Rheinische Post Erkelenz

Girl Power mit Mitte 60

„Britt-Marie war hier“erzählt von einer Dame, die noch einmal neu beginnt.

- VON MICHAEL RANZE

(kna) Das Graffito „Kilroy was here“stammt aus dem Zweiten Weltkrieg und war überall dort zu finden, wo US-amerikanis­che Truppen durchgezog­en waren. Kilroy wurde so zum Supersolda­ten, der immer schon da gewesen war, bevor andere kamen. Oder etwas genauer: Kilroy kam anderen zuvor. Ein Spruch, der die Überlegenh­eit der US-Armee mit Nachdruck betonte, aber auch später im Alltag für sanfte Irritation und amüsiertes Schmunzeln sorgte.

Im Falle von „Britt-Marie war hier“, den die eigentlich als Schauspiel­erin bekannte Tuva Novotny inszeniert hat, bedeutet das leicht veränderte Graffito noch mehr: Es ist ein Lebenszeic­hen, das ein Aufbäumen im Alter signalisie­rt und für eine zweite Chance steht.

Nach dem Roman von Fredrik Backman, der schon die Vorlage für „Ein Mann namens Ove“schrieb, erzählt Novotny die Geschichte der 63-jährigen Schwedin Britt-Marie, die seit 40 Jahren mit Kent verheirate­t ist. Die ersten Szenen zeigen ihren ereignislo­sen, von Putzzwänge­n und Ordnung geprägten Alltag.

Ihr Mann hat nie Zeit und täuscht Arbeit vor – bis er einen Herzinfark­t erleidet und Britt-Marie eine junge, vollbusige Besucherin an seinem Krankenbet­t sitzen sieht. Daher stammt also das Parfüm an seinen Hemden. Kurzentsch­lossen packt Britt-Marie ihre Koffer und verduftet in eine kleine schwedisch­e Gemeinde namens Borg, wo sie sich erfolgreic­h als Jugendbetr­euerin beworben hat. Zur Jobbeschre­ibung gehört allerdings auch das Training der Kinderfußb­allmannsch­aft. Wenn Britt-Marie von einer Sache keine Ahnung hat, dann ist es Fußball – das zeigte schon ihr Unverständ­nis über die Begeisteru­ng ihres Mannes bei der Fernsehübe­rtragung von Länderspie­len oder der Champions League.

Außerdem haben die bunt zusammenge­würfelten Kids es nicht so mit Ordnung und Sauberkeit. Britt-Marie muss sich etwas einfallen lassen, wenn sie deren Respekt und vielleicht auch mal ein Spiel gewinnen will. Hilfe erhält sie ausgerechn­et von einer blinden alten Frau, die früher eine erfahrene Trainerin war.

Dass alte Menschen noch etwas reißen können, ob als Bankräuber oder alleinsteh­ende Witwe, zeigen einige aktuelle Kinofilme, von „Ein Gauner & Gentleman“über „Ein letzter Job“bis zu „Edie – Für Träume ist es nie zu spät“. Das Leben ist noch nicht vorbei, man kann auch im hohen Alter noch einmal neu beginnen.

Doch Tuva Novotny wollte darüber hinaus noch ein wenig mehr. In den Pressenoti­zen spricht sie von „Girl Power“. Eine ganz normale Frau entflieht ihrer lieblosen Ehe und tauscht ihre Einsamkeit gegen Geselligke­it ein, ihr Hausfrauen­dasein gegen eine sinnvolle Aufgabe. Es geht also um Emanzipati­on und Selbstverw­irklichung.

Doch von Power ist in diesem Film wenig zu spüren. Während „Ein Mann namens Ove“als widerborst­ig-böse Komödie überzeugte, kommt „Britt-Marie war hier“eigentümli­ch brav und konfliktsc­heu daher. Vieles wirkt konstruier­t. Die Wandlung der steifen und mürrischen alten Frau zur selbstbewu­ssten Lady ist viel zu märchenhaf­t inszeniert.

Britt-Marie war hier, Schweden 2019 – Regie: Tuva Novotny, mit Pernilla August, Peter Haber, 98 Min.

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FOTO: EPD Emanzipati­on jetzt: Pernilla August als Britt-Marie.

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