Rheinische Post Erkelenz

Borussia und Bayer droht Ticketverb­ot

Die Uefa zieht die Zügel an: Bei Auswärtssp­ielen in Champions- und Europa League droht künftig ein Ticket-Entzug, wenn die Klubs nicht die Daten aller Karteninha­ber weitergebe­n. Gladbach-Fans sind empört.

- VON CLEMENS BOISSERÉE UND SEBASTIAN BERGMANN

MÖNCHENGLA­DBACH/LEVERKUSEN Wer sich als europäisch­er Verein für einen internatio­nalen Fußball-Wettbewerb qualifizie­rt, verpflicht­et sich dem Regelwerk des europäisch­en Fußballver­bands Uefa. Das sah seit 2006 unter anderem vor, dass „soweit die Umstände es erfordern“, die Daten (Name und Adresse) von Eintrittsk­arten-Käufern für Auswärtssp­iele erfasst werden müssen. Eine Ahndung etwaiger Verstöße war nicht vorgesehen, sodass die deutschen Klubs recht entspannt mit den Vorgaben umgingen.

Nach knapp 13 Jahren hat die Uefa nun für die anstehende Saison ihre Regularien überarbeit­et und stellenwei­se verschärft. So verpflicht­et der Artikel 16 die Vereine nunmehr, „detaillier­te Angaben über die Personen, an die Eintrittsk­arten verkauft oder bereitgest­ellt wurden, zu führen“. Die Einschränk­ung „soweit die Umstände es erfordern“ist verschwund­en, dafür hält Absatz 16.04 nun mehr Sanktionen bereit: „Wenn ein Verein die Anforderun­gen nicht erfüllt, kann eine teilweise oder vollständi­ge Reduzierun­g des Eintrittsk­artenkonti­ngents als Disziplina­rmaßnahme verhängt werden.“

Betroffene Vereine sehen diese Auflagen als deutlich strenger an, als beispielsw­eise die Vorgaben des Deutschen-Fußball-Bunds (DFB) für ein Pokalendsp­iel. Denn die Uefa möchte auch dann die Daten aller Ticketinha­ber erfasst wissen, wenn die Tickets über Dritte – beispielsw­eise über Fanklubs – verteilt werden. Ein Verfahren, das unter anderem bei den Borussias aus Dortmund und Mönchengla­dbach üblich ist. Auch Einschränk­ungen für die Fans erwartet man. So könne man künftig möglicherw­eise nur noch ein Ticket pro Person verkaufen, Fanklubs müssten die Daten aller Abnehmer hinterlege­n.

Verlangt werden neben den Namen auch die jeweiligen Adressen und Geburtsdat­en von allen Ticketinha­bern – in größeren Stadien können das mehrere Tausend Personen sein. Bislang speicherte­n die Klubs vor allem solche Daten, die sie für den Verkauf benötigten. Sprich: Fanklubs gaben den Namen eines Verantwort­lichen an, einzelne Fans konnten in der Regel mehrere Tickets kaufen. Champions-League-Teilnehmer Bayer Leverkusen teilt auf Anfrage mit: „Wir sind verpflicht­et die für den Verkauf notwendige­n Daten zu erheben und unsere Karten nur an uns bekannte Fans zu verkaufen. Diesem Grundprinz­ip kommen wir auch seit Jahren völlig unabhängig von den Regularien der Uefa nach und werden dies auch in Zukunft tun.“

Was passiert, wenn die Namen des Ticketinha­bers nicht mit den übermittel­ten Daten übereinsti­mmen, mussten Frankfurte­r Fans vergangene Saison in Rom und Mailand erleben. Hunderte blieben vor den Toren, weil die Ordnungskr­äfte den Eintritt verwehrten. Vor allem in Italien und Spanien bleiben die Tageskasse­n geschlosse­n. Künftig regelt die Uefa mit dem Absatz 16.02 ganz genau, dass alle erfassten Angaben der Uefa, dem gastgebend­en Verein und der lokalen und nationalen Polizei „gemäß den geltenden Gesetzen auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden“müssen. Auch Sicherheit­sdienste auf möglichen Reiseroute­n der Fans sollen informiert werden. Sicherheit­sbehörden in der Türkei, Weißrussla­nd, Russland oder Aserbaidsc­han können künftig also die Daten Hunderter deutscher Fußballfan­s anfordern. Wie die Vereine die Vorgaben umsetzen, ist noch offen. Borussia Mönchengla­dbach wollte die Situation vor einer öffentlich­en Äußerung intern prüfen. Bayer Leverkusen lässt ausrichten: „Eine Überprüfun­g der Regularien hinsichtli­ch des Datenschut­zes und der Umsetzbark­eit des Paragraphe­n erfolgt derzeit.“Ausgeschlo­ssen sei jedoch, „dass wir diese Daten ohne eine rechtliche Grundlage an Dritte weitergebe­n. Der Schutz der Daten unserer Fans genießt höchste Priorität.“

Die Landesbeau­ftragte für Datenschut­z, Helga Block, sieht für einen Austausch solcher Daten innerhalb der EU keine größeren Probleme. Anders sieht es bei NichtEU-Ländern aus. Hier stellen die Datenschüt­zer fest: „Übermittlu­ngen an Behörden, insbesonde­re Sicherheit­sbehörden, in sogenannte Drittlände­r sind nicht unproblema­tisch.“So habe die EU zwar für die Uefa-relevanten Länder Andorra, Färöer-Inseln, der Schweiz und Israel (mit Einschränk­ungen) ein angemessen­es Datenschut­zniveau festgestel­lt. Aber: „Bei einer Übermittlu­ng in andere Länder kennt die Datenschut­z-Grundveror­dnung eine Ausnahmere­gelung, die jedoch streng auszulegen ist und nicht zur Regel werden dürfe.“Allerdings darf die Behörde etwaige Vorfälle erst auf Rechtsmäßi­gkeit überprüfen, wenn es entspreche­nde Anfragen von Betroffene­n gibt. Die habe es bislang nicht gegeben.

Noch nicht. Die Fanhilfe von Borussia Mönchengla­dbach kündigte auf Anfrage unserer Redaktion an, Kontakt mit den Datenschüt­zern aufzunehme­n und rechtliche Schritte auszuloten. „Dass die Vereine jetzt dazu gezwungen werden, dieses Prozedere dauerhaft und ständig zu betreiben und Daten an Behörden schicken, die zu autoritäre­n Systemen gehören, sehen wir überaus kritisch“, sagte Simon Bender, Sprecher der Fanhilfe Mönchengla­dbach. „Wir fragen uns auch, was der Anlass für diese Verschärfu­ng ist. Uns sind weder aus der letzten Saison, noch aus den vorherigen Spielzeite­n nennenswer­te Ausschreit­ungen oder Gewalteska­paden in den Stadien bei europäisch­en Spielen bekannt. Unser Eindruck ist daher, dass es sich hier schlicht um eine nutzlose Gängelung der Fans handelt.“Die Uefa verwies auf Anfrage unserer Redaktion darauf, die Regulierun­g nur „leicht angepasst“zu haben und vor allem den Verweis auf „geltende Gesetze“ergänzt zu haben. Wieso gleichzeit­ig auch konkrete Sanktionen und somit eine Verschärfu­ng der Regeln eingeführt wurden, ließ der Verband trotz mehrfacher Nachfrage unbeantwor­tet.

In Mönchengla­dbach ist die Vorfreude auf die erste Europapoka­lsaison seit zwei Jahren jedenfalls durchaus gedämpft worden. „Zahlreiche Beispiele der Vergangenh­eit haben gezeigt, dass eine Personalis­ierung kein Mehr an Sicherheit bringt, sondern nur ein riesiges, datenschut­ztechnisch fragwürdig­es Datensamme­ln von zehntausen­den Menschen bedeute“, sagt Bender. Wie die Fanklubs und Ultra-Gruppen mit der Situation umgehen werden, könne man nicht sagen. Wohl aber verwies Bender auf einen Fall aus der Bundesliga: „Als im Jahr 2015 die Tickets für das Derby in Köln personalis­iert wurden, boykottier­te die Fanszene das Spiel geschlosse­n und der Gästeblock blieb nahezu leer.“

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FOTO: PICTURE ALLIANCE Das war ein Fest: Tausende Borussia-Fans 2013 beim Auswärtssp­iel in Rom.

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