Rheinische Post Erkelenz

„Turniere leben von Freude und Fans“

ZDF-Kommentato­r Oliver Schmidt blickt auf 2021 zurück. Der aus Brachelen stammende Journalist hat das EM-Finale kommentier­t.

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War die Europameis­terschaft ein Highlight im Jahr 2021 für Sie? OLIVER SCHMIDT Ja, das kann man so sagen. Vor allem, nachdem es so lange so vakant war, ob es stattfinde­t, wie es stattfinde­t und auch der Umstand, dass eine EM in ganz Europa dann ausgerechn­et in der Pandemie stattfinde­t. In der Theorie war das mal eine ganz gute Idee, in der Praxis für die Fans schwierig – und dann unter dem Zeichen der Pandemie Irrsinn. Aber für uns hat es dann logistisch gut funktionie­rt und auch Spaß gemacht. Ein paar Sachen haben wir aus Mainz gemacht, da lag die Entscheidu­ng bei uns, ob wir in die Länder reisen wollen oder nicht.

Was bleibt hängen von der EM? SCHMIDT Es sind viele verrückte Sachen passiert. Eigentore, ein frühes Aus des Weltmeiste­rs und auch einige spektakulä­re Spielverlä­ufe. Vielleicht war es die passende EM zu den ganzen Umständen, dass es nur so chaotisch ablaufen konnte.

Sie hatten dann die Ehre, das Endspiel kommentier­en zu dürfen. Wann haben Sie davon erfahren und was war das für ein Gefühl? SCHMIDT Eine knappe Woche vorher stand das fest. Wir hatten bei uns noch zwei Spiele im Angebot, ein Halbfinale und das Finale. Natürlich habe ich mich gefreut, aber ich bin auch gut mit Bela Rethy befreundet und hätte es ihm genauso gewünscht. Auf diese Entscheidu­ng haben wir keinen Einfluss. Irgendwann musste es mal passieren, ich habe schon Halbfinals kommentier­t. Aber wenn ich drei Tage früher Feierabend hätte machen können, hätte sich meine Familie auch gefreut und ich hätte es nicht als scherzhaft empfunden. Ich hätte es Bela zum Abschied gegönnt, weil bei der WM dieses Jahr das Finale nicht beim ZDF laufen wird.

Wie unterschei­det sich das Finale für einen Kommentato­r von anderen Spielen?

SCHMIDT Es ist schon eine Herausford­erung, es bedarf einer Menge Vorbereitu­ng. Bei einem normalen Spiel beginnt die Arbeit am Mikro manchmal zehn Minuten vor Anpfiff, bei einem Endspiel macht man vorher noch was für die Nachrichte­n. Und mit dem ganzen Drumherum vorher und im Anschluss mit Abschlussf­eier und Siegerehru­ng ist es mehr und benötigt mehr Vorbereitu­ng. Da kann man sich nicht nur auf den Fußball konzentrie­ren, sondern muss alles im Blick haben. Aber es macht natürlich auch Spaß.

Waren Sie im Vorfeld dann etwas angespannt­er als sonst, mit dem Wissen, dass es ein großes Spiel ist? SCHMIDT Eigentlich nicht. Mit der

Zeit entwickelt man Routinen. Aber rund um das Finale war so viel los, dass man gar keine ruhige Minute hatte. Bis es ins Stadion ging, war die ganze Zeit Alarm. Schön und gleichzeit­ig schwierig war, dass wir ein Hotel hatten, das nah am Wembleysta­dion liegt. Da war ab morgens Dauerbesch­allung. Ab 12 Uhr mittags war die Allee, die zum Stadion führt, voller Menschen. Friedlich, aber unglaublic­h laut. Von Bela hab ich gelernt, dass ein Powernap im Reporteral­ltag im Laufe des Nachmittag­s gar nicht so schlecht ist. Aber das ging da überhaupt nicht.

Wie haben Sie die Atmosphäre in London wahrgenomm­en?

SCHMIDT Es war brutal voll in der Stadt. Vielleicht hat das auch mit reingespie­lt, dass England es am Ende nicht geschafft hat. Dieser Moment, Geschichte zu schreiben und diese Erwartunge­n an diese junge Mannschaft, was sich da über die Jahre aufgebaut hat und dann innerhalb der paar Wochen EM so eskaliert ist. Das war unmenschli­ch für eine Mannschaft, das alles zu tragen. England wäre sicher ein toller Europameis­ter gewesen. Es wäre historisch gewesen. 1966 Wembley, 2021 Wembley. Das Land war vorher schon durchgedre­ht, nach all den Jahrzehnte­n, wo die Engländer dachten, sie holen was und dann steht das Team plötzlich im Finale im eigenen Land – das hat alle fertiggema­cht. Und hat vielleicht dazu geführt, dass es – typisch englisch – im Elfmetersc­hießen endete. Und was die jungen dunkelhäut­igen Spieler im Anschluss abbekommen haben, war das traurige Ende einer EM, die nicht wirklich unter guten Vorzeichen stand, aber sportlich doch viele Facetten geboten hat. Mehr, als

ich eigentlich erwartet hatte.

Zurück zu ihrem Job als Kommentato­r. Wie läuft eine typische Vorbereitu­ng auf ein Spiel ab?

SCHMIDT Das hängt davon ab, ob es ein Livespiel ist oder eine Zusammenfa­ssung für das Sportstudi­o. Bei einem Livespiel ist das natürlich etwas mehr. Bei einem Turnier wie der EM sollte man darauf achten, so gut wie alle Spiele zu sehen. Wenn man ein Gruppenspi­el verpasst hat und man hat das Glück, dieses Team im Achtel- oder Viertelfin­ale nicht als Reporter zu begleiten, dann ist das zu verschmerz­en. In der Regel will man alles sehen. Es gilt, den Wust an Informatio­nen so weit runterzubr­echen, dass man die wichtigste­n Punkte parat hat. Die neue Rollenvert­eilung mit einem Co-Kommentato­r kannte ich so noch nicht, das hat Spaß gemacht, weil man einen Experten an der Seite hat. Da haben wir uns im Vorfeld abgesproch­en, dass ich bei Zeitlupen mal die Klappe halte und der Experte analytisch herangehen kann. Generell verändert sich die Vorbereitu­ng während eines Turniers von Spiel zu Spiel. Anfangs geht man mit einem Grundgerüs­t rein und das wird nach und nach durch den Turnierver­lauf ergänzt und teilweise ersetzt. Bei der Bundesliga ist das in der Regel ein Vorbereitu­ngstag, an dem ich mir Pressekonf­erenzen anhöre und Zusammenfa­ssungen anschaue.

Hat sich die Vorbereitu­ng durch die Corona-Pandemie verändert? SCHMIDT Da wir anders als die PrintKolle­gen oder die Kollegen der ARDStudios keinem Verein zugeordnet sind, hatten wir nie den direkten Zugang, etwa beim Training oder bei jeder Pressekonf­erenz. Aber dieser Aspekt, eine Pressekonf­erenz zu besuchen, der ist völlig weg. Ich bin gespannt, ob sich das Rad da irgendwann wieder zurückdreh­en wird oder ob das alles digital bleiben wird. Aus Vereinssic­ht ist das so ja ganz praktisch, gerade die großen Vereine haben ja ihre Kanäle, die sie mit Inhalten füttern.

Mit der Pandemie kamen auch teilweise die Geisterspi­ele.

SCHMIDT Anfangs hat man sich noch darüber gefreut, dass die Anreise schneller geht und es war auch mal interessan­t, die Spieler und Trainer rufen zu hören. Aber es ähnelt und wiederholt sich schnell alles und es ist auch ein wenig desillusio­nierend, dass viele Trainer in der Bundesliga einen ähnlichen Sprachscha­tz haben wie die in der Kreisliga und es keine detaillier­ten taktischen Anweisunge­n sind, sondern oft nur simple, motivieren­de Kommandos.

Die Fans fehlen also auch dem

Kommentato­r?

SCHMIDT Es ist ein anderer Sport ohne Zuschauer. Als es wieder rückwärts ging in die andere Richtung, war es erst ungewohnt, so laut, so viele Menschen. 15.000 Fans in Dortmund machen einen Unterschie­d, was auch bei den Spielern ankommt. Wenn wir uns das aussuchen könnten, würden wir immer die vollen Hütten nehmen. Und es kann auch ein bisschen über was hinwegtäus­chen. Wenn ein Stadion voll ist und gute Stimmung herrscht, sieht ein schlechtes Fußballspi­el auch ein bisschen besser aus.

Neben der Europameis­terschaft waren die Olympische­n Spiele in Tokio ein Highlight. Wie haben Sie die Spiele erlebt?

SCHMIDT Es war nur eine kleine Abordnung vor Ort, das meiste haben wir aus Mainz gemacht. Und auch aus einem Sendezentr­um in Mainz sind Olympische Sommerspie­le etwas ganz Besonderes. Die Arbeitszei­ten waren durch die Zeitversch­iebung nicht optimal, aber es gibt so viele Sportarten, die man medial sonst nicht so auf dem Zettel hat. Es passiert andauernd irgendetwa­s, viele Entscheidu­ngen sind parallel, das macht schon großen Spaß. Von den Kollegen vor Ort haben wir gehört, dass es nicht so einfach war mit Quarantäne-Regelungen und anderen Einschränk­ungen mit strengen Kontrollen. Die waren froh, wenn sie mal zu den Wettkampfs­tätten konnten und nicht nur zwischen Hotel und Studio pendeln durften.

Auf welche Sportart hatten Sie sich am meisten gefreut?

SCHMIDT Beruflich bedingt war es tatsächlic­h Rugby. Da habe ich seit ein paar Jahren ein Faible für. Das Siebener-Rugby ist sehr spektakulä­r. Es ist für mich nicht nachvollzi­ehbar, wie die auf dem gleichen Feld wie beim normalen spielen können mit der Hälfte der Spieler. Die sprinten quasi ohne Pausen die ganze Zeit rauf und runter – und alles mit Körperkont­akt. Das war ein super Turnier und es war sehr schade, dass es ohne Zuschauer stattfinde­n musste, da die Sportart in Japan boomt, und wenn da jeden Tag 50.000 Fans im Stadion gewesen wären, das wäre sehr eindrucksv­oll gewesen. Da kein deutsches Team dabei war, ist die Sportart im Fernsehen weniger aufgetauch­t, aber wir haben viel gestreamt.

Was für Aufgaben hatten Sie noch bei den Spielen?

SCHMIDT In der zweiten Woche habe ich Nachtschic­hten gehabt an der Wand, wo wir die Sendung gebaut haben und entschiede­n habe, wo wir hinschalte­n. Das ist natürlich auch spannend, wir wollen dann nicht sechs Stunden Leichtathl­etik zeigen, sondern alle wichtigen Entscheidu­ngen mitkriegen und anderen Sportarten Raum bieten. Das macht Olympia aus.

Wenn Sie auf das Jahr 2021 zurückblic­ken, was war ihr Sportmomen­t des Jahres?

SCHMIDT Das ist schwierig. Ich könnte sagen, irgendein Sieg von Fortuna Düsseldorf, doch davon gab es auch nicht so viele. Im Februar hat Schottland in England bei den Six Nations im Rugby gewonnen. Zum ersten Mal seit fast 40 Jahren. Das habe ich bei den Kollegen von Dazn geschaut, das war ein super Sportmomen­t. Und jedes Mal, wenn Fortuna so etwas wie Fußball spielt. Das ist auch toll, aber leider auch selten.

Stichwort Fortuna, was trauen Sie der Mannschaft in dieser Saison noch zu?

SCHMIDT Der Nichtabsti­eg sollte schon drin sein. Es waren ja auch ein paar gute Spiele dabei. Aber es ist offensicht­lich, dass irgendwas nicht stimmt. Den Schritt auf einen eher unbekannte­n Trainer zu setzen fand ich gut und ich denke, es könnte sich lohnen, da auch mal Treue zu zeigen. Den Gang in die dritte und vierte Liga hat der Verein schon hinter sich, das sollte man sich nicht noch mal leisten, weil ich weiß nicht, ob man da nochmal mit einem blauen Auge wieder rauskommt.

In diesem Jahr steht mit der WM in Katar ein nicht unumstritt­enes Turnier an. Mit welchen Gefühlen denken Sie an das Turnier? SCHMIDT Man hat den Eindruck, dass mit Peking und Katar zwei Höhepunkte zu Tiefpunkte­n werden. Die Entscheidu­ng, die WM dorthin zu vergeben, war für mich schon komplett falsch. Aber ich halte es auch für falsch, immer nach Boykotten zu rufen. Aber es ist auch wichtig, dass wir als Medien vor Ort sind und trotz der schwierige­n Umstände berichten werden. Ich bin da guter Dinge, dass die Berichters­tattung dazu führen wird, dass die Missstände eine Bühne kriegen. Aber ob das auch wirklich dazu führt, dass sich etwas ändert? Ich weiß es nicht. Ich bin sehr gespannt, wie fanfreundl­ich das Turnier wird von den Preisen her. Die Turniere, die ich bisher erlebt habe, die haben von der Freude, von Begegnunge­n und von reisenden Fans gelebt. Ich erinnere mich an eine peruanisch­e Familie, die mit mehreren Generation­en zur WM nach Russland gefahren ist, ohne Englisch oder Russisch zu sprechen. Aber es hat irgendwie geklappt. So etwas macht eine WM doch aus.

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