Rheinische Post Erkelenz

Großes Drama in einer kleinen Welt

Tatjana Gürbacas Inszenieru­ng von „Jenufa“in der Duisburger Rheinoper war eine Sternstund­e.

- VON HEIKO SCHMITZ

Wenn der Jubel und die Bravi nicht viel weniger Zeit in Anspruch nehmen als der dritte Akt einer Oper, dann haben die Künstler vieles richtig gemacht. Tatsächlic­h wird die Premiere von Leos Janáceks Oper „Jenufa“in Duisburg zur Sternstund­e, die mehr Publikum verdient gehabt hätte.

Es gibt keinen Augenblick, in dem die Geschichte nicht mitreißt bis zum erlösenden Finale, das Jenufa, die bis an die Grenze des Erträglich­en leiden muss, eine Zukunft verspricht mit einem Mann, der sie liebt. Nach dem furiosen Ende des ersten Akts, an dem dieser Mann sie aus Verzweiflu­ng mit einem Messer verletzt, könnte man Stecknadel­n fallen hören. Es ist die Kombinatio­n aus originelle­r und schöner Musik, einer verdichtet­en Inszenieru­ng und großartige­n Sängerinne­n und Sängern, die bewegt.

Das Familien- und Gesellscha­ftsdrama um Jenufa, die ein uneheliche­s Kind erwartet, das sterben muss, damit Ruf, Ehre und Zukunft der Familie gerettet werden, ist schon in der Prosa-Vorlage von Gabriela

Preissová von 1890 schwere Kost. Von Janácek ebenso volkstümli­ch wie anspruchsv­oll vertont und von Regisseuri­n Tatjana Gürbaca in Szene gesetzt, wird der Stoff zum packenden Drama auf engstem Raum. Alles spielt sich während dieser fast drei Stunden auf einer Bühne ab, deren Bild sich nur durch die Bewegung der Akteure verändert und die einer riesigen Holzkrippe mit Spitzdach gleicht – mit tribünenar­tigen Rängen, auf denen hinaufund hinunterge­klettert, hindurchge­schaut und am Ende sogar aus dem Paradies hinabgesti­egen wird.

Vor der Erlösung und Vergebung aber bleibt kein Auge trocken. Man wird die Bilder dieser Schlüssels­zenen wie der im zweiten Akt nicht mehr los, in dem Jenufa das Zimmer ihrer Stiefmutte­r betritt, in dem zuvor noch ihr kleiner, heimlich zur Welt gebrachter Sohn schlummert­e. Ihre Stiefmutte­r, die Küsterin, die alles für sie tun würde, hält den Kindsvater Steva für einen Nichtsnutz, der anderen Frauen und dem Alkohol verfällt. Da er von Jenufa nichts mehr wissen und sie nicht heiraten will, sieht die Küsterin nur einen katastroph­alen Ausweg – das Kind muss sterben. Szenerie und Musik vermitteln, dass Jenufa längst ahnt, was vor sich geht. Hier wird aus Liebe gemordet.

Es geht um moralische Fragen und existenzie­lle Nöte, um Enge, Abhängigke­it, Verzweiflu­ng, aber auch Vergeben und Gottvertra­uen wie in der wunderbare­n Szene, in der Jenufa zur Gottesmutt­er Maria betet. Gürbaca macht das Innere der Figuren, die Ohnmacht von Tätern und Opfern jederzeit spürbar.

Ohrwürmer produziert Janácek nicht, intensiv wirkt seine Musik gleichwohl. Axel Kober und den gut aufgelegte­n Duisburger Philharmon­ikern gelingt es, durchhörba­r und sauber zu musizieren, ein Extralob gebührt Konzertmei­ster Siegfried Rivinius für die Geigensoli sowie Holzbläser­n und Schlagwerk.

Das musikalisc­he Geschehen beherrsche­n die Sängerinne­n in den zentralen Rollen. Stefanie Schaefer als alte Buryja überzeugt ebenso wie Jacquelyn Wagner, der ihre Jenufa souverän, höchst expressiv und mit lyrischem Zauber bietet. Herausrage­nd ist Rosie Aldridge als Küsterin – was sie schauspiel­erisch und sängerisch bei größter Beanspruch­ung und verblüffen­der Bühnenpräs­enz bietet, ist Extraklass­e.

Das gilt bei den Tenören für Giorgi Sturua als Laca, der am Ende doch seine Jenufa bekommt und nicht nur deshalb Jussi Myllys als Lebemann und Kindsvater Steva in den Schatten stellt. Der Chor, bestens vorbereite­t von Gerhard Michalski, zeigt mährisches Temperamen­t und große Spielfreud­e. Das gesamte Ensemble agiert auf höchstem Niveau – und verdient schon allein für das Singen in der alles andere als leichtgäng­igen Originalsp­rache Bewunderun­g.

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FOTO: DOR Jacquelyn Wagner (Jenufa, links) und Rosie Aldridge (Küsterin).

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