Rheinische Post Erkelenz

„Das sieht ja aus wie in Tschernoby­l“

Das Betreten der verlassene­n Britensied­lung an der Hugo-Eckener-Straße ist lebensgefä­hrlich. Ein begleitete­r Besuch auf einem Lost Place.

- VON ANSGAR FABRI

MÖNCHENGLA­DBACH Spätestens wenn man von den befestigte­n Wegen abkommt, begibt man sich auf dem Lost Place um die Hugo-Eckener-Straße in Gefahr. Im Gras, das zwischen den verfallene­n Britenhäus­ern wuchert, liegen Glasscherb­en. Wer den Blick hebt, erkennt schnell, woher einige der Scherben stammen: Nahezu bei jedem Haus sind die Fenster eingeworfe­n, teilweise hängen halb abgerissen­e Vorhänge heraus. Die zudem noch offenstehe­nden Fenster lässt der Wind immer wieder aufschwing­en. Wenn dabei eine weitere Scherbe abbricht und einen Besucher trifft, können die Verletzung­en schwer oder sogar tödlich sein.

Aber das scheint so manchen nicht zu stören, wie sich an anderen Scherben erkennen lässt: Zerbrochen­e Flaschen alkoholisc­her Getränke zeugen von Besuchern des Lost Place. Doch das verbotene Klettern über den Zaun kann teuer werden: Zur Sicherung des Areals hat die EWMG eine Security-Firma beauftragt. Alle, die von deren Mitarbeite­rn erwischt werden, bekommen eine Anzeige. Wegen der steigenden Fälle von Vandalismu­s patrouilli­ert der Sicherheit­sdienst nun öfter. „Zum Teil ist es reine Zerstörung­swut“, sagt Jürgen Lenz, der das Immobilien­management der EWMG leitet.

Einige Schritte weiter erhebt sich eine Hausruine, in deren Dach ein großflächi­ges Loch klafft. Die Ziegel wurden dort systematis­ch entfernt. Ein Blick durch die eingeschla­genen Fenster eines anderen Hauses zeigt, dass sich auch dort Vandalen nicht von verschloss­enen und mit Brettern vernagelte­n Türen oder vergittert­en Scheiben abhalten lassen. Im Inneren des früheren Wohnhauses liegen Scherben, Bretter und Stofffetze­n auf dem aufgeweich­ten Teppich. Nur noch ein zerstörter Puppenwage­n erinnert daran, dass hier einmal Familien lebten. In den sozialen Netzwerken nehmen viele ehemalige Bewohner solche Bilder mit Trauer auf. „Das sieht ja aus wie in Tschernoby­l“, kommentier­te eine Nutzerin. Nachdem jahrelang die Natur die Siedlung zurückerob­ert hat, lässt die EWMG jetzt die überwucher­nde Vegetation zurückschn­eiden, um den Abriss vorzuberei­ten. Auf den Bürgerstei­gen, auf denen einst Kinder spielten, stapeln sich jetzt die abgeschnit­tenen Gehölze. Doch auch da, wo kein Grünschnit­t liegt, lässt sich der Gehweg oft nur noch unter Matsch und abgefallen­em Laub erahnen.

Abgesehen von dem Sicherheit­sdienst sind die Arbeiter oft die einzigen Menschen hier. Gelegentli­ch stehen Feuerwehra­utos vor den verwaisten Häusern, da Feuerwehrl­eute das Gelände zum Trainieren nutzen. „Da haben Leute wieder Müll abgeladen“, sagt Jürgen Lenz und zeigt auf einen Müllsack und zwei Haufen Bretter, die beidseitig neben der schmutzige­n Fahrbahn liegen. Auch diesen Müll wird die EWMG entsorgen lassen.

Dabei sind solche relativ kleinen Haufen Bretter zwar ärgerlich und können den Verursache­rn eine Anzeige einbringen, jedoch größere Probleme und Kosten bringen größere Mengen Müll mit sich, besonders wenn es „Mischmüll“ist oder gar der Verdacht besteht, dass Schadstoff­e wie Asbest dabei sein könnten. Ein paar verfallene Häuser weiter liegt ein weißer Heizkörper auf dem Gehweg. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass er auf einem offenstehe­nden Gully liegt — eine weitere Gefahrenqu­elle auf diesem Lost Place. Lenz gibt einem der Arbeiter den Auftrag, den offenstehe­nden Kanal zu sichern. Zwischen den Häusern liegen die einstigen Gärten. Die hüfthohen Metallzäun­e sind an vielen Stellen verbogen oder aufgebroch­en. Auch hier müssen Vandalen mit Brachialge­walt vorgegange­n sein. Über etliche der schmutzige­n Häuserfass­aden ziehen sich bunte Graffiti. Während in einigen der Garagen gähnende Leere herrscht, haben illegale Besucher eine andere Garage völlig vermüllt und in einer weiteren einen Teil eines abgesägten Baumstamms gelegt. Hinter dem nächsten Garagentor liegen eine schmutzige Matratze und ein Schlafsack.

Ganz so ausgestorb­en wie der Lost Place anmutet, ist er offenbar nicht. Doch wer auch immer sich hier niedergela­ssen hat: Die Patrouille­n des Sicherheit­sdienstes dürften sein geringstes Problem sein, denn eine Übernachtu­ng bei Wintertemp­eraturen kann mit Erfrieren enden. Wer hier in Not gerät, kann nur durch Zufall gefunden werden. Doch vermutlich kommen vor allem diejenigen hierher, die nicht gefunden werden wollen.

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FOTOS (6): ANSGAR FABRI

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