2G im ganzen Land
Monatelang ließ Österreichs Regierung die Zügel schleifen, jetzt werden sie ruckartig angezogen: Neue einheitliche Regeln sollen die niedrige Impfquote deutlich erhöhen, doch vor einer Impfpflicht scheut die Politik weiter zurück.
WIEN Österreich wurde dieser Tage wieder einmal zum Gespött internationaler Medien. Dankbar griffen sie das Schlagwort „Schnitzelpanik“auf, die ein Wiener Boulevardblatt erfasst hatte. Soll heißen: Wenn es ums Schnitzel geht, lassen sich selbst die stursten Älpler den Stich geben.
Diese Erklärung für den plötzlichen Anstieg der Impfquote ist so platt wie ein Schnitzel. Ein Bündel an Katastrophenszenarien hat die Sensibilität in der Bevölkerung bereits in den letzten Wochen zunehmend geschärft und die Bundesund Landesregierungen zu mehr Kooperation gezwungen.
Den Handlungszwang haben in erster Linie explodierende Infektionsund Inzidenzzahlen verstärkt: Vergangenen Sonntag gab es mit fast 10.000 Neuinfektionen einen neuen Rekord, inzwischen sank die Zahl wieder auf täglich unter 8000. Dafür steigt der Inzidenzwert weiter bedrohlich an: Mit Stand Dienstag, 14 Uhr, wurden 635,1 gemessen, das Dreifache als in Deutschland.
Hinzu kommt die wachsende Sorge vor einer neuerlichen Überbelastung der Krankenhäuser. Die Zahl der schwer Erkrankten steigt rapide an, seit Dienstag auf über 400. Deren Zahl hat sich innerhalb zweier Wochen verdoppelt, weshalb bereits die Hälfte der Intensivbetten belegt sind. Insgesamt werden in Österreich derzeit mehr als 2000 Viruskranke stationär behandelt.
Starken Druck machten namentlich die Wirtschaft, deren Standesvertreter einen neuerlichen Lockdown für „nicht mehr verkraftbar“halten, sowie die Tourismusverbände, die bereits fürchten, dass die zweite Wintersaison ausfallen könnte. Dass Deutschland Österreich erst einmal von der Liste der Risikoländer gestrichen hat, wurde mit großer Erleichterung registriert.
Mit der seit Montag bundesweit geltenden 2G-Regel (geimpft und genesen) hoffen Regierung und Experten, die vierte Infektionswelle zu brechen. Sie zielt vor allem auf Orte, wo viele Menschen zusammenkommen: in Gastronomie und Hotelgewerbe, Geschäften und Shoppingcentern; sie gilt auch für den Friseurbesuch, fürs Fitnessstudio sowie für Berufe mit nahem Körperkontakt und für Sportveranstaltungen. Hohe Bedeutung kommt auch dem öffentlichen Verkehr zu; in Zügen, U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen bleibt obendrein die FFP2Maskenpflicht erhalten.
Eine 3G-Regel gilt ab 15. November am Arbeitsplatz. Arbeitnehmer müssen entweder zweimal geimpft sein oder den negativen Befund durch regelmäßige PCR-Tests liefern. Doch werde man, so Bundeskanzler Alexander Schallenberg, „die Zügel für Ungeimpfte straffer anziehen müssen“. Noch schreckt die Regierung vor einer Impfpflicht oder einem Lockdown nur für Ungeimpfte zurück. Als Warnung gilt jedoch, dass ab sofort Impfverweigerer
vom Arbeitsamt nicht mehr weitervermittelt werden und mit Kürzung oder Streichung des Arbeitslosengeldes rechnen müssen.
Zudem kündigte Innenminister Karl Nehammer einen „deutlich erhöhten Kontrolldruck“an und stockt den Personalstand der Polizei um 800 auf rund 5000 Beamte auf. Auch die Sanktionen werden verschärft: Einem Gast in einem öffentlichen Lokal, der ohne Impfausweis ertappt wird, drohen 500 Euro Strafe; Lokalbesitzer büßen die vernachlässigte Kontrolle mit bis zu 30.000 Euro. Zertifikatfälschungen, die zuletzt immer häufiger vorkamen, werden nun strafrechtlich verfolgt.
Wenig überraschend, dass Politiker und Behörden auf den plötzlichen Impfboom gar nicht vorbereitet waren. Viele bereits geschlossene Impfstationen mussten wieder geöffnet oder neu aufgebaut werden. Laut Gesundheitsministerium wurden in Österreich allein in der vergangenen Woche rund 240.000 Menschen geimpft, dreimal mehr als in einer durchschnittlichen Spätsommerwoche. Mit knapp 65 Prozent Impfquote liegt Österreich derzeit noch im unteren EU-Mittelfeld.
Die konservativ-grüne Koalition muss sich vorhalten lassen, warum sie den Sommer verschlafen habe. Die Gründe für die neuen Maßnahmen waren schon im August bekannt. Man hat sich schlicht populistisch
davor gedrückt. Der vor einem Monat gestürzte Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte im Sommer „die Pandemie für Geimpfte ist vorbei“. Und Ende September waren Regionalwahlen in Oberösterreich, da wollte die rechtskonvervative ÖVP-FPÖ-Koalition die vielen Impfgegner nicht erschrecken.
Das Ergebnis dieser „Wurschtigkeit“– so nennt der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein die Untätigkeit der letzten Monate – ist von entlarvender Wucht: In Oberösterreich ist die Impfquote mit 53 Prozent am niedrigsten und der Inzidenzwert mit über 1000 am höchsten. Im rot-grün regierten Wien, das schon viel früher schärfere Regeln eingeführt hatte, liegen die Werte genau umgekehrt.