„Beteiligung, Beziehung und Innovation“
Welche Rolle spielt Kirche im Alltag? Wie erreicht man Jugendliche? Ein Gespräch mit dem Pfarrer aus Schwanenberg.
SCHWANENBERG In der Adventszeit erreichte unsere Redaktion ein Anruf. Robin Banerjee, seit 2003 Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Schwanenberg, hat sich Gedanken darüber gemacht, wie es in der Kirche, aber auch überall sonst im Leben gelingen kann, Menschen wieder zusammenzubringen. Also haben wir ihn im Gemeindehaus getroffen.
Herr Banerjee, Sie wollen über Kirche und Beteiligung reden. Was ist Ihre Botschaft?
ROBIN BANERJEE Vor der Botschaft eine Erfahrung von mir: Ich bekam einen Anruf, am Telefon war der Trainer des SV Schwanenberg, Sinan Kapar. Sie hätten jetzt knapp zehnmal hintereinander verloren und bräuchten ein bisschen Inspiration, ein bisschen Segen. Ich war vorher nie auf dem Fußballplatz bei einem Spiel, habe aber für ein motivierendes Team- und Kommunikationstraining zugesagt. Wir haben einen ganzen Abend Teamspiele in der Turnhalle gemacht, gemeinsam gearbeitet und viel kommuniziert. Jeder Spieler musste mit jedem eine Minute zu bestimmten Fragestellungen reden. Am Sonntag danach wollte ich dann auch selber zum Sportplatz. Und die Wochen danach auch. Irgendwas in mir zog mich dahin, ich musste. Was ich damit sagen will: Das spezielle Training mag den Spielern geholfen haben. Das ist die eine Seite. Aber der Verein hat auch mich beteiligt, und damit mein Interesse geweckt. So kann das auch in der Kirche funktionieren, und zwar am besten an dem Punkt, an dem ein Mensch mit seinen Talenten auch etwas beitragen kann.
Wie kann diese Übertragung auf die Kirche gelingen?
BANERJEE Ich habe zum Beispiel letztens im Kirchenkreis angeregt: Was nützt mir ein Meldewesen, in dem zwar Namen, Familienstände und Geburtstage stehen, aber nicht, was diese Person am liebsten macht, auch beruflich macht. Damit könnte ich arbeiten. Nächstes Jahr ist Presbyterwahl. Finden Sie mal Leute, die sich für vier Jahre verpflichten. Es würde total helfen, wenn wir wissen, was unsere Mitglieder können. Darauf angesprochen würden sie sich eher melden, weil sie es sich leichter zutrauen können.
Die Kirchengemeinden werden notgedrungen immer weiter zusammengelegt. Erschwert das den persönlichen Kontakt nicht noch?
BANERJEE Es macht manches schwieriger. Die letzte Chance, die wir hier haben, die ganze Kraft der Gemeinde ergibt sich doch aus den persönlichen Beziehungen, aus den gemeinsamen Gesprächen und Besuchen. Es muss überschaubar bleiben. Ich glaube, dass viele Kirchenaustritte auch deswegen erfolgen, weil keine persönlichen Beziehungen mehr bestehen.
Wie stark spüren Sie das in Schwanenberg?
BANERJEE Hier ist noch alles gut, würde ich sagen. Obwohl auch bei
uns weniger in den Gottesdienst kommen. In unsere Gottesdienste kommen durchschnittlich 60 Menschen, wir haben noch genauso viele Austritte wie Eintritte. Und zu besonderen Anlässen kommen auch Leute von außerhalb. Ich weiß aber auch, dass wir hier als evangelische Kirche in Schwanenberg aus historischen Gründen andere Voraussetzungen haben als in vielen anderen Orten. Das ist hier tief verwurzelt. Wir können uns glücklich schätzen. Unser Förderverein hat fast 450 Mitglieder, die zusätzlich zur Kirchensteuer noch etwas geben, damit wir die Gebäude erhalten können.
Worauf muss sich die Kirche in Zukunft besinnen, wenn sie wieder wachsen will?
BANERJEE Für mich sind drei Faktoren entscheidend. Wir brauchen Innovation, wir brauchen Beteiligung und wir brauchen Beziehungen, und das habe ich ja auch eingangs versucht, zum Ausdruck zu bringen. Für mich ist das ein ganz entscheidender Schlüssel, um Projekte zu organisieren. Nehmen wir mal 20-Jährige. Wie oft können die realistisch gesehen etwas in unserer Gemeinde machen? Maximal zweimal, und dann auch nur zu individuellen Zeiten. Auch die kann man beteiligen. Unser Podcast „Sapperlot“besteht aus einem Zehn-Personen-Team. Einmal im Jahr kommen wir zusammen, um unsere Themen und Gäste zu besprechen. Die Aufnahmen machen wir dann, wann unsere Mitglieder können. So sind die Leute vielleicht nur zwei, dreimal hier, fühlen sich aber voll in unserer Gemeinde beteiligt. Viele kommen nicht mehr jede Woche in die Kirche, von diesem Gedanken müssen wir
uns verabschieden. Aber dreimal im Jahr zum Männertreff, wo wir etwas machen, was Spaß macht? Klar. Zum Beispiel zum Boßeln oder zum Spontankochen, übrigens eine Riesengaudi. Im Sommer machen wir immer eine Veranstaltung außer der Reihe. Wir haben zum Beispiel mal mit einem Metzger ein Schwein verwurstet. Dieses Jahr waren wir mit dem Künstler Karl-Heinz Laufs im Museum Abteiberg. Erfahrungen ermöglichen, die niemand mehr vergisst – so geht meiner Meinung nach Gemeinde der Zukunft.
Kommt dabei der Glaube nicht zu kurz? BANERJEE
Nein, der spielt immer eine Rolle. Bei vielen Treffen wird gebetet und gesungen, im Moment z.B. jeden Tag bei unserem Adventskalender. Es geht auch um die Verkündung des Evangeliums, das werden wir immer im Blick behalten. Bei unseren Sofagottesdiensten holen wir uns spannende Persönlichkeiten in die Kirche. Da geht es natürlich vor allem um ihre Person, aber auch um den Glauben. Und wenn sie davon erzählen, dann kann man eine Nadel fallen hören, dann hört jeder gespannt zu. Wenn Punkmusiker Jan Ophüls die Strom-Gitarre umschnallt und mit der Gemeinde „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“spielt, dann ist das ein einmaliger, unwiederbringlicher Moment.
Müsste man generell offener für solche Angebote „außer der Reihe“werden?
BANERJEE Man sollte zumindest
mehr ausprobieren. Am Cornelius-Burgh-Gymnasium mache ich zum Beispiel Spontantheater. Das erste, was man dabei lernt: Egal, was kommt, man sagt „Ja“dazu. Sonst geht das Spiel nicht weiter. Wenn Sie das auf das Leben übertragen, ist das ein total spannender Ansatz – erstmal Ja zu sagen. Das ist ein tolles Gefühl. Wenn ich Nein sage, spüre ich schon, wie sich mein Körper zusammenzieht. Ja sagen, das wünsche ich mir für die Kirche. Das ist eine gute Lebenseinstellung.
BANERJEE Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an, das Nein als Schutzfunktion. Man muss auch Nein sagen können und widerständig sein können. Aber um im Leben etwas auszuprobieren und Dinge kennenzulernen, muss man zumindest häufiger Ja sagen. Übrigens auch bezogen auf die vielen Kriege und Krisen, die wir auf der Welt haben. Wir müssen uns kennenlernen, uns wahrnehmen, aufeinander zugehen. Shalom steht im Alten Testament für Balance. Und Balance hat etwas mit Gewicht, Distanz und Nähe zu tun. Stellen sie sich eine bewegliche Platte vor, auf der Menschen stehen. Sie kommt durch Bewegung ins Gleichgewicht. Manchmal muss man vielleicht auch einen
Schritt zurückmachen, um Frieden zu schaffen. Und das würde ich mir so wünschen, dass die großen Männer und großen Frauen auch mal einen Schritt zurückmachen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern öffnet einen Raum. Zum Stichwort Beteiligung fällt mir übrigens auch die Weihnachtsgeschichte ein.
Erzählen Sie.
BANERJEE Da sind ja echt einige beteiligt. Vom Wirt über die Hirten mit ihren Tieren bis zu den Engeln und dem Stern, der über seine normale Kraft hinaus leuchten muss. Und dann kommen noch die Menschen aus den anderen Ländern. Wie schön es ist, dass die Weihnachtsgeschichte diese Menschen aus anderen Ländern nicht vergessen hat. Alle finden zueinander. Die Beteiligung von unterschiedlichsten Menschen zieht sich durch die ganze Jesusgeschichte. Jesus holt die Außenseiter an den Tisch, spricht mit ihnen, sagt Ja zu ihnen. Am Ende, am Kreuz, ist der Römische Hauptmann eine interessante Person. „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“, sagt er. Das sagt er als jemand von außen. Ich deute das so: Wir müssen auch auf diejenigen hören, die von außen auf die Kirche schauen.
Aber wir alle bekommen „Ja sagen, das wünsche jeden Tag hunderte Angebote, ich mir für die Kirche. jeder will Das ist eine gute mir etwas verkaufen, Lebenseinstellung“jeder will Robin Banerjee meine Aufmerksamkeit, Pfarrer gerade im Internet. Man kann doch unmöglich zu allem Ja sagen. Bin ich nicht zum Neinsagen gezwungen?
Zum Abschluss: Hat Ihr Training beim SV Schwanenberg denn nun geholfen?
BANERJEE (lacht) Ob es daran lag, weiß ich nicht, aber die Mannschaft hat seitdem definitiv ein paar Spiele gewonnen. Nee, das sind einfach klasse Jungs!