Polizisten droht Verfall von Überstunden
Mehrarbeit, die in Nordrhein-Westfalen bis zum Jahreswechsel nicht auf Langzeitkonten gerettet wurde, ist weg. Manche Zeiten werden künftig gar nicht angerechnet. Innenminister Reul soll intervenieren, fordert die Gewerkschaft.
Polizeivertreter fürchten, dass viele Überstunden, die Polizeibeamte in NRW über Jahre angesammelt haben, zum Jahreswechsel verfallen sind. Und künftig, so warnen sie, werden weitere verloren gehen. „Alle Mehrarbeitsstunden, die älter sind als drei Jahre, sind jetzt weg, wenn sie nicht vorher auf Langzeitarbeitskonten gerettet wurden“, sagte Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. „Es wird ein nicht unerheblicher Personenkreis betroffen sein, mit einer vermutlich hohen Zahl von Arbeitsstunden.“Zudem will das Land ab sofort die gesetzlich verankerte „Bagatellgrenze“für Landesbeamte hart anwenden: Kommt es im Monat zu nicht mehr als fünf Stunden Mehrarbeit, werden diese am Monatsende gestrichen.
„Der Innenminister hat immer versprochen, bei ihm verfällt keine einzige Stunde. Diesem Anspruch muss er jetzt gerecht werden“, forderte Mertens. „Es kann nicht sein, dass Menschen kurzfristige Alarmierungen in Kauf nehmen, zahlreiche Überstunden ableisten, und dann sind die einfach weg.“
Wie groß die Verluste nach der Umstellung zum Jahreswechsel sind, ist noch gänzlich unklar. In der Vergangenheit sorgte eine Jahr für Jahr erneuerte Ausnahmeregelung dafür, dass teils Hunderte Stunden Mehrarbeit, die Polizistinnen und Polizisten in ihrem Berufsleben angehäuft haben, auch nach einer Verjährungsfrist von drei Jahren nicht verfielen. Der Landesrechnungshof beanstandete diese Praxis aber, und zum Jahreswechsel war damit nun Schluss.
Die Beamten mussten ihre Zeitpolster bis dahin auf Langzeitarbeitskonten überschreiben lassen. Allerdings mussten sie diese Konten eigens beantragen, und das dürften kaum alle getan haben. Außerdem war die Summe der übertragbaren Stunden gedeckelt. „Das reichte für viele nicht aus, um das, was sie an Mehrarbeit hatten, wirklich komplett zu retten“, kritisierte Mertens.
Wie viele der rund 40.900 Polizeibeamten in NRW Langzeitarbeitskonten beantragt haben, weiß derzeit niemand. „Diese Daten werden nicht zentral erfasst, da jede Polizeibehörde in eigener Personalverantwortung handelt“, hieß es dazu aus dem Innenministerium. Man könne noch nicht sagen, wie viele Mehrarbeitsstunden mit dem Jahreswechsel verjährt seien, und eine
Differenzierung, ob Stunden wegen der gegebenen Übertragungsmöglichkeiten verfallen sind oder, weil erst gar kein Konto eröffnet wurde, werde nicht vorgenommen.
Das Innenministerium betonte, dass jeder über die Änderungen Bescheid wissen konnte. Bis Ende 2023 habe man mehrfach darauf hingewiesen, zuletzt Mitte Dezember 2023. „Wir bauen die Mehrarbeitsguthaben der Polizistinnen und Polizisten kontinuierlich ab“, erklärte Innenminister Herbert Reul (CDU) auf Anfrage. Man sorge dafür, „dass Überstunden und Mehrarbeit fair geregelt werden und dass weiter abgebaut wird. Mit Langzeitarbeitskonten machen wir klar, dass hier niemand umsonst arbeiten muss.“
Ferner stellte das Land fest, dass es sich bei der Beachtung der Bagatellgrenze keineswegs um ein Novum handele, sondern um Rechtsausübung. Allerdings sei darauf eben früher verzichtet worden, hielt die Gewerkschaft der Polizei dagegen. „Innenminister Reul muss dafür sorgen, dass dieses Gesetz auf die
NRW-Polizei nicht angewendet wird“, forderte Mertens.
Beißende Kritik kommt von der FDP-Landtagsfraktion. „Es ist respektlos, in den aktuellen Zeiten unseren Polizeibeamten die Rückendeckung zu verweigern“, sagte der innenpolitische Sprecher Marc Lürbke. „Wir haben massiv Einsätze durch Demonstrationen, Silvester, Karneval, die bevorstehende Fußball-Europameisterschaft. Viele Beamte kommen seit Wochen gar nicht mehr aus den Stiefeln. Es ist ein Unding und ein völlig falsches Signal, in diesen Zeiten die Axt an die Mehrarbeitsstunden zu legen. Für geleistete Mehrarbeit muss ohne wenn und aber ein Ausgleich erfolgen. Hier steht der Innenminister im Wort.“
Die FDP hatte lange auf die Einführung von Langzeitarbeitskonten gedrungen. Es sei aber ein Trauerspiel, wie die Sache nun umgesetzt worden sei, sagte Lürbke. „Sie müssten viel flexiblere Möglichkeiten bieten, Stunden darauf anzusammeln. Das ist sehr restriktiv limitiert.“