Türkei will Flüchtlinge deportieren
400 Syrer sind laut Aktivisten von Istanbul ins Kriegsgebiet Idlib gebracht worden.
ANKARA Syrische Aktivisten werfen den türkischen Behörden vor, Flüchtlinge gegen ihren Willen ins syrische Kriegsgebiet zu deportieren. In der vergangenen Woche seien etwa 400 Syrer aus Istanbul in die syrische Provinz Idlib gebracht worden, sagte der syrische Exil-Politiker Halid Hoca unserer Redaktion in Istanbul. Die türkische Regierung erklärte dagegen, sie gehe zwar mit verstärkten Kontrollen gegen Flüchtlinge vor, die keine ordentlichen Aufenthaltspapiere besitzen, schiebe aber keinen Syrer ab. Ankara reagiert mit der härteren Gangart auf den wachsenden Unmut in der türkischen Bevölkerung wegen der 3,6 Millionen Syrer im Land.
Hoca, ein ehemaliger Chef der syrischen Exil-Opposition in der Türkei, berichtete, einige Syrer seien mit gefesselten Händen in Busse gebracht worden. Seit einigen Tagen suche die Polizei in Wohnungen und Betrieben nach Syrern, die nicht ordnungsgemäß in Istanbul registriert seien, sagte er. In der Bosporus-Metropole leben nach offiziellen Angaben etwa 550.000 Syrer. Hinzu kommen weitere Flüchtlinge, die aus anderen Landesteilen oder direkt aus Syrien ohne staatliche Registrierung nach Istanbul gekommen sind. Es sei nichts dagegen einzuwenden, Syrer ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung für Istanbul auf andere türkische Städte zu verteilen, sagte Oppositionsaktivist Hoca. Doch dann habe die Regierung plötzlich mit den Deportationen nach Idlib begonnen.
Idlib ist die letzte Rebellenhochburg in Syrien und wird größtenteils von islamistischen Extremisten beherrscht. Hoca sagte, die deportierten Flüchtlinge seien der Verfolgung durch die Extremisten und den Bombardements der syrischen und russischen Luftwaffe in Idlib ausgesetzt. Erst vor wenigen Tagen starben bei neuen Luftangriffen in Idlib mehrere Dutzend Menschen.
Innenminister Süleyman Soylu sagte dem türkischen Nachrichtensender NTV, Syrer in der Türkei hätten einen Schutzstatus und würden nicht abgeschoben. Flüchtlinge aus anderen Ländern wie Afghanistan werden dagegen in ihre Heimatländer zurückgebracht. Laut Soylu wurden seit Jahresbeginn bereits 43.000 Menschen deportiert, die ohne gültige Papiere in die Türkei gekommen waren. Soylu bestätigte, dass die Polizei mit Razzien in Istanbuler Betrieben nach illegal beschäftigten Syrern sucht. Bis zum 20. August sollen alle syrischen Flüchtlinge, die ohne Aufenthaltspapiere in Istanbul sind, die Stadt verlassen.
Jahrelang hatten die Türken die Anwesenheit der Syrer in ihrem Land mit großem Verständnis hingenommen. Besonders die derzeitige Wirtschaftskrise hat die Stimmung aber umschlagen lassen. Die Syrer gelten als Konkurrenten auf einem Arbeitsmarkt, auf dem es viele Türken sehr schwer haben, einen Job zu finden. In einer Umfrage sagten jüngst fast 90 Prozent der Teilnehmer, sie lehnten das Argument der Regierung ab, die Aufnahme der Syrer sei eine humanitäre Pflicht.