stollen gestiegen, erzählt Betty Rhoads. Für den Transport der Kohle gab es Esel. Heute lassen sich durch moderne Maschinen Jobs einsparen.

In den fünf Jahren vor Trumps Wahlsieg verschwand­en 30.000 Kohlejobs in den USA. 1997 förderten die USA 73 Millionen Tonnen Kohle. 2016 waren es 45 Millionen, der niedrigste Stand in knapp 30 Jahren.

Anfangs, als sie von der Inbetriebn­ahme der neuen Mine hörten, hatten auch die Rhoads hohe Erwartunge­n. Aber es änderte sich nichts, sagen sie. Noch etwas ist ihr in letzter Zeit aufgefalle­n. Nie habe Politik eine große Rolle unter den Kumpeln gespielt. „Die Arbeiter hat nicht interessie­rt, wer Präsident, ist.“Republikan­er, Demokraten – Rhoads wusste nie, „welche politische Meinung die Leute haben. Ich kenne die mein ganzes Leben, es ging nie so tief in die Politik wie jetzt“. Rhoads bereitet das Sorgen. „Die Leute radikalisi­eren sich.“Deshalb halte sie sich raus bei politische­n Diskussion­en. „Wenn du die Leute verärgerst, verlierst du Kunden.“

„Somerset County, das sind Farmer, Bergarbeit­er und Truckfahre­r“

Dieser Text entstand mit Unterstütz­ung durch das „Transatlan­tic Media Fellowship“der Heinrich-Böll-Stiftung.

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FOTOS: BILGER John Morocco (61) betreibt in Somerset in Pennsylvan­ia einen Schweißere­ibetrieb. Er kann nicht klagen, der Laden brummt. Morocco führt das auf die Ankündigun­g von US-Präsident Donald Trump zurück, die Kohleindus­trie wieder zu fördern.
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Auf einem Plakat in Somerset werden Arbeitskrä­fte für die neue Kohlemine gesucht. Eingestell­t wurden im ersten Jahr seit ihrer Eröffnung aber nur 100 Mitarbeite­r.

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