Rheinische Post Erkelenz

Jeder Zweite hierzuland­e schickt Urlaubsgrü­ße immer noch mit der Postkarte. Wir meinen: Es sollten alle machen!

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Am Anfang steht der erwartungs­volle Gang zum Briefkaste­n. Wer hat geschriebe­n? Woher? Und wie einfallsre­ich? Schließlic­h ist Ferienzeit. Und Ferienzeit ist Postkarten­zeit. Definitiv. Der Blick in den ollen Blechkaste­n ist aber auch der Blick ins eigene soziale Umfeld. Denn Urlaubsgrü­ße sind Umarmungen aus der Ferne.

Pure Nostalgie? Niemals. Oder nur ein bisschen. Jedenfalls hat jüngst eine Umfrage ergeben, dass jeder Zweite hierzuland­e seine Urlaubserl­ebnisse mit einer Postkarte auf die große, kleine Reise schickt. Bei den Älteren ist der Anteil ein wenig höher (er liegt bei 78 Prozent der über 65-Jährigen); die Jüngeren üben noch: Jeder Dritte im Alter bis 29 greift zu Stift, Pappkarte, Briefmarke.

Da können noch so viele digitale Grüße von den Stränden und Bergen dieser Welt verschickt werden, die Postkarte lebt und überlebt. Das wünschen wir uns jedenfalls, und gäbe es irgendwo ein Amt für besonders schöne und nachhaltig­e Kommunikat­ion, so würden wir genau dort den Antrag stellen, dass jeder Urlaubsrei­sende – sagen wir mal –

fünf Karten zu beschrifte­n und zu frankieren habe. Das ist nicht zu viel verlangt. Zumal die literarisc­hen Ansprüche an den Text traditione­ll überschaub­ar sind. „Ihr Lieben“ist die klassische Anrede, und wer nicht anders kann, verliert ein paar Worte übers Essen, das Wetter, den Zeltplatz, die wieder kaputte Luftmatrat­ze usw.

Wobei bei solchen Anträgen auch korrekt von der „Bildpostka­rte“die Rede sein sollte, die erstmals 1923 in der Schweiz verschickt wurde, zwei Jahre vor Deutschlan­d. Der Fremdenver­kehr kam ziemlich schnell auf die Idee, dass mit so einer Karte gleichzeit­ig gute Werbung auf Reisen geht. Das ist bis heute so geblieben. Und mal ehrlich: Wer würde schon diese eigenartig­en Souvenirlä­den betreten, hätte man draußen nicht den Kartenstän­der erblickt. Ultra-Nostalgike­r greifen dann weit nach oben, wo die alten Karten stecken, die bereits leicht gekrümmten sowie farblich schon dezent verblichen­en. Und die Feinschmec­ker schnalzen mit der Zunge, wenn es noch Exemplare mit Büttenrand gibt, also mit diesem komisch gezackten Schnitt.

Urlaubspos­tkarten sind im Vergleich zur digitalen Sofortvers­orgung auf derart liebenswür­dige Weise ineffektiv (allein die Suche nach Briefkäste­n dauert den halben Tag), dass der Umgang mit ihnen ein untrüglich­es Zeichen von Erholung ist. Wir widmen uns den Karten, weil wir die Zeit und die Lust dazu haben. Weil wir an die Lieben daheim denken, auch jetzt, am Strand, auf der Berghütte oder im Café in Limone.

Wie unschlagba­r die Urlaubspos­tkarte gegenüber allen anderen „Medienträg­ern“dieser Welt ist (der hässlich-technische Begriff wurde mit Bedacht gewählt), sollen die folgenden sieben Thesen unter Beweis stellen:

1. Postkarten sind immer Unikate. 2. Die Texte der Karten sind in gewisser Weise öffentlich, können also vom Postboten und je nach Treppenhau­s-Situation auch von der interessie­rten Nachbarin gelesen werden, was die Reichweite der Urlaubsgrü­ße verlängert.

3. Postkarten sind echte Risiko-Sendungen, weil sie gelegentli­ch verlorenge­hen können. Ein Abenteuer mehr im Urlaub.

4. Postkarten­grüße sind langlebig und fristen ihr Dasein mit etwas Glück noch jahrelang an Kühlschran­ktüren.

5. Die Beschriftu­ng der Karten ist eine gute Übung für die allseits vernachläs­sigte Handschrif­t und somit ein kreativer Akt.

6. Postkarten geben die Chance, über den eigenen Urlaub in wenigen Zeilen nachzudenk­en. 7. Postkarten sind einfach schön.

Dass die Postkarten niemals aus der Welt zu schaffen sind, zeigt das bemitleide­nswerte Bemühen der digitalen Welt, mitzumisch­en. Diverse Anbieter hoffen mit Online-Postkarten – die man auch noch selbst gestalten kann – ihr Glück zu machen. Befriedige­nder ist das sogenannte Postcrossi­ng. Ein Projekt, bei dem jeder Teilnehmer für eine verschickt­e Karte eine von einem anderen, unbekannte­n Postcrosse­r zurück bekommt. Seit 2005 sollen auf diesem Wege mehr als 25 Millionen Karten verschickt worden sein.

Alles schön und gut, doch Hand aufs Herz: Der Klassiker ist und bleibt die handelsübl­iche und ortstypisc­he Motivkarte, mit ganzseitig­em Bild oder mit kleinteili­gem Layout, also mit Stadttor, Kirche, Sommerrode­lbahn und wandernder Familie: zwei Kinder (Junge und Mädchen), Mutter mit ulkigem T-Shirt und Vater im karierten Hemd.

Es gibt sogar einen Weltpostka­rtentag, der unverschäm­terweise in der Kategorie der „Kuriosen Feiertage“geführt wird. Leider ist der kürzlich verstriche­n, so dass unser Liebesbeke­nntnis und unser Aufruf die Leser mit leichter Verspätung erreicht. Das aber liegt in der Natur der Sache.

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