Das ganze Leben ist ein Quiz
Rätsel stecken tief in uns drin. Die Bibel spricht oft in ihnen, die Sphinx von Theben tötete mit ihnen, die Brüder Grimm bauten Märchen um Rätsel herum, manches Antragsformular ist auch eines. Wir führen ein Leben mit Rätseln, Fragebögen, kryptischen Beipackzetteln und Bauanleitungen für Bücherregale. Und nicht nur, dass wir kaum etwas wissen, dieses Wenige quetschen andere auch fortwährend aus uns heraus. Ihre Wissbegier sitzt wie ein Geier auf unseren Schultern.
Den Menschen könnte all die Fragerei dazu ermutigen, sich viele Fragen nicht mehr gefallen zu lassen. Sich taub zu stellen, Repliken zu verweigern. Denn wer eine Frage beantwortet, der gehorcht auch. Trotzdem, wenn in unserer Zeitung versehentlich das Rätsel fehlt, also ein notorisches Frageritual, dann ist die Hölle los. Das hat mit der Umformung des Kreuzworträtsels ins Animierende und Spielerische zu tun, nach dem Motto: Rätseln lassen sich immer gute Seiten abgewinnen. Beispielsweise ein Wissenszuwachs in Randbereichen: So ist der fränkische Hausflur, in den sich heute kaum noch jemand verirrt, als „Ern“ein geflügeltes Lösungswort in Kreuzworträtseln.
Im Fernsehen ist das Rätsel von Anbeginn der Zeiten eine Konstante. Schon 1958 ahnte Heinz Maegerlein in seinem TV-Boom-Format „Hätten Sie’s gewusst?“, dass der Mensch zwar wenig weiß, aber hin und wieder spielerische Erfolgserlebnisse braucht – oder fröhlich aufatmen darf, weil seine Fehlentscheidungen oder seine Ahnungslosigkeit für ihn folgenlos bleiben. Noch älter war „Was bin ich?“, die unverwüstliche Rateshow mit Robert Lembke, bei der Menschen mit kuriosen Berufen durch ein gleichsam staatsanwaltlich geschultes Team aus vier Denkern enttarnt werden mussten. Damals gab es für jeden Fehlversuch (Lembke: „Ja,
Guido, da müssen wir aber nun wirklich Nein sagen“) fünf Mark ins legendäre Schweinderl.
Im Lauf der Jahrzehnte gebar das Fernsehen eine Vielzahl von Quizsendungen, und ob er wollte oder nicht: Jeder Zuschauer wuchs in die Rolle des Co-Prüflings hinein, der die Rätsel der Sendung selbst zu lösen trachtete. Besonders hoch war die Glückshormonausschüttung daheim, wenn unsereiner Rätselnüsse knackte, an denen sogar der Experten-Kandidat im Fernsehen verzweifelte. Bei „Erkennen Sie die Melodie?“oder bei „Der große Preis“kam derlei häufiger vor.
Mehr noch waren und sind Rateshows als Arenen konzipiert, in welchen der Gladiator nur mit den Waffen seiner Allgemeinbildung gegen den unergründlichen Fragengenerator kämpft. Ihm zur Seite steht einzig ein Moderator, der sich entweder durch Hilfsbereitschaft (der unverwüstliche Jörg Pilawa) oder durch ironische Verschlagenheit (Günther Jauch) auszeichnet. Manchmal behauptet sich breiteres Wissen auch durch die Fähigkeit, eine richtige Antwort nicht direkt, sondern per Ausschlussdiagnostik zu ermitteln.
Jauchs Sendung „Wer wird Millionär?“, sicher das bekannteste und beliebteste Format, gibt es seit nunmehr 20 Jahren. Dem einsamen Kämpfer auf dem Barhocker wünscht unsereiner fast immer Glück; je weiter er kommt, desto enger wächst er uns ans Herz, und wenn er die 250.000-Euro-Frage korrekt beantworten kann, aber sich nicht traut, die Antwort einzuloggen, dann hört so mancher vor dem Fernsehen fast auf zu atmen – um hinterher in den Jubelchor einzustimmen. Er war ja einer von uns, er vertrat das Volk vor dem Gesetz des Wissens, er hat die Plagen des Sisyphus überstanden. Wir bekränzen ihn, indem wir uns freuen.
Das Stellvertreter-Prinzip führt aber auch dazu, dass man manchem Kandidaten, der sich gefallsüchtig oder hochmütig aufführt, insgeheim den Sturz ins Bodenlose wünscht – oder dass er bereits
Bei manchem Publikumsjoker sollte der Kandidat misstrauisch sein