Leben mit „Querdenkern“
Angehörige haben jetzt die erste Selbsthilfegruppe in NRW gegründet.
DÜSSELDORF Wenn die Mutter, der Vater oder die eigenen Geschwister Corona leugnen, vielleicht auch mit „Querdenkern“durch die Straßen ziehen, kann das den Familienfrieden gefährden. Wie dringend und verbreitet das Problem ist, zeigt die Resonanz auf eine neue Selbsthilfegruppe für Angehörige aus dem Spektrum Impfgegner und CoronaLeugner in Bochum – die erste zu diesem Thema in NRW. „Ich habe noch nie erlebt, dass sich in so kurzer Zeit so viele Betroffene bei uns gemeldet haben“, sagt Maren Winter (Name geändert), Mitarbeiterin in der Selbsthilfekontaktstelle Bochum. Innerhalb der Rekordzeit von zwei Tagen war die Gruppe voll, angerufen wurde aber auch weiterhin, und zwar aus ganz NRW. „Diese Menschen haben wir dann an die Kontaktstellen in den jeweiligen Städten verwiesen“, sagt Winter: „Das Thema brennt offensichtlich unter den Nägeln.“
Tatsächlich zeigt die Erfahrung hinsichtlich Selbsthilfegruppen, dass der Leidensdruck groß sein muss, bevor Betroffene zum Telefon greifen. So war es auch bei der Gründerin der Bochumer Gruppe, wie sie dem WDR erzählte. Gespräche mit ihrem
Vater, der das Virus für eine Erfindung halte und Impfen für gesundheitsschädlich, seien regelmäßig in Schreierei und Schuldzuweisungen geendet. Sie habe danach stundenlang geweint und sei überzeugt gewesen, den Vater verloren zu haben. Durch viele Familien ziehe sich ein Riss, sagt auch Winter nach den Gesprächen, die sie geführt hat, dazu komme die ständige Konfrontation
Maren Winter Selbsthilfekontaktstelle Bochum
mit dem Andersdenkenden. „Die Beziehung kann man ja nicht einfach auf Eis legen wie eine Freundschaft“, sagt Winter, „man bleibt ja Tochter, Sohn, Vater, Enkel oder Ehefrau.“
Alle Betroffenen treibt die Angst um, den Kontakt zu ihren Angehörigen zu verlieren. Winter berichtet von Anrufern, die von ihren Eltern ausquartiert wurden oder die das Weihnachtsfest getrennt von der Familie gefeiert haben. Eine Mutter habe erzählt, dass sie ihr Kind nicht zu dessen Großvater lassen wolle, aus Sorge, es könne sich bei dem Corona-Leugner und Impfgegner anstecken oder beeinflussen lassen. Solche Differenzen seien zudem nicht schnell zu kitten. „Da sagt man nicht: So, wir haben das ausdiskutiert, jetzt ist alles wieder gut“, erklärt Winter. In den meisten Fällen entstehe ein langfristiges Problem, das das Familienleben belaste.
Selbsthilfegruppen können einen Weg aus solchen Krisen bieten, Lösungen aufzeigen. Konkret im Gespräch mit andersdenkenden Angehörigen heißt das etwa, Gemeinsamkeiten zu suchen, nicht das Trennende zu betonen. Statt sich an Fakten festzuhalten, einen emotionalen Zugang zu suchen, über Gedanken, Ängste und Vorstellungen zu sprechen. Im Fall der Bochumer Gruppengründerin führte das dazu, dass sie zumindest wieder mit dem Vater sprechen kann.
Für die Bochumer Gruppe gibt es mittlerweile eine Warteliste. Mehr als 15 Mitglieder pro Gruppe machten keinen Sinn, sagt Winter. Sie hofft, dass auch in anderen Städten Betroffene solche Gesprächsrunden initiieren. Anlaufstellen sind immer die Selbsthilfekontaktstellen. In Düsseldorf gab es bislang noch keine Anfragen, das Selbsthilfe-Servicebüro (Telefon 0211 8992244) unterstützt aber entsprechende Vorhaben.
„In den meisten Fällen entsteht ein langfristiges
Problem, das das Familienleben belastet“