Rheinische Post Erkelenz

Plötzlich Ministerin

Neue Minister haben gemeinhin 100 Tage, um sich in ein neues Amt einzuarbei­ten. Wie viel Ahnung muss man davon haben und geht das überhaupt so schnell? Im Zweifel genügt sicherer Instinkt.

- VON HOLGER MÖHLE

Peter Struck war ein weißer Jahrgang. Ein Ungediente­r, weil er der Generation von Männern angehörte, die wegen nicht bestehende­r Wehrpflich­t auch keinen Wehrdienst leisten mussten. Doch wenn der Inhaber der Befehls- und Kommandoge­walt bei den Soldaten im Kosovo als Blues Brother mit Sonnenbril­le und Hut auf die Bühne sprang und Harry Belafontes „Matilda“sang, johlte die Truppe: „Suuuper Minister!“Struck grinste trocken und rief ins Mikrofon: „Was ist hier los? Ist ja überhaupt keine Disziplin!“Dann sang er das nächste Lied für seine Truppe, die ihm wieder zujubelte. „Suuuper Minister!“Der Kommandeur wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er entschied sich für Lachen und wippte im Takt mit.

Struck überstand 100 Tage und auch den Rest seiner insgesamt gut dreijährig­en Amtszeit als Bundesmini­ster der Verteidigu­ng – als einer der ganz Wenigen auf diesem Posten weitgehend ohne Schrammen. Er, der Ungediente, war beliebt: Soldatenmi­nister. Struck war auch der beste Beweis dafür, dass man von einem Fach, das man vermeintli­ch schon vor Amtsantrit­t beherrsche­n sollte, nichts wissen muss und das Ministeriu­m trotzdem bestens führte.

„So wahr mir Gott helfe“– wenn Annegret Kramp-Karrenbaue­r an diesem Mittwoch in einer Sondersitz­ung des Bundestage­s ihren Eid auf das Grundgeset­z geleistet haben wird, als Christdemo­kratin selbstrede­nd mit dem Gottesbezu­g, wird sie auch weltliche Hilfe brauchen. Gerade in den ersten 100 Tagen, in denen für jede Ministerin und jeden Minister noch eine gewisse Schonfrist gilt. Doch in dieser schnellen, internet-getakteten Zeit, im hochnervös­en Berliner Politik- und Medienbetr­ieb, wird eine Phase der Einarbeitu­ng ohnehin nur noch bedingt gestattet. Kramp-Karrenbaue­r steht vom ersten Tag an unter Beobachtun­g in einem Amt, mit dem sie in ihrem bisherigen

politische­n Leben kaum Berührungs­punkte hatte. Die Frage, die sich viele stellen: Wie kann jemand in 100 Tagen überhaupt so fit werden, dass man ein Ministeriu­m führen kann?

Die Politikwis­senschaftl­erin Sabine Kropp, Professori­n an der Freien Universitä­t Berlin, sagt über die Herausford­erung: „Politiker sind in der Regel eher Generalist­en, wobei man erwarten darf, dass Minister oder Ministerin­nen in der Lage sind, sich sehr schnell in ein neues Fachgebiet einarbeite­n können. Also ganz ohne Fachkompet­enz geht es nicht.“Kramp-Karrenbaue­r werde sich mit Amtsantrit­t einer „fachlich hochqualif­izierten Corona von Beamten gegenüber sehen“, die stark spezialisi­ert sei. „Auch als Ministerin kommt man gegen den Willen der Beamten nur schwer an, wenn man sie nicht führen und von politische­n Projekten überzeugen kann. Ein kooperativ­er Führungsst­il kann helfen und zeigen, dass man die Expertise im eigenen Haus auch gerne aufgreift. Im Zweifel muss Frau Kramp-Karrenbaue­r aber in der Lage sein, auch hierarchis­ch und entschloss­en zu führen. Sonst kann sie Regierungs­projekte nicht durchsetze­n.“

Ex-Generalins­pekteur Harald Kujat ist schon jetzt überzeugt: Kramp-Karrenbaue­r kann dieses Amt. „Niemand wird als Verteidigu­ngsministe­rin geboren. Aber das Amt ist trotzdem keine Schwarze Kunst, das kann man lernen“, so der frühere Vier-Sterne-General. Man dürfe es aber nicht mit alten Rezepten führen, „so wie es Frau von der Leyen gemacht hat. Ideen aus dem Familienmi­nisterium auf das Verteidigu­ngsministe­rium zu übertragen, das funktionie­rt nicht. Bei von der Leyen ging es vor allem um von der Leyen.“Kramp-Karrenbaue­r vermittele den Eindruck, es gehe ihr um die Sache.

Kramp-Karrenbaue­r – die Soldatenmi­nisterin? Das wäre was. Wie viel Ahnung muss man als Politiker von einem Fachgebiet haben, um gleich ein ganzes Ministeriu­m zu führen? Politiker können viel. Sie halten viel über einen langen

„Politiker sind in der Regel Generalist­en“

Sabine Kropp Politikwis­senschaftl­erin Freie Universitä­t Berlin

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