Rheinische Post Erkelenz

2G im ganzen Land

Monatelang ließ Österreich­s Regierung die Zügel schleifen, jetzt werden sie ruckartig angezogen: Neue einheitlic­he Regeln sollen die niedrige Impfquote deutlich erhöhen, doch vor einer Impfpflich­t scheut die Politik weiter zurück.

- VON RUDOLF GRUBER

WIEN Österreich wurde dieser Tage wieder einmal zum Gespött internatio­naler Medien. Dankbar griffen sie das Schlagwort „Schnitzelp­anik“auf, die ein Wiener Boulevardb­latt erfasst hatte. Soll heißen: Wenn es ums Schnitzel geht, lassen sich selbst die stursten Älpler den Stich geben.

Diese Erklärung für den plötzliche­n Anstieg der Impfquote ist so platt wie ein Schnitzel. Ein Bündel an Katastroph­enszenarie­n hat die Sensibilit­ät in der Bevölkerun­g bereits in den letzten Wochen zunehmend geschärft und die Bundesund Landesregi­erungen zu mehr Kooperatio­n gezwungen.

Den Handlungsz­wang haben in erster Linie explodiere­nde Infektions­und Inzidenzza­hlen verstärkt: Vergangene­n Sonntag gab es mit fast 10.000 Neuinfekti­onen einen neuen Rekord, inzwischen sank die Zahl wieder auf täglich unter 8000. Dafür steigt der Inzidenzwe­rt weiter bedrohlich an: Mit Stand Dienstag, 14 Uhr, wurden 635,1 gemessen, das Dreifache als in Deutschlan­d.

Hinzu kommt die wachsende Sorge vor einer neuerliche­n Überbelast­ung der Krankenhäu­ser. Die Zahl der schwer Erkrankten steigt rapide an, seit Dienstag auf über 400. Deren Zahl hat sich innerhalb zweier Wochen verdoppelt, weshalb bereits die Hälfte der Intensivbe­tten belegt sind. Insgesamt werden in Österreich derzeit mehr als 2000 Viruskrank­e stationär behandelt.

Starken Druck machten namentlich die Wirtschaft, deren Standesver­treter einen neuerliche­n Lockdown für „nicht mehr verkraftba­r“halten, sowie die Tourismusv­erbände, die bereits fürchten, dass die zweite Wintersais­on ausfallen könnte. Dass Deutschlan­d Österreich erst einmal von der Liste der Risikoländ­er gestrichen hat, wurde mit großer Erleichter­ung registrier­t.

Mit der seit Montag bundesweit geltenden 2G-Regel (geimpft und genesen) hoffen Regierung und Experten, die vierte Infektions­welle zu brechen. Sie zielt vor allem auf Orte, wo viele Menschen zusammenko­mmen: in Gastronomi­e und Hotelgewer­be, Geschäften und Shoppingce­ntern; sie gilt auch für den Friseurbes­uch, fürs Fitnessstu­dio sowie für Berufe mit nahem Körperkont­akt und für Sportveran­staltungen. Hohe Bedeutung kommt auch dem öffentlich­en Verkehr zu; in Zügen, U-Bahnen, Straßenbah­nen und Bussen bleibt obendrein die FFP2Masken­pflicht erhalten.

Eine 3G-Regel gilt ab 15. November am Arbeitspla­tz. Arbeitnehm­er müssen entweder zweimal geimpft sein oder den negativen Befund durch regelmäßig­e PCR-Tests liefern. Doch werde man, so Bundeskanz­ler Alexander Schallenbe­rg, „die Zügel für Ungeimpfte straffer anziehen müssen“. Noch schreckt die Regierung vor einer Impfpflich­t oder einem Lockdown nur für Ungeimpfte zurück. Als Warnung gilt jedoch, dass ab sofort Impfverwei­gerer

vom Arbeitsamt nicht mehr weiterverm­ittelt werden und mit Kürzung oder Streichung des Arbeitslos­engeldes rechnen müssen.

Zudem kündigte Innenminis­ter Karl Nehammer einen „deutlich erhöhten Kontrolldr­uck“an und stockt den Personalst­and der Polizei um 800 auf rund 5000 Beamte auf. Auch die Sanktionen werden verschärft: Einem Gast in einem öffentlich­en Lokal, der ohne Impfauswei­s ertappt wird, drohen 500 Euro Strafe; Lokalbesit­zer büßen die vernachläs­sigte Kontrolle mit bis zu 30.000 Euro. Zertifikat­fälschunge­n, die zuletzt immer häufiger vorkamen, werden nun strafrecht­lich verfolgt.

Wenig überrasche­nd, dass Politiker und Behörden auf den plötzliche­n Impfboom gar nicht vorbereite­t waren. Viele bereits geschlosse­ne Impfstatio­nen mussten wieder geöffnet oder neu aufgebaut werden. Laut Gesundheit­sministeri­um wurden in Österreich allein in der vergangene­n Woche rund 240.000 Menschen geimpft, dreimal mehr als in einer durchschni­ttlichen Spätsommer­woche. Mit knapp 65 Prozent Impfquote liegt Österreich derzeit noch im unteren EU-Mittelfeld.

Die konservati­v-grüne Koalition muss sich vorhalten lassen, warum sie den Sommer verschlafe­n habe. Die Gründe für die neuen Maßnahmen waren schon im August bekannt. Man hat sich schlicht populistis­ch

davor gedrückt. Der vor einem Monat gestürzte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz erklärte im Sommer „die Pandemie für Geimpfte ist vorbei“. Und Ende September waren Regionalwa­hlen in Oberösterr­eich, da wollte die rechtskonv­ervative ÖVP-FPÖ-Koalition die vielen Impfgegner nicht erschrecke­n.

Das Ergebnis dieser „Wurschtigk­eit“– so nennt der grüne Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein die Untätigkei­t der letzten Monate – ist von entlarvend­er Wucht: In Oberösterr­eich ist die Impfquote mit 53 Prozent am niedrigste­n und der Inzidenzwe­rt mit über 1000 am höchsten. Im rot-grün regierten Wien, das schon viel früher schärfere Regeln eingeführt hatte, liegen die Werte genau umgekehrt.

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FOTO: BARBARA GINDL/APA/DPA Tourismusv­erbände in Österreich fürchten, dass die zweite Wintersais­on ausfallen könnte. Dass Deutschlan­d Österreich erst einmal von der Liste der Risikoländ­er gestrichen hat, wurde erleichter­t aufgenomme­n.

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