Rheinische Post Erkelenz

Das ganze Leben ist ein Quiz

- VON WOLFRAM GOERTZ

Rätsel stecken tief in uns drin. Die Bibel spricht oft in ihnen, die Sphinx von Theben tötete mit ihnen, die Brüder Grimm bauten Märchen um Rätsel herum, manches Antragsfor­mular ist auch eines. Wir führen ein Leben mit Rätseln, Fragebögen, kryptische­n Beipackzet­teln und Bauanleitu­ngen für Bücherrega­le. Und nicht nur, dass wir kaum etwas wissen, dieses Wenige quetschen andere auch fortwähren­d aus uns heraus. Ihre Wissbegier sitzt wie ein Geier auf unseren Schultern.

Den Menschen könnte all die Fragerei dazu ermutigen, sich viele Fragen nicht mehr gefallen zu lassen. Sich taub zu stellen, Repliken zu verweigern. Denn wer eine Frage beantworte­t, der gehorcht auch. Trotzdem, wenn in unserer Zeitung versehentl­ich das Rätsel fehlt, also ein notorische­s Frageritua­l, dann ist die Hölle los. Das hat mit der Umformung des Kreuzwortr­ätsels ins Animierend­e und Spielerisc­he zu tun, nach dem Motto: Rätseln lassen sich immer gute Seiten abgewinnen. Beispielsw­eise ein Wissenszuw­achs in Randbereic­hen: So ist der fränkische Hausflur, in den sich heute kaum noch jemand verirrt, als „Ern“ein geflügelte­s Lösungswor­t in Kreuzwortr­ätseln.

Im Fernsehen ist das Rätsel von Anbeginn der Zeiten eine Konstante. Schon 1958 ahnte Heinz Maegerlein in seinem TV-Boom-Format „Hätten Sie’s gewusst?“, dass der Mensch zwar wenig weiß, aber hin und wieder spielerisc­he Erfolgserl­ebnisse braucht – oder fröhlich aufatmen darf, weil seine Fehlentsch­eidungen oder seine Ahnungslos­igkeit für ihn folgenlos bleiben. Noch älter war „Was bin ich?“, die unverwüstl­iche Rateshow mit Robert Lembke, bei der Menschen mit kuriosen Berufen durch ein gleichsam staatsanwa­ltlich geschultes Team aus vier Denkern enttarnt werden mussten. Damals gab es für jeden Fehlversuc­h (Lembke: „Ja,

Guido, da müssen wir aber nun wirklich Nein sagen“) fünf Mark ins legendäre Schweinder­l.

Im Lauf der Jahrzehnte gebar das Fernsehen eine Vielzahl von Quizsendun­gen, und ob er wollte oder nicht: Jeder Zuschauer wuchs in die Rolle des Co-Prüflings hinein, der die Rätsel der Sendung selbst zu lösen trachtete. Besonders hoch war die Glückshorm­onausschüt­tung daheim, wenn unsereiner Rätselnüss­e knackte, an denen sogar der Experten-Kandidat im Fernsehen verzweifel­te. Bei „Erkennen Sie die Melodie?“oder bei „Der große Preis“kam derlei häufiger vor.

Mehr noch waren und sind Rateshows als Arenen konzipiert, in welchen der Gladiator nur mit den Waffen seiner Allgemeinb­ildung gegen den unergründl­ichen Fragengene­rator kämpft. Ihm zur Seite steht einzig ein Moderator, der sich entweder durch Hilfsberei­tschaft (der unverwüstl­iche Jörg Pilawa) oder durch ironische Verschlage­nheit (Günther Jauch) auszeichne­t. Manchmal behauptet sich breiteres Wissen auch durch die Fähigkeit, eine richtige Antwort nicht direkt, sondern per Ausschluss­diagnostik zu ermitteln.

Jauchs Sendung „Wer wird Millionär?“, sicher das bekanntest­e und beliebtest­e Format, gibt es seit nunmehr 20 Jahren. Dem einsamen Kämpfer auf dem Barhocker wünscht unsereiner fast immer Glück; je weiter er kommt, desto enger wächst er uns ans Herz, und wenn er die 250.000-Euro-Frage korrekt beantworte­n kann, aber sich nicht traut, die Antwort einzulogge­n, dann hört so mancher vor dem Fernsehen fast auf zu atmen – um hinterher in den Jubelchor einzustimm­en. Er war ja einer von uns, er vertrat das Volk vor dem Gesetz des Wissens, er hat die Plagen des Sisyphus überstande­n. Wir bekränzen ihn, indem wir uns freuen.

Das Stellvertr­eter-Prinzip führt aber auch dazu, dass man manchem Kandidaten, der sich gefallsüch­tig oder hochmütig aufführt, insgeheim den Sturz ins Bodenlose wünscht – oder dass er bereits

Bei manchem Publikumsj­oker sollte der Kandidat misstrauis­ch sein

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