Warum Smalltalk eine Flucht ist
Eine Plauderei ist nett. Aber sie bleibt stets unverbindlich und spart Wichtiges aus.
Wir lieben den Smalltalk. Das sogenannte kleine Gerede, die nette Plauderei, bei der man niemandem auf die Pelle rückt. Mit Smalltalk werden oft Schweigemomente überbrückt. Manchmal ist das Gerede geistreich, vielleicht witzig – aber stets unverbindlich. Das sind die Spielregeln von Geplauder: das unausgesprochene Einverständnis aller Teilnehmer, nichts von sich preiszugeben und dafür auch nichts vom anderen wissen zu wollen.
Es gibt eine aktuelle Emnid-Umfrage, worüber Menschen im Gespräch mit Freunden lieber schweigen. Über ihr Gewicht verraten 29 Prozent der Befragten nichts, bei Religion und Glaube
sind es immerhin 31 Prozent. Ein beachtlicher Anteil. Jeder Dritte findet es danach unangemessen, über Gott und seinen Glauben zu reden.
Als sei das etwas ausschließlich Privates! Noch schweigsamer werden die Menschen bei anderen Themen: 40 Prozent sagen besser nichts über Probleme in der Ehe, 45 Prozent schweigen bei den Themen Sex und eigenes Gehalt. Geld und Liebe gelten als ein wohl zu behütendes Geheimnis – und zwar mit gleichem Stellenwert.
Es gibt viele gute Gründe, Privates und Intimes auch privat zu belassen. Das aber ist noch kein Lobgesang auf den Smalltalk. In einer netten, sicher auch unverbindlichen Runde unter Freunden konnte ich einmal erleben, wie die Gastgeberin vorschlug, dass reihum jeder darüber Auskunft gebe, was ihn in den nächsten Monaten umtreiben wird. Sofort setzte ein Schweigen ein, auch ich fühlte mich unbehaglich. Als dann der Erste zu sprechen begann und später Weitere folgten, wurde es ein unvergesslicher Abend. Wie viel man vom anderen erfuhr! Und wie sehr man sich selbst über das eigene Tun plötzlich beim Sprechen klarer wurde! Smalltalk kann nett und gar eine Kunst sein. Doch manchmal ist es auch eine Flucht.
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