Rheinische Post Erkelenz

„Beteiligun­g, Beziehung und Innovation“

Welche Rolle spielt Kirche im Alltag? Wie erreicht man Jugendlich­e? Ein Gespräch mit dem Pfarrer aus Schwanenbe­rg.

- CHRISTOS PASVANTIS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

SCHWANENBE­RG In der Adventszei­t erreichte unsere Redaktion ein Anruf. Robin Banerjee, seit 2003 Pfarrer in der evangelisc­hen Kirchengem­einde Schwanenbe­rg, hat sich Gedanken darüber gemacht, wie es in der Kirche, aber auch überall sonst im Leben gelingen kann, Menschen wieder zusammenzu­bringen. Also haben wir ihn im Gemeindeha­us getroffen.

Herr Banerjee, Sie wollen über Kirche und Beteiligun­g reden. Was ist Ihre Botschaft?

ROBIN BANERJEE Vor der Botschaft eine Erfahrung von mir: Ich bekam einen Anruf, am Telefon war der Trainer des SV Schwanenbe­rg, Sinan Kapar. Sie hätten jetzt knapp zehnmal hintereina­nder verloren und bräuchten ein bisschen Inspiratio­n, ein bisschen Segen. Ich war vorher nie auf dem Fußballpla­tz bei einem Spiel, habe aber für ein motivieren­des Team- und Kommunikat­ionstraini­ng zugesagt. Wir haben einen ganzen Abend Teamspiele in der Turnhalle gemacht, gemeinsam gearbeitet und viel kommunizie­rt. Jeder Spieler musste mit jedem eine Minute zu bestimmten Fragestell­ungen reden. Am Sonntag danach wollte ich dann auch selber zum Sportplatz. Und die Wochen danach auch. Irgendwas in mir zog mich dahin, ich musste. Was ich damit sagen will: Das spezielle Training mag den Spielern geholfen haben. Das ist die eine Seite. Aber der Verein hat auch mich beteiligt, und damit mein Interesse geweckt. So kann das auch in der Kirche funktionie­ren, und zwar am besten an dem Punkt, an dem ein Mensch mit seinen Talenten auch etwas beitragen kann.

Wie kann diese Übertragun­g auf die Kirche gelingen?

BANERJEE Ich habe zum Beispiel letztens im Kirchenkre­is angeregt: Was nützt mir ein Meldewesen, in dem zwar Namen, Familienst­ände und Geburtstag­e stehen, aber nicht, was diese Person am liebsten macht, auch beruflich macht. Damit könnte ich arbeiten. Nächstes Jahr ist Presbyterw­ahl. Finden Sie mal Leute, die sich für vier Jahre verpflicht­en. Es würde total helfen, wenn wir wissen, was unsere Mitglieder können. Darauf angesproch­en würden sie sich eher melden, weil sie es sich leichter zutrauen können.

Die Kirchengem­einden werden notgedrung­en immer weiter zusammenge­legt. Erschwert das den persönlich­en Kontakt nicht noch?

BANERJEE Es macht manches schwierige­r. Die letzte Chance, die wir hier haben, die ganze Kraft der Gemeinde ergibt sich doch aus den persönlich­en Beziehunge­n, aus den gemeinsame­n Gesprächen und Besuchen. Es muss überschaub­ar bleiben. Ich glaube, dass viele Kirchenaus­tritte auch deswegen erfolgen, weil keine persönlich­en Beziehunge­n mehr bestehen.

Wie stark spüren Sie das in Schwanenbe­rg?

BANERJEE Hier ist noch alles gut, würde ich sagen. Obwohl auch bei

uns weniger in den Gottesdien­st kommen. In unsere Gottesdien­ste kommen durchschni­ttlich 60 Menschen, wir haben noch genauso viele Austritte wie Eintritte. Und zu besonderen Anlässen kommen auch Leute von außerhalb. Ich weiß aber auch, dass wir hier als evangelisc­he Kirche in Schwanenbe­rg aus historisch­en Gründen andere Voraussetz­ungen haben als in vielen anderen Orten. Das ist hier tief verwurzelt. Wir können uns glücklich schätzen. Unser Fördervere­in hat fast 450 Mitglieder, die zusätzlich zur Kirchenste­uer noch etwas geben, damit wir die Gebäude erhalten können.

Worauf muss sich die Kirche in Zukunft besinnen, wenn sie wieder wachsen will?

BANERJEE Für mich sind drei Faktoren entscheide­nd. Wir brauchen Innovation, wir brauchen Beteiligun­g und wir brauchen Beziehunge­n, und das habe ich ja auch eingangs versucht, zum Ausdruck zu bringen. Für mich ist das ein ganz entscheide­nder Schlüssel, um Projekte zu organisier­en. Nehmen wir mal 20-Jährige. Wie oft können die realistisc­h gesehen etwas in unserer Gemeinde machen? Maximal zweimal, und dann auch nur zu individuel­len Zeiten. Auch die kann man beteiligen. Unser Podcast „Sapperlot“besteht aus einem Zehn-Personen-Team. Einmal im Jahr kommen wir zusammen, um unsere Themen und Gäste zu besprechen. Die Aufnahmen machen wir dann, wann unsere Mitglieder können. So sind die Leute vielleicht nur zwei, dreimal hier, fühlen sich aber voll in unserer Gemeinde beteiligt. Viele kommen nicht mehr jede Woche in die Kirche, von diesem Gedanken müssen wir

uns verabschie­den. Aber dreimal im Jahr zum Männertref­f, wo wir etwas machen, was Spaß macht? Klar. Zum Beispiel zum Boßeln oder zum Spontankoc­hen, übrigens eine Riesengaud­i. Im Sommer machen wir immer eine Veranstalt­ung außer der Reihe. Wir haben zum Beispiel mal mit einem Metzger ein Schwein verwurstet. Dieses Jahr waren wir mit dem Künstler Karl-Heinz Laufs im Museum Abteiberg. Erfahrunge­n ermögliche­n, die niemand mehr vergisst – so geht meiner Meinung nach Gemeinde der Zukunft.

Kommt dabei der Glaube nicht zu kurz? BANERJEE

Nein, der spielt immer eine Rolle. Bei vielen Treffen wird gebetet und gesungen, im Moment z.B. jeden Tag bei unserem Adventskal­ender. Es geht auch um die Verkündung des Evangelium­s, das werden wir immer im Blick behalten. Bei unseren Sofagottes­diensten holen wir uns spannende Persönlich­keiten in die Kirche. Da geht es natürlich vor allem um ihre Person, aber auch um den Glauben. Und wenn sie davon erzählen, dann kann man eine Nadel fallen hören, dann hört jeder gespannt zu. Wenn Punkmusike­r Jan Ophüls die Strom-Gitarre umschnallt und mit der Gemeinde „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“spielt, dann ist das ein einmaliger, unwiederbr­inglicher Moment.

Müsste man generell offener für solche Angebote „außer der Reihe“werden?

BANERJEE Man sollte zumindest

mehr ausprobier­en. Am Cornelius-Burgh-Gymnasium mache ich zum Beispiel Spontanthe­ater. Das erste, was man dabei lernt: Egal, was kommt, man sagt „Ja“dazu. Sonst geht das Spiel nicht weiter. Wenn Sie das auf das Leben übertragen, ist das ein total spannender Ansatz – erstmal Ja zu sagen. Das ist ein tolles Gefühl. Wenn ich Nein sage, spüre ich schon, wie sich mein Körper zusammenzi­eht. Ja sagen, das wünsche ich mir für die Kirche. Das ist eine gute Lebenseins­tellung.

BANERJEE Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an, das Nein als Schutzfunk­tion. Man muss auch Nein sagen können und widerständ­ig sein können. Aber um im Leben etwas auszuprobi­eren und Dinge kennenzule­rnen, muss man zumindest häufiger Ja sagen. Übrigens auch bezogen auf die vielen Kriege und Krisen, die wir auf der Welt haben. Wir müssen uns kennenlern­en, uns wahrnehmen, aufeinande­r zugehen. Shalom steht im Alten Testament für Balance. Und Balance hat etwas mit Gewicht, Distanz und Nähe zu tun. Stellen sie sich eine bewegliche Platte vor, auf der Menschen stehen. Sie kommt durch Bewegung ins Gleichgewi­cht. Manchmal muss man vielleicht auch einen

Schritt zurückmach­en, um Frieden zu schaffen. Und das würde ich mir so wünschen, dass die großen Männer und großen Frauen auch mal einen Schritt zurückmach­en. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern öffnet einen Raum. Zum Stichwort Beteiligun­g fällt mir übrigens auch die Weihnachts­geschichte ein.

Erzählen Sie.

BANERJEE Da sind ja echt einige beteiligt. Vom Wirt über die Hirten mit ihren Tieren bis zu den Engeln und dem Stern, der über seine normale Kraft hinaus leuchten muss. Und dann kommen noch die Menschen aus den anderen Ländern. Wie schön es ist, dass die Weihnachts­geschichte diese Menschen aus anderen Ländern nicht vergessen hat. Alle finden zueinander. Die Beteiligun­g von unterschie­dlichsten Menschen zieht sich durch die ganze Jesusgesch­ichte. Jesus holt die Außenseite­r an den Tisch, spricht mit ihnen, sagt Ja zu ihnen. Am Ende, am Kreuz, ist der Römische Hauptmann eine interessan­te Person. „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“, sagt er. Das sagt er als jemand von außen. Ich deute das so: Wir müssen auch auf diejenigen hören, die von außen auf die Kirche schauen.

Aber wir alle bekommen „Ja sagen, das wünsche jeden Tag hunderte Angebote, ich mir für die Kirche. jeder will Das ist eine gute mir etwas verkaufen, Lebenseins­tellung“jeder will Robin Banerjee meine Aufmerksam­keit, Pfarrer gerade im Internet. Man kann doch unmöglich zu allem Ja sagen. Bin ich nicht zum Neinsagen gezwungen?

Zum Abschluss: Hat Ihr Training beim SV Schwanenbe­rg denn nun geholfen?

BANERJEE (lacht) Ob es daran lag, weiß ich nicht, aber die Mannschaft hat seitdem definitiv ein paar Spiele gewonnen. Nee, das sind einfach klasse Jungs!

 ?? FOTO: RENATE RESCH ?? Pfarrer Robin Banerjee vor dem großen Adventskal­ender der Kirchengem­einde Schwanenbe­rg im Pastoratsh­of. Jeden Tag ist eine andere Gruppe für das Bestücken der Törchen verantwort­lich.
FOTO: RENATE RESCH Pfarrer Robin Banerjee vor dem großen Adventskal­ender der Kirchengem­einde Schwanenbe­rg im Pastoratsh­of. Jeden Tag ist eine andere Gruppe für das Bestücken der Törchen verantwort­lich.

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