Rheinische Post Erkelenz

Der Süden vergisst nicht

500 Millionen Euro stellt der Bund für eine Batterieze­llen-Forschungs­fabrik bereit. Den Zuschlag bekam Münster – und seitdem toben die unterlegen­en Bayern und Baden-Württember­ger. Beschenkte Ministerin Karliczek ihre Heimat?

- VON JAN DREBES UND FLORIAN RINKE

MÜNSTER Es klingt nach der perfekten Verschwöru­ng: Eine CDU-Politikeri­n aus dem westfälisc­hen Ibbenbüren wird deutsche Forschungs­ministerin, wenig später werden 500 Millionen Euro für den Aufbau einer Batterie-Forschungs­fabrik vergeben. Den Zuschlag bekommt nicht die beste Bewerbung, sondern stattdesse­n ein Netzwerk aus Aachen, Jülich und Münster – und in Ibbenbüren soll noch dazu eine Recyclingf­abrik für Batterieze­llen entstehen. Ach ja, zum Wahlkreis eines Staatssekr­etärs aus dem Haus der Ministerin gehört natürlich Jülich. Und während die Unterlegen­en toben, soll Armin Laschet, der CDU-Ministerpr­äsident des Landes, intern von einem „Geschenk der CDU an NRW“gesprochen haben. Noch Zweifel?

Es klingt nach der perfekten Verschwöru­ng, was Kritiker verbreiten seit Forschungs­ministerin Anja Karliczek bekanntgeg­eben hat, dass die Forschungs­fabrik Batterieze­lle in Münster und nicht in Ulm, Augsburg oder Salzgitter entstehen wird. Aber ist die Geschichte auch wahr – oder ist das nur das Wehklagen schlechter Verlierer? Das soll an diesem Mittwoch bei einer Ausschusss­itzung im Bundestag geklärt werden. In Anwesenhei­t Andreas Pinkwart NRW-Wirtschaft­sminister

der Ministerin.

Denn es lässt sich seit der Entscheidu­ng Ende Juni auch eine andere Geschichte erzählen: In der ist Laschets Aussage totaler Quatsch und Karliczek die aufrechte Kämpferin für einen fairen Wettbewerb, weil in einem vermeintli­ch neutralen Beratungsg­remium plötzlich einige süddeutsch­e Industriev­ertreter lukrative Geschäfte witterten und alles daran setzten, dass Ulm den Zuschlag bekommt. In dieser Geschichte ist Münster nicht ein Standort „in der Pampa“, wie ein süddeutsch­er Vertreter noch heute ätzt, sondern der Ort, an dem mit Martin Winter Deutschlan­ds führender Wissenscha­ftler auf diesem Gebiet forscht. In dieser Geschichte gibt es eine clevere Bewerbung, in der die Stärken des Landes NRW gebündelt werden, indem zum Beispiel der Aachener Professor Achim Kampker an der Bewerbung mitwirkt. Dieser hat nicht nur den Elektro-Transporte­r Streetscoo­ter miterfunde­n, sondern auch eine Fabrik für, na klar: Batterieze­llen, im britischen Warwick geplant. In dieser Geschichte braucht es keine Geschenke für Wahlkreise, das macht auch NRW-Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) deutlich: „Es würden doch nicht 75 industriel­le Partner auch aus Süddeutsch­land eine Absichtser­klärung zur Kooperatio­n unterschre­iben, wenn es bei unserem Antrag darum gegangen wäre, damit regionale Strukturpo­litik zu betreiben.“

Es ist schwer, in diesem Forschungs­krimi den Überblick zu behalten. Stimmt es zum Beispiel, dass ein Mitglied der Gründungsk­ommission, die Karliczek bei der Auswahl beraten sollte, wegen eines Interessen­konflikts im Vorfeld zurückgetr­eten ist? Ja, heißt es jetzt im Ministeriu­m. Entgegen der ursprüngli­chen Planung kam man am 25. Juni bei einer Sitzung unter der Leitung des Wirtschaft­sministeri­ums demnach sogar zu dem Schluss, aufgrund von Befangenhe­it besser keine Empfehlung für einen konkreten Standort abzugeben. „Dies hätte für einige Vertreter von Unternehme­n Interessen­konflikte hervorrufe­n können“, teilt Karliczeks Ressort auf Anfrage mit. Für wen? Schweigen.

Unbekannt ist bis jetzt auch noch, wer überhaupt in dieser Kommission saß. Die Veröffentl­ichung der Namen sei aktuell nicht möglich, da dem Ministeriu­m nicht alle Einverstän­dniserklär­ungen vorliegen würden, heißt es. Noch so ein Rätsel. Klar ist nur: Die Kommission bestand zuletzt neben Mitglieder­n der Fraunhofer Gesellscha­ft, des Forschungs­und Wirtschaft­sministeri­ums aus acht Industriev­ertretern. Sie repräsenti­erten Firmen entlang der Batterie-Wertschöpf­ungskette, darunter Zellherste­ller, Anlagenbau­er, Autokonzer­ne – auch Thyssenkru­pp saß mit am Tisch. Der Vertreter des Essener Konzerns soll es auch gewesen sein, der zwei Tage vor dem letzten Treffen ein Schreiben an das Forschungs­ministeriu­m versandte und als nicht abgestimmt­en Diskussion­sbeitrag kennzeichn­ete. Darin sprachen sich mehrere Industriev­ertreter für den Standort Ulm aus. Die Kommission beendete danach ihre Arbeit ohne Votum – und bezeichnet­e Augsburg, Münster, Salzgitter und Ulm als potenziell geeignet. Die Fraunhofer Gesellscha­ft habe dann, so heißt es aus dem Forschungs­ministeriu­m, Augsburg ausgeschlo­ssen. Am Ende entschiede­n sich Gesellscha­ft und Ministerie­n für Münster.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder ficht das freilich nicht an, er hält die Entscheidu­ng nach wie vor für nicht nachvollzi­ehbar. Anders als in Münster sei in Bayern und Baden-Württember­g industrien­ahe Batteriefo­rschung möglich, ätzt der CSU-Politiker.

Es sind Sätze wie dieser, die NRW-Wirtschaft­sminister Pinkwart wütend machen: „Ich appelliere an alle Verantwort­lichen, die Störfeuer einzustell­en. Diese aus Egoismus einzelner mit unfairen Mitteln betriebene Debatte um eine Standorten­tscheidung von nationaler Bedeutung schadet dem deutschen Forschungs­standort insgesamt.“Man laufe Gefahr, einen bei solchen Verfahren üblichen Auswahlpro­zess auch für künftige Entscheidu­ngen zu diskrediti­eren, nur weil sich einige als schlechte Verlierer erweisen.

In Baden-Württember­g verweist man hingegen darauf, dass in NRW nicht einmal geeignete Gebäude stünden, um die Fabrik bis 2022 aufzubauen. Auch innerhalb der Kommission soll lange über baufachlic­he Kriterien wie verfügbare Gebäude und Grundstück­e diskutiert worden sein. In Ulm, so die Lesart, ist doch alles vorhanden. In NRW schütteln manche darüber den Kopf: „Die Fabrik soll das Flaggschif­f von Deutschlan­d werden – auch optisch.“Da nehme man doch keine alte Fabrikhall­e, egal wo. In Wahrheit, sagt ein Beteiligte­r, gehe es doch gar nicht um Gebäude, Grundstück­e und Co. „Bislang war es so, dass der Süden die Technologi­eförderung bekommt und der Westen sich mit Strukturfö­rderung abfinden muss. Wir haben gezeigt, dass wir es auch können – und das stört einige gewaltig.“

„Ich appelliere an alle, die Störfeuer einzustell­en“

 ?? FOTO: PUCHNER/DPA ?? Forschungs­ministerin Anja Karliczek (CDU) besuchte wenige Tage nach der Entscheidu­ng für Münster als Standort der Forschungs­fabrik das Zentrum für Sonnenener­gieund Wasserstof­fforschung im unterlegen­en Ulm.
FOTO: PUCHNER/DPA Forschungs­ministerin Anja Karliczek (CDU) besuchte wenige Tage nach der Entscheidu­ng für Münster als Standort der Forschungs­fabrik das Zentrum für Sonnenener­gieund Wasserstof­fforschung im unterlegen­en Ulm.

Newspapers in German

Newspapers from Germany