Borussia und Bayer droht Ticketverbot
Die Uefa zieht die Zügel an: Bei Auswärtsspielen in Champions- und Europa League droht künftig ein Ticket-Entzug, wenn die Klubs nicht die Daten aller Karteninhaber weitergeben. Gladbach-Fans sind empört.
MÖNCHENGLADBACH/LEVERKUSEN Wer sich als europäischer Verein für einen internationalen Fußball-Wettbewerb qualifiziert, verpflichtet sich dem Regelwerk des europäischen Fußballverbands Uefa. Das sah seit 2006 unter anderem vor, dass „soweit die Umstände es erfordern“, die Daten (Name und Adresse) von Eintrittskarten-Käufern für Auswärtsspiele erfasst werden müssen. Eine Ahndung etwaiger Verstöße war nicht vorgesehen, sodass die deutschen Klubs recht entspannt mit den Vorgaben umgingen.
Nach knapp 13 Jahren hat die Uefa nun für die anstehende Saison ihre Regularien überarbeitet und stellenweise verschärft. So verpflichtet der Artikel 16 die Vereine nunmehr, „detaillierte Angaben über die Personen, an die Eintrittskarten verkauft oder bereitgestellt wurden, zu führen“. Die Einschränkung „soweit die Umstände es erfordern“ist verschwunden, dafür hält Absatz 16.04 nun mehr Sanktionen bereit: „Wenn ein Verein die Anforderungen nicht erfüllt, kann eine teilweise oder vollständige Reduzierung des Eintrittskartenkontingents als Disziplinarmaßnahme verhängt werden.“
Betroffene Vereine sehen diese Auflagen als deutlich strenger an, als beispielsweise die Vorgaben des Deutschen-Fußball-Bunds (DFB) für ein Pokalendspiel. Denn die Uefa möchte auch dann die Daten aller Ticketinhaber erfasst wissen, wenn die Tickets über Dritte – beispielsweise über Fanklubs – verteilt werden. Ein Verfahren, das unter anderem bei den Borussias aus Dortmund und Mönchengladbach üblich ist. Auch Einschränkungen für die Fans erwartet man. So könne man künftig möglicherweise nur noch ein Ticket pro Person verkaufen, Fanklubs müssten die Daten aller Abnehmer hinterlegen.
Verlangt werden neben den Namen auch die jeweiligen Adressen und Geburtsdaten von allen Ticketinhabern – in größeren Stadien können das mehrere Tausend Personen sein. Bislang speicherten die Klubs vor allem solche Daten, die sie für den Verkauf benötigten. Sprich: Fanklubs gaben den Namen eines Verantwortlichen an, einzelne Fans konnten in der Regel mehrere Tickets kaufen. Champions-League-Teilnehmer Bayer Leverkusen teilt auf Anfrage mit: „Wir sind verpflichtet die für den Verkauf notwendigen Daten zu erheben und unsere Karten nur an uns bekannte Fans zu verkaufen. Diesem Grundprinzip kommen wir auch seit Jahren völlig unabhängig von den Regularien der Uefa nach und werden dies auch in Zukunft tun.“
Was passiert, wenn die Namen des Ticketinhabers nicht mit den übermittelten Daten übereinstimmen, mussten Frankfurter Fans vergangene Saison in Rom und Mailand erleben. Hunderte blieben vor den Toren, weil die Ordnungskräfte den Eintritt verwehrten. Vor allem in Italien und Spanien bleiben die Tageskassen geschlossen. Künftig regelt die Uefa mit dem Absatz 16.02 ganz genau, dass alle erfassten Angaben der Uefa, dem gastgebenden Verein und der lokalen und nationalen Polizei „gemäß den geltenden Gesetzen auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden“müssen. Auch Sicherheitsdienste auf möglichen Reiserouten der Fans sollen informiert werden. Sicherheitsbehörden in der Türkei, Weißrussland, Russland oder Aserbaidschan können künftig also die Daten Hunderter deutscher Fußballfans anfordern. Wie die Vereine die Vorgaben umsetzen, ist noch offen. Borussia Mönchengladbach wollte die Situation vor einer öffentlichen Äußerung intern prüfen. Bayer Leverkusen lässt ausrichten: „Eine Überprüfung der Regularien hinsichtlich des Datenschutzes und der Umsetzbarkeit des Paragraphen erfolgt derzeit.“Ausgeschlossen sei jedoch, „dass wir diese Daten ohne eine rechtliche Grundlage an Dritte weitergeben. Der Schutz der Daten unserer Fans genießt höchste Priorität.“
Die Landesbeauftragte für Datenschutz, Helga Block, sieht für einen Austausch solcher Daten innerhalb der EU keine größeren Probleme. Anders sieht es bei NichtEU-Ländern aus. Hier stellen die Datenschützer fest: „Übermittlungen an Behörden, insbesondere Sicherheitsbehörden, in sogenannte Drittländer sind nicht unproblematisch.“So habe die EU zwar für die Uefa-relevanten Länder Andorra, Färöer-Inseln, der Schweiz und Israel (mit Einschränkungen) ein angemessenes Datenschutzniveau festgestellt. Aber: „Bei einer Übermittlung in andere Länder kennt die Datenschutz-Grundverordnung eine Ausnahmeregelung, die jedoch streng auszulegen ist und nicht zur Regel werden dürfe.“Allerdings darf die Behörde etwaige Vorfälle erst auf Rechtsmäßigkeit überprüfen, wenn es entsprechende Anfragen von Betroffenen gibt. Die habe es bislang nicht gegeben.
Noch nicht. Die Fanhilfe von Borussia Mönchengladbach kündigte auf Anfrage unserer Redaktion an, Kontakt mit den Datenschützern aufzunehmen und rechtliche Schritte auszuloten. „Dass die Vereine jetzt dazu gezwungen werden, dieses Prozedere dauerhaft und ständig zu betreiben und Daten an Behörden schicken, die zu autoritären Systemen gehören, sehen wir überaus kritisch“, sagte Simon Bender, Sprecher der Fanhilfe Mönchengladbach. „Wir fragen uns auch, was der Anlass für diese Verschärfung ist. Uns sind weder aus der letzten Saison, noch aus den vorherigen Spielzeiten nennenswerte Ausschreitungen oder Gewalteskapaden in den Stadien bei europäischen Spielen bekannt. Unser Eindruck ist daher, dass es sich hier schlicht um eine nutzlose Gängelung der Fans handelt.“Die Uefa verwies auf Anfrage unserer Redaktion darauf, die Regulierung nur „leicht angepasst“zu haben und vor allem den Verweis auf „geltende Gesetze“ergänzt zu haben. Wieso gleichzeitig auch konkrete Sanktionen und somit eine Verschärfung der Regeln eingeführt wurden, ließ der Verband trotz mehrfacher Nachfrage unbeantwortet.
In Mönchengladbach ist die Vorfreude auf die erste Europapokalsaison seit zwei Jahren jedenfalls durchaus gedämpft worden. „Zahlreiche Beispiele der Vergangenheit haben gezeigt, dass eine Personalisierung kein Mehr an Sicherheit bringt, sondern nur ein riesiges, datenschutztechnisch fragwürdiges Datensammeln von zehntausenden Menschen bedeute“, sagt Bender. Wie die Fanklubs und Ultra-Gruppen mit der Situation umgehen werden, könne man nicht sagen. Wohl aber verwies Bender auf einen Fall aus der Bundesliga: „Als im Jahr 2015 die Tickets für das Derby in Köln personalisiert wurden, boykottierte die Fanszene das Spiel geschlossen und der Gästeblock blieb nahezu leer.“