Zahlreiche verletzte Tiere durch Böller
Wie sehr Vögel am Jahreswechsel leiden, wird oft vernachlässigt. Dabei sind die gefiederten Tiere vom Feuerwerk besonders betroffen und werden häufig verletzt. Dann sind Tierschützer wie Karen Bülles gefragt.
KREIS HEINSBERG Der Silvestertag lässt sie kaum zur Ruhe kommen. Immer wieder klingelt bei Karen Bülles das Telefon, ihr Handy summt, wenn Whatsapp-Nachrichten eingehen. Anrufer wollen wissen, ob sie ihr verletzte Wildtiere bringen können. Vögel, die vor Schreck vom Ast gefallen oder von den Geschossen getroffen wurden, mit denen traditionell das neue Jahr begrüßt werden soll.
Schon in den Tagen zuvor wurden Feuerwerkskörper in den Himmel geschossen. Die gebürtige Kanadierin Karen Bülles hatte – wie jedes Jahr an Silvester – zahlreiche Hilfeanfragen. „Die Raketen sind nicht mal so sehr das Problem“, weiß die ehrenamtliche Betreiberin der privaten Wildvogelhilfe. Die lautstarken sogenannten Polen-Böller machen den Wildtieren hingegen viel mehr zu schaffen. Von den gefiederten Silvester-Opfern, die in den vergangenen Tagen zu ihr nach Heinsberg-Kempen gebracht wurden, schaffte es nur einer: der noch namenlose Erpel aus Langerwehe, den eine Freundin völlig hilflos und schwer verletzt mitten im Ort auf der Straße fand. Alle anderen starben, noch ehe sie in der privat betriebenen Krankenstation eingetroffen waren – unterwegs oder schon kurz vorher.
Das macht Karen Bülles traurig. Schon als kleines Mädchen wollte sie den Wildtieren helfen, pflegte ausgesetzte Katzen, Frettchen und kranke Vögel gesund, um sie anschließend in die Freiheit zu entlassen. Auch der völlig apathisch wirkende Erpel soll in seine Heimat zurückkehren, wenn es ihm besser geht. Das wird nach Einschätzung der Mittfünfzigerin aber wohl noch zwei bis drei Wochen dauern.
Als der neue Patient bei ihr eingetroffen war, untersuchte sie ihn gründlich, tastete die Ente auf eventuelle Knochenbrüche ab. Ihre Diagnose war ernst, aber nicht niederschmetternd: keine Frakturen, aber der Schwanz habe völlig schief gestanden, was auf ein vorhandenes Wirbelsäulen-Trauma hingedeutet habe. Die Augen seien stark geschwollen gewesen, zusätzlich leide das Tier an schmerzhaften Prellungen.
Seitdem versorgt Karen Bülles ihren schnatternden Patienten auf der Krankenstation mit täglichen Infusionen in Spritzenform. Vitamine sollen ihn aufpäppeln.
Dass der Verkauf und das Abschießen der beliebten Pyrotechnik nicht verboten werden, stimmt die Tierschützerin traurig. Karen Bülles erlebt jedes Mal zum Jahreswechsel, wie viele Wildtiere dabei in Not geraten, schwer verletzt werden oder sogar versterben. Trotzdem gibt die 55-Jährige die Hoffnung nicht auf, dass die Feiernden doch noch sensibilisiert werden können. Im Juli eröffnete sie ihre private Wildvogelhilfe, deren Adresse sie nicht publik macht, weil ihr sonst immer wieder verletzte Tiere im Karton vor die Haustüre gestellt werden. Sie arbeitet mehr als Vollzeit ehrenamtlich, versorgt Bussarde, Turmfalken, Schwalben, Rotkehlchen, Spatzen und Tauben, die ihre Hilfe brauchen. Auch eine Schleiereule hat ein Zuhause auf Zeit bei ihr bekommen. Engagement, das viel Geld verschlingt. Bülles verfüttert etwa 80 tiefgefrorene Mäuse pro Tag, Stückpreis ein Euro. Dazu kommen Vogelfutter, Taubenfutter, Kosten für die regelmäßigen Tierarztbesuche, Medikamente und Inkontinenzauflagen. Gut gemeinte Unterstützung ist dabei oft unsinnig. „Neulich rief
mich eine Dame an, die mir ein Kilo Vogelfutter geben wollte. Das sollte ich bei ihr in Übach-Palenberg abholen“, berichtet sie und schüttelt den Kopf.
Karen Bülles wäre froh, wenn sie auf einige ehrenamtliche Helferinnen und Helfer setzen könnte, die ihr zu Hause in Kempen unter die Arme greifen. „Oft wurde gleich gefragt, welchen Stundenlohn ich denn zahle. Und dann hatte sich das ganz schnell wieder erledigt.“Schüler, Hausfrauen oder Rentner würde sie gern anlernen für das Reinigen der Unterkünfte oder die Futterzubereitung, aber der Einsatz für die bedrohten Wildtiere ist unentgeltlich. „Man muss keine Vorkenntnisse haben. Ich stelle auch das Material, das man braucht, zum Beispiel Mund- und Handschutz oder Desinfektionsmittel.“Spenden nimmt sie gern entgegen, denn ihre Arbeit verschlingt Monat für Monat eine vierstellige Summe.