Der Widerrufsjoker kann sich lohnen
Eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung führt für Kreditnehmer unter bestimmten Voraussetzungen zu einem ewigen Widerrufsrecht, dem sogenannten Widerrufsjoker. Auf diese Weise lassen sich Immobilienfinanzierungen nach vielen Jahren wesentlich günstiger gestal
Um den Verbraucher bei Verträgen mit Unternehmen zu schützen, hat der Gesetzgeber in § 355 Bürgerliches Gesetzbuch ein Widerrufsrecht formuliert. Damit kann der Kunde innerhalb von 14 Tagen nach Abschluss eines Kaufoder Dienstleistungsvertrages von diesem ohne finanziellen Aufwand zurücktreten. Das gilt vor allem auch bei Kreditverträgen. Das Unternehmen – in diesem Falle meistens eine Bank – setzt diese 14-tägige Widerrufsfrist durch die Zustellung einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung in Gang. Normalerweise passiert dies mit dem Abschluss des Vertrages, sodass der Verbraucher sein Recht auf Widerruf innerhalb von zwei Wochen wahrnehmen kann.
Das gilt aber nur, wenn die Belehrung bestimmten inhaltlichen und formalen Anforderungen genügt: Kommt der Kreditgeber dieser Pflicht zur Widerrufsbelehrung beziehungsweise Widerrufsinformation nicht oder nicht vollständig nach, beginnt die Frist nie und der Verbraucher kann sich von dem geschlossenen Vertrag jederzeit ohne Begründung lösen. Daher spricht man hier auch vom ewigen Widerrufsrecht, dem sogenannten Widerrufsjoker.
„Das ist natürlich in der heutigen Zeit eine interessante Möglichkeit, einen älteren Darlehensvertrag mit einer hohen Verzinsung abzustoßen und dann im Anschluss neu zu wesentlich günstigeren Konditionen zu finanzieren“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Die Kanzlei befasst sich ausschließlich mit Anleger- und Verbraucherschutzthemen und hat sich neben der Beratung von Betroffenen des Abgasskandals auf den Widerruf von fehlerhaften Darlehensverträgen im Kfz- und Immobilienbereich spezialisiert.
„Der sogenannte Widerrufsjoker ist ein gerichtlich bestätigtes Werkzeug für die Rückabwicklung eines fehlerhaften Vertrags. Wie Haus & Grund, der Verband für Haus-, Wohnungsund Grundeigentümer, betont, seien bis heute deutlich mehr als zehn Millionen Immobiliendarlehensverträge geschlossen worden – die Hälfte davon dürfte fehlerhafte Widerrufsbelehrungen enthalten. Das deckt sich auch mit unserer Erfahrung, sodass viele Millionen Darlehensnehmer davon profitieren können.“Haben Käufer beispielsweise in den letzten Jahren zu fünf oder sechs Prozent ihren Hauskauf finanziert, können sie einen Neuvertrag nach dem Widerruf des bestehenden Darlehens zu einem heute marktüblichen Satz abschließen. Bei einer Zinsbindung von zehn Jahren liegt dieser regelmäßig bei unter zwei Prozent, was eine wesentlich schnellere Rückzahlung möglich machen kann.
Dr. Gerrit W. Hartung warnt aber, dass dies kein Selbstläufer sei. „Auch wenn die Kunden im Recht sind, stimmen Banken dem Widerruf und der Rückabwicklung in der Regel nicht ohne Weiteres zu. Sie beziehen sich unter anderem auch auf das sogenannte Rechtsinstitut der Verwirkung, um den Widerruf seitens der Kunden abzulehnen: Der Kunde habe zu lange mit dem Widerruf gewartet und damit sein Widerrufsrecht verwirkt. Dann ist juristischer Rat gefragt, und oftmals führt der Widerruf auch vor Gericht.“Wichtig sei, die Zinslast genau zu berechnen und die Fehler des Vertrages genau darzulegen, um die Gerichte zu überzeugen, um den Widerruf aufgrund der fehlerhaften Widerrufsbelehrung beziehungsweise Widerrufsinformation durchzusetzen und in der Folge wesentlich günstiger neu finanzieren zu können.
In erster Linie ist der Widerruf von Kredit- und Darlehensverträgen, die nach dem 10. Juni 2010 abgeschlossen worden sind, möglich. In diesen ist oftmals auch der effektive Jahreszins falsch angegeben worden, was wiederum die Rückabwicklung möglich macht. Auch dies könne ein versierter Fachanwalt überprüfen und Berechnungsfehler zu Gunsten des Darlehensnehmers nachweisen, um den Vertrag auch nach vielen Jahren noch rückabzuwickeln. Hartung betont auch, dass die Rechtschutzversicherungen in solchen Widerrufsfällen einspringen müssen. Sie könnten die Deckungszusage nicht einfach verweigern, auch wenn die Versicherung zum Zeitpunkt des Abschlusses des Darlehens- oder Lebensversicherungsvertrags noch nicht bestanden hatte. Denn der Pflichtenverstoß ist die Ablehnung des erklärten Widerrufs durch die finanzierende Bank. „Das hat der Bundesgerichtshof festgestellt. Insofern sollten Darlehensnehmer immer über ihren Rechtsanwalt die Deckung durch die Rechtschutzversicherung einholen lassen, um auf diese Weise die Kostenübernahme sicherzustellen.“
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