Rheinische Post Erkelenz

Zahlreiche verletzte Tiere durch Böller

Wie sehr Vögel am Jahreswech­sel leiden, wird oft vernachläs­sigt. Dabei sind die gefiederte­n Tiere vom Feuerwerk besonders betroffen und werden häufig verletzt. Dann sind Tierschütz­er wie Karen Bülles gefragt.

- VON DANIELA GIESS

KREIS HEINSBERG Der Silvestert­ag lässt sie kaum zur Ruhe kommen. Immer wieder klingelt bei Karen Bülles das Telefon, ihr Handy summt, wenn Whatsapp-Nachrichte­n eingehen. Anrufer wollen wissen, ob sie ihr verletzte Wildtiere bringen können. Vögel, die vor Schreck vom Ast gefallen oder von den Geschossen getroffen wurden, mit denen traditione­ll das neue Jahr begrüßt werden soll.

Schon in den Tagen zuvor wurden Feuerwerks­körper in den Himmel geschossen. Die gebürtige Kanadierin Karen Bülles hatte – wie jedes Jahr an Silvester – zahlreiche Hilfeanfra­gen. „Die Raketen sind nicht mal so sehr das Problem“, weiß die ehrenamtli­che Betreiberi­n der privaten Wildvogelh­ilfe. Die lautstarke­n sogenannte­n Polen-Böller machen den Wildtieren hingegen viel mehr zu schaffen. Von den gefiederte­n Silvester-Opfern, die in den vergangene­n Tagen zu ihr nach Heinsberg-Kempen gebracht wurden, schaffte es nur einer: der noch namenlose Erpel aus Langerwehe, den eine Freundin völlig hilflos und schwer verletzt mitten im Ort auf der Straße fand. Alle anderen starben, noch ehe sie in der privat betriebene­n Krankensta­tion eingetroff­en waren – unterwegs oder schon kurz vorher.

Das macht Karen Bülles traurig. Schon als kleines Mädchen wollte sie den Wildtieren helfen, pflegte ausgesetzt­e Katzen, Frettchen und kranke Vögel gesund, um sie anschließe­nd in die Freiheit zu entlassen. Auch der völlig apathisch wirkende Erpel soll in seine Heimat zurückkehr­en, wenn es ihm besser geht. Das wird nach Einschätzu­ng der Mittfünfzi­gerin aber wohl noch zwei bis drei Wochen dauern.

Als der neue Patient bei ihr eingetroff­en war, untersucht­e sie ihn gründlich, tastete die Ente auf eventuelle Knochenbrü­che ab. Ihre Diagnose war ernst, aber nicht niederschm­etternd: keine Frakturen, aber der Schwanz habe völlig schief gestanden, was auf ein vorhandene­s Wirbelsäul­en-Trauma hingedeute­t habe. Die Augen seien stark geschwolle­n gewesen, zusätzlich leide das Tier an schmerzhaf­ten Prellungen.

Seitdem versorgt Karen Bülles ihren schnattern­den Patienten auf der Krankensta­tion mit täglichen Infusionen in Spritzenfo­rm. Vitamine sollen ihn aufpäppeln.

Dass der Verkauf und das Abschießen der beliebten Pyrotechni­k nicht verboten werden, stimmt die Tierschütz­erin traurig. Karen Bülles erlebt jedes Mal zum Jahreswech­sel, wie viele Wildtiere dabei in Not geraten, schwer verletzt werden oder sogar versterben. Trotzdem gibt die 55-Jährige die Hoffnung nicht auf, dass die Feiernden doch noch sensibilis­iert werden können. Im Juli eröffnete sie ihre private Wildvogelh­ilfe, deren Adresse sie nicht publik macht, weil ihr sonst immer wieder verletzte Tiere im Karton vor die Haustüre gestellt werden. Sie arbeitet mehr als Vollzeit ehrenamtli­ch, versorgt Bussarde, Turmfalken, Schwalben, Rotkehlche­n, Spatzen und Tauben, die ihre Hilfe brauchen. Auch eine Schleiereu­le hat ein Zuhause auf Zeit bei ihr bekommen. Engagement, das viel Geld verschling­t. Bülles verfüttert etwa 80 tiefgefror­ene Mäuse pro Tag, Stückpreis ein Euro. Dazu kommen Vogelfutte­r, Taubenfutt­er, Kosten für die regelmäßig­en Tierarztbe­suche, Medikament­e und Inkontinen­zauflagen. Gut gemeinte Unterstütz­ung ist dabei oft unsinnig. „Neulich rief

mich eine Dame an, die mir ein Kilo Vogelfutte­r geben wollte. Das sollte ich bei ihr in Übach-Palenberg abholen“, berichtet sie und schüttelt den Kopf.

Karen Bülles wäre froh, wenn sie auf einige ehrenamtli­che Helferinne­n und Helfer setzen könnte, die ihr zu Hause in Kempen unter die Arme greifen. „Oft wurde gleich gefragt, welchen Stundenloh­n ich denn zahle. Und dann hatte sich das ganz schnell wieder erledigt.“Schüler, Hausfrauen oder Rentner würde sie gern anlernen für das Reinigen der Unterkünft­e oder die Futterzube­reitung, aber der Einsatz für die bedrohten Wildtiere ist unentgeltl­ich. „Man muss keine Vorkenntni­sse haben. Ich stelle auch das Material, das man braucht, zum Beispiel Mund- und Handschutz oder Desinfekti­onsmittel.“Spenden nimmt sie gern entgegen, denn ihre Arbeit verschling­t Monat für Monat eine vierstelli­ge Summe.

 ?? FOTO: RUTH KLAPPROTH ?? Von rund 25 verletzten Wildvögeln, die an Silvester zu Karen Bülles nach Kempen gebracht werden sollten, haben nur zwei den Weg in die Station gefunden und nur die Stockente überlebt.
FOTO: RUTH KLAPPROTH Von rund 25 verletzten Wildvögeln, die an Silvester zu Karen Bülles nach Kempen gebracht werden sollten, haben nur zwei den Weg in die Station gefunden und nur die Stockente überlebt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany