Die große Überfahrt
Greta Thunberg lässt sich nach New York segeln. Die Reise verursacht wohl mehr CO2, als wenn sie mit ihrem Vater geflogen wäre.
PLYMOUTH (dpa/lukra) Greta Thunberg twittert auch auf hoher See. „Schulstreik, Woche 52“, schrieb die 16-jährige Schwedin am Freitag von ihrer Atlantiküberquerung per Segelboot, und: „47 Grad 17 Minuten Nord, 13 Grad 17 Minuten West.“Das ist ein Punkt im östlichen Atlantik, etwa 500 Kilometer westlich der Bretagne. Thunberg hält ihr bekanntes „Schulstreik fürs Klima“-Plakat; hinter ihr zeigt das Foto raue See mit weißen Wellenkämmen. Schon am Donnerstag hatte Thunberg geschrieben: „Eine sehr unruhige Nacht.“Wie die Live-Ortung des Bootes zeigte, war die Hochseejacht „Malizia“am Freitagnachmittag noch rund 2600 Seemeilen (4800 Kilometer) Luftlinie entfernt von ihrem Ziel New York.
Thunberg war am Mittwoch vom südenglischen Plymouth aus zu ihrem angekündigten Transatlantik-Törn aufgebrochen. Sie vermeidet Flugreisen, weil dabei viele klimaschädliche Treibhausgase freigesetzt werden. Mit an Bord sind neben den Profiseglern Boris Herrmann und Pierre Casiraghi auch ihr Vater Svante und ein Filmemacher.
Die große Reise ist einer Recherche nach allerdings deutlich weniger umweltfreundlich, als es den Anschein hat. Das berichtete die Tageszeitung „Taz“. Denn nach der Ankunft in New York werde die Jacht von etwa fünf Seglern wieder zurück nach Europa gebracht. Diese müssten dafür zunächst in die USA fliegen. Auch Thunbergs Skipper werde die Rückreise aus den Vereinigten Staaten mit dem Flugzeug antreten. Der Segeltörn löse also sechs Flugreisen über den Atlantik aus – wären Thunberg und ihr Vater geflogen, wären es weniger gewesen. Der Emissionsrechner der Organisation Atmosfair berechne für einen Flug von New York nach Hamburg einen Ausstoß von rund 1800 Kilogramm klimaschädlichen Kohlendioxids.
Diese Rechnung sei den Seglern bekannt, sagte Herrmanns Sprecher Andreas Kling. Es gehe aber nicht darum, mit der Aktion allein das Klima zu retten, sondern man wolle Aufmerksamkeit erregen. Darum gehe es auch Thunberg. Wie sie selbst nach Abschluss ihrer Reise nach Europa zurückkehrt, sei noch offen. Es sei nicht auszuschließen, dass sie erneut mit dem Segelboot fahre – je nachdem, wie es ihr auf der Atlantiküberquerung ergehe. „Viele von uns eingefleischten Seglern haben so etwas noch nie gemacht, und sie ist ja keine Seglerin“, sagte Kling.
Über den Atlantik reist die Aktivistin, um unter anderem am UN-Klimagipfel in New York im September sowie an der alljährlichen Weltklimakonferenz in Chile im Dezember teilzunehmen. Thunberg geht es darum, den weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen rapide zu senken, damit der Anstieg der globalen Erdtemperatur im Idealfall noch auf unter 1,5 Grad Celsius begrenzt werden kann. Bis heute hat sich die Temperatur bereits um rund ein Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter
erhöht. Die Welt müsse auf die Erkenntnisse der Forschung hören und im Kampf gegen die Klimakrise handeln, fordert Thunberg.
Die Medienpräsenz der 16-Jährigen ist nach Ansicht des Forschers Volker Lilienthal kein Selbstläufer, sondern muss immer neu mit Aktionen wie der Überfahrt befeuert werden. Greta sei für die Medien eine ähnliche Ikone wie Mahatma Gandhi oder Rudi Dutschke, sagte der Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg. Allerdings sei Thunberg „insofern geschichtlich neu, als es meines Wissens noch nie ein Kind gab, das deutlich so eine Tendenz verkörperte“.