Letzte Chance Hockenheim
Will Sebastian Vettel noch mal in den Kampf um den WM-Titel eingreifen, muss er den Heim-Grand-Prix gewinnen. Auch für die Fans könnte es die letzte Gelegenheit sein, die Formel-1-Boliden auf einer deutschen Strecke zu sehen.
HOCKENHEIM Der Hockenheimring ist Sebastian Vettels Heimstrecke. 40 Kilometer entfernt ist er in Heppenheim aufgewachsen. 1994 sah er in Hockenheim zusammen mit seinem Vater sein erstes Formel-1-Rennen live. Damals war er sieben Jahre alt. 25 Jahre später ist er viermaliger Weltmeister und fährt wie einst sein Idol Michael Schumacher im Ferrari.
Zu seinem Wohnzimmer ist der Hockenheimring bisher aber nicht geworden. Bei bisher sechs Starts landete er einmal auf dem Podium: 2010 als Dritter. Vergangene Saison dann Vettels Drama in Hockenheim: Als WM-Führender war er angereist. Als Führender ins Rennen gegangen. Bis 15 Runden vor Schluss führte er das Feld an. Der erste Sieg beim Heim-Grand-Prix schien sicher. Dann kam der Regen. Vettel patzte und rutschte in der Sachskurve ins Kiesbettet. Sein Ferrari landete in der Streckenbegrenzung. Entsetzen auf den Rängen. In der Ferrari-Box. Bei Vettel. Der Traum vom Sieg geplatzt. Vettels WM-Konkurrent Lewis Hamilton gewann im Mercedes das Rennen – und am Ende der Saison auch die WM. Es war die Wende zum Absturz für Vettel und Ferrari in der Gesamtwertung.
In dieser Saison sind die Vorzeichen völlig andere. Der erste Titel mit Ferrari scheint schon nach zehn Rennen soweit entfernt wie ein Rennen auf dem Hockenheimring in der Saison 2020. Für beides braucht es mindestens ein kleines Motorsport-Wunder. Vettel liegt vor dem Großen Preis von Deutschland auf Rang vier der WM-Wertung – 100 Punkte hinter Weltmeister Lewis Hamilton, der auf dem Weg zu Titel Nummer sechs ist. Beherrschten die Ferraris noch die Saisonvorbereitungen, passt bei dem Deutschen und seinem SF90 seit dem ersten Rennen nichts mehr zusammen. Vettel findet nicht die passende Balance für seinen Boliden. Das Heck ist zu instabil. Vettel fehlt das Vertrauen in sein Fahrzeug. Das Gefühl, es jeder Zeit beherrschen zu können.
Und wenn es dann doch mal ganz gut lief, dann patzte er selbst, wie zuletzt in Silverstone, als er auf Max Verstappen auffuhr, oder das Team machte Fehler. Null Siege, jeweils zwei zweite und dritte Plätze – das ist Vettels Podestbilanz 2019. Will der Heppenheimer noch mal in den Kampf um den WM-Titel eingreifen, dann muss er diesmal auf dem Hockenheimring die Wende einleiten – es dürfte seine letzte Chance sein.
Es ist nicht nur die letzte Chance, noch mal ein gefährlicher Konkurrent für Hamilton in dieser Saison zu werden. Es dürfte wohl auch die vorerst letzte Chance sein, sich in die Siegerliste auf seinem Heimring einzutragen. Die letzte Chance für Tausende deutsche Fans, Vettel als Sieger in Hockeheim zu bejubeln. Denn der Große Preis von Deutschland steht vor dem Aus in der Formel 1.
2020 wird es wieder 21 Rennen geben. Hanoi in Vietnam und Zandvoort in den Niederlanden kommen neu hinzu. Also müssen zwei Strecken gestrichen werden. Neben Barcelona und Mexiko steht auch der Hockenheimring auf der Streichliste der Formel-1-Chefs. Formel-1-Geschäftsführer Chase Carey sagte der „Sport-Bild“: „Die Gespräche sind kompliziert, aber unsere Begeisterung für Deutschland und den deutschen Markt wird immer bleiben.“Für die Betreiber des Rings ist die Formel 1 ein Zuschussgeschäft geworden. Die hohen Antrittskosten für die Formel 1 sind nicht mehr zu finanzieren. „Eine Hintertür gibt es, aber ich sehe im Moment wenige Chancen“, sagte Hockenheimring-Geschäftsführer Georg Seiler der Deutschen Presse-Agentur.
1970 fand auf dem Traditionskurs das erste Formel-1-Rennen statt. Erster Sieger auf dem heute 4,574 Kilometer langen Kurs war damals Jochen Rindt. Als letzter Sieger würde gerne Vettel in die Geschichte der 1932 gebauten Rennstrecke eingehen. Und vielleicht ist es wenigstens für Vettel ein gutes Omen, dass er mit seinem bisher einzigen Triumph auf deutschem Boden im Jahr 2013 der letzte Sieger in der Königsklasse auf dem Nürburgring war.