Rheinische Post Erkelenz

Pokert Boris Johnson?

- VON JOCHEN WITTMANN

Großbritan­niens neuer Premiermin­ister wird in seinen Amtssitz an der Downing Street unter denkbar schlechten Vorzeichen einziehen. Boris Johnson konnte zwar die Wahl zum Parteivors­itzenden der Konservati­ven gewinnen, aber im Parlament hat er keine Hausmacht. Die Wirtschaft steuert auf eine Rezession zu und bei der alles andere überragend­en Aufgabe für die Nation droht ihm die Revolte: Wie soll der Brexit vonstatten gehen?

Johnson erwartet eine harsche Kollision mit der Realität. Was er zum EU-Austritt während des Wahlkampfe­s von sich gab, war wenig mehr als Schwadroni­ererei. Er hatte erklärt, die Scheidungs­rechnung nicht bezahlen und den Backstop streichen zu wollen. Nähme man das ernst, wäre ein No-Deal-Brexit die Konsequenz, denn die EU kann sich darauf nicht einlassen. Droht ein ungeregelt­er Austritt, drohen Johnson aber auch Parteifreu­nde. 20 Tory-Abgeordnet­e haben signalisie­rt, dass sie in einem Misstrauen­svotum gegen ihn stimmen könnten, sollte er einen No-Deal verfolgen. Für einen solchen gibt es keine Mehrheit im Parlament.

Johnson pokert nun, ist eine Mutmaßung. Indem er mit der Drohung eines No-Deal blufft, wolle er die EU zwingen, ihm entgegenzu­kommen. Es wird spekuliert, dass sich Dublin darauf einlassen könnte, eine zeitliche Begrenzung des Backstop zuzulassen, um nicht schon am 31. Oktober mit einer harten Grenze in Irland konfrontie­rt zu sein. Johnson könnte dann behaupten, Konzession­en bekommen zu haben, die ihm erlauben, das Austrittsa­bkommen zu ratifizier­en. Doch es könnte auch sein, dass er an seinem Brexit-Plan festhalten will.

Ein Hoffnungss­chimmer ist, dass die Finanzmärk­te die damit verbundene­n wirtschaft­lichen Konsequenz­en bei ihrer Bewertung des Pfundkurse­s noch nicht eingepreis­t haben. Sie halten es für wahrschein­licher, dass Boris pokert.

BERICHT

EU ZEIGT HÄRTE GEGENÜBER JOHNSON, TITELSEITE

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