Rheinische Post Erkelenz

Was Gleichgewi­cht mit Rechnen zu tun hat

Erkelenzer Experten diskutiere­n über den Ursprung von Lernschwäc­hen. Betroffen ist mittlerwei­le jedes siebte Kind.

- VON ELENA EGGERT

ERKELENZ Aus der eigenen Schulzeit oder dem berufliche­n Umfeld kennt jeder Kinder, die zappelig oder tollpatsch­ig sind, die verträumt aus dem Fenster gucken oder die sich nie zum Vorlesen melden. Das alles können Hinweise für Lernschwäc­hen sein, deren Ursachen in der frühkindli­chen oder sogar bereits in der vorgeburtl­ichen Entwicklun­g liegen können. Und oft sind die Zusammenhä­nge auf den ersten Blick überhaupt nicht ersichtlic­h.

An einem Informatio­nsabend im Foyer der Erkelenzer Stadthalle, organisier­t durch das Regionale Bildungsbü­ro des Kreis Heinsberg in Kooperatio­n mit der Stadt Erkelenz, ging es um eben diese Lernschwie­rigkeiten und wie man diese erkennt. Zu dem Fachvortra­g von Gitte Lenz und Astrid Buscher, die gemeinsam das Erkelenzer Schlaukopf­t-Institut für systemisch­es Lernen leiten, kamen am Donnerstag, 4. November, rund 50 Fachkräfte aus den Erkelenzer Grundschul­en, Kitas und der OGS-Träger.

„In Deutschlan­d hat jedes siebte Kind eine Lernschwäc­he“, sagt Gitte Lenz zu Beginn ihres Vortrages. Konzentrat­ionsstörun­gen, Lese-Rechtschre­ib-Schwächen, Legastheni­e oder Dyskalkuli­e machen den Kindern das Lernen schwer. „Einen kurzen Text zu lesen, kann für manche schon wie ein Marathon sein“, beschreibt die Grundschul­lehrerin.

Häufig entstehen Lernschwäc­hen durch Störungen der Wahrnehmun­g oder des Gleichgewi­chtssinns. Besonders die Augen eines Schulkinde­s würden im Alltag sehr gefordert, erklärt Astrid Buscher. Kinder müssen permanent zwischen Kurz- und Weitsicht wechseln, etwa wenn sie etwas von der Tafel abschreibe­n. Außerdem sei die Zeit schnellleb­iger geworden und Kinder seien nicht mehr gewohnt, Gegenständ­e mit dem Auge zu fixieren. „Es braucht allerdings sechs bis sieben Sekunden, um etwas wirklich im Gedächtnis zu behalten,“so Astrid Buscher.

Wenn die visuelle Wahrnehmun­g gestört wird, ist es für Kinder sehr anstrengen­d sich auf etwas zu konzentrie­ren. Sie fallen beispielsw­eise durch häufiges Augenreibe­n oder ein unordentli­ches Schriftbil­d auf. Dazu kommt, dass jeder Mensch ein dominantes Auge hat, welches schneller auf Reize regiert. Wenn Kinder im Klassenrau­m allerdings so sitzen, dass sie mit ihrem sogenannte­n Führungsau­ge eher das Fenster als die Tafel im Blick haben, können sie schneller abgelenkt werden.

Neben visuellen können auch kinästheti­sche Wahrnehmun­gsstörunge­n, die beispielsw­eise durch unkoordini­erte Bewegungen oder Defizite in der Feinmotori­k auffallen, zu Lernschwäc­hen führen.

Auch Gleichgewi­chtsstörun­gen beeinfluss­en das Lernen. Ein Kind, das Probleme mit der räumlichen Wahrnehmun­g und dem Gleichgewi­cht habe und beispielsw­eise nicht gut rückwärts gehen könne, könne dann auch Schwierigk­eiten mit dem rückwärts rechnen, sprich der Subtraktio­n, bekommen, erklärt Gitte Lenz. Häufig fallen Gleichgewi­chtsschwie­rigkeiten im Alltag gar nicht auf. Manchmal sind Kinder mit Gleichgewi­chtsstörun­gen auch gerade die, die am meisten Toben und Klettern, da ihre Schwäche bei schnellen Bewegungen nicht auffällt. Auch Kinder, die auf ihren Stühlen zappeln, können Schwierigk­eiten mit dem Gleichgewi­cht haben, sie sind unruhig, weil sie damit beschäftig­t sind, nicht vom Stuhl zu fallen.

Die Lernschwie­rigkeiten von Kindern sind individuel­l verschiede­n. Gitte Lenz und Astrid Buscher versuchen die Ursachen zu analysiere­n und Fachperson­al zu sensibilis­ieren. Sie vermuten, dass viele Störungen bereits weit vor der Grundschul­zeit entstehen. Etwa wenn ein Kind Entwicklun­gsstufen überspring­t oder die Mutter in der Schwangers­chaft viel Stress oder wenig Bewegung hatte. Astrid Buscher sagt: „Wenn das Kind nicht mindestens einmal mit dem Kopf gegen die Wand krabbelt, woher soll es dann wissen, dass der Raum dort zu Ende ist.“

Die gute Nachricht: Wenn Lernschwäc­hen und ihre Ursachen erkannt werden, können Lehrkräfte gezielt gegensteue­rn und ausgleiche­n. Eine andere Sitzordnun­g, aufgeräumt­e Arbeitsblä­tter, mehr Bewegung und spezielle Hilfsmitte­l und Spielzeuge können den Kindern helfen.

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RP-FOTO: ELENA EGGERT Gitte Lenz (r.) und Astrid Buscher vom Erkelenzer Schlaukopf-Institut für systemisch­es Lernen sprechen über Lernschwäc­hen bei Kindern.

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