Zielscheibe Schilddrüse
Die Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis ist eine chronische Entzündung. Bei der Behandlung ist spezielle Fachkompetenz erforderlich. Eine Expertin erklärt, worauf es ankommt.
Der Fahrer ist unschuldig, das Auto selbst fährt immer wieder vor die Wand. Es hat sich selbstständig gemacht. Manchmal beginnt es zu rasen, als treibe es ein fürchterlicher Schub an, manchmal rollt es bedächtig. Aber immer landet es an der Wand, immer nimmt es Schaden – und irgendwann ist alles zerstört.
So müssen wir uns Autoimmunerkrankungen vorstellen, bei denen das Immunsystem des Menschen fehlgesteuert ist und auf Selbstangriff schaltet. Das kann überall im Körper passieren. Beim GuillainBarré-Syndrom ist das periphere Nervensystem betroffen, das kann zu einer seltsamen Muskelschwäche führen. Bei der Autoimmunhepatitis gehen Leberzellen unter. Beim Sjögren-Syndrom leiden vor allem Tränen- und Speicheldrüsen, Augen und Mund trocknen aus. Bei der rheumatoiden Arthritis entzünden sich Gelenke dauerhaft, erwärmen sich und schmerzen. Manchmal reicht ein Fachbegriff – und alle wissen Bescheid. Lupus erythematodes zum Beispiel: Dr. House hatte diese multiple Autoimmunkrankheit immer auf dem Radar.
Bei Hashimoto suchen sich Autoantikörper eine spezielle Zielscheibe aus: die Schilddrüse. Die sogenannte Hashimoto-Thyreoiditis als chronische Entzündung gibt es in verschiedenen Formen, sie ist ein Chamäleon. Manchmal verkleinert sich diese Hormondrüse, das nennt man Atrophie. Wenn sie sich vergrößert, spricht man von einer Hypertrophie. Jedenfalls ist Hashimoto die häufigste Ursache einer langfristigen Schilddrüsenunterfunktion, wobei es – das macht die Sache so doppelgesichtig – in einem ersten Symptomschub nicht selten zur Überfunktion kommt. Dann sind die Patienten nervös, schwach, schwitzig, zittrig oder verlieren an Gewicht; auch spielt das Herz verrückt – bis diese Zeichen der Übersteigerung sich ins Gegenteil verkehren können. Manchmal kommt alles zusammen, manchmal sind es nur einzelne Symptome.
Das macht die Behandlung schwierig – auch für den Arzt. Eigentlich gehören alle komplexen Schilddrüsenerkrankungen wie alle Störungen des Hormonsystems in die Hand von Endokrinologen, also Fachärzten für Hormon- und Stoffwechselerkrankungen. Von ihnen gibt es aber nur wenige. Eine ist Beate Quadbeck, die in einer Düsseldorfer Spezialpraxis arbeitet. Unter Internisten und Hausärzten kennt sie viele kompetente Kollegen, aber: „Nicht selten werden Patienten
nicht ernst genommen und abgefertigt.“Oder es kommen noch weitere Symptome hinzu, die auch auf andere Krankheiten hinweisen können. „Etwa Probleme mit den Fingernägeln. Man schlägt sich mit Verstopfungen herum oder hat das Gefühl von Watte im Kopf. Es kann zu Ödemen, also Wasseransammlungen, im Körper kommen. Oder zu Regelblutungsstörungen.“
Wer mit Beate Quadbeck spricht, der erlebt eine aufmerksam zuhörende Ärztin, die freilich weiß: Die Vielfalt macht es schwierig. Und immer wieder suchen sie Patienten mit einer falschen Vordiagnose auf. „Erst im Ultraschall sieht der erfahrene Endokrinologe meist genau, was Sache ist.“Auf Labordiagnostik, so wichtig sie sei, könne man sich halt auch nicht hundertprozentig verlassen. Denn ein normwertiger TSH-Spiegel oder normwertige freie T3- und T4-Werte (die drei weithin bekannten Messparameter für die Schilddrüsenfunktion) bedeuten keineswegs, dass nicht doch eine Hashimoto-Thyreoiditis vorliegt. Die Endokrinologie kennt weit genauere Laborwerte.
Doch auch andersherum kann es passieren, dass Menschen „einen falschen Stempel“abbekommen. Fünf bis zehn Prozent aller Menschen haben tatsächlich Antikörper gegen Schilddrüsengewebe, ohne je zu erkranken. „Und wenn die dann mal müde sind, muss es immer Hashimoto sein.“Nein, man müsse sich „den Patienten genau anschauen. Hat er einen milden, einen mittelgradigen oder gar einen schweren Verlauf?“Man merke es, wenn sich ein Organ in wenigen Wochen verabschiede.
Immer wieder kommt in der Sprechstunde die Rede auf Jod, auf die therapeutische Gabe oder auch Vermeidung von Jod. Beate Quadbeck warnt auch hier vor vorschnellen Schlüssen. „Eine einmalige hoch dosierte Jodgabe ist so gut wie gar nicht relevant. Eine chronische hohe Jodbelastung kann bei entsprechender genetischer Disposition Hashimoto triggern, weil es zu verstärkten Autoimmunreaktionen kommt.“Wie immer gelte: „Die Dosis macht das Gift.“
Deutschland sei ohne Zweifel ein mildes Jodmangelgebiet, „doch die Mär, dass man kein Jod bei Hashimoto nehmen sollte, ist falsch. Oft sehen wir Hashimoto zeitgleich mit einem Knoten und Jodmangel. Ein Knoten in einer Hashimoto-Schilddrüse hat ohnedies ein etwas erhöhtes Entartungsrisiko.“Und immer wieder: genau hinschauen! „Gerade in milden Formen sieht man schon stecknadelkopfgroße Veränderungen.“Künstliche Intelligenz könne das künftig gewiss noch besser diagnostizieren: „Momentan erleben wir da erst den Beginn.“Normalerweise erscheint die Hashimoto-Schilddrüse im Ultraschall wenig homogen und echoarm, was auf den Prozess der Zerstörung hinweist. Zudem kann auch die im Doppler-Sonogramm erkennbare verstärkte Durchblutung auf eine Entzündung hinweisen. Kann – aber muss nicht.
Auch Beate Quadbeck hadert mit der Situation in Deutschland. „Es gibt einfach zu wenige Termine. Für Patienten ist das oft völlig frustrierend, weil sie Leidensdruck verspüren. Zugleich mangelt es an Weiterbildungsstätten, es gibt nur wenige Chefärzte mit Weiterbildungskompetenz.“Und der Nachwuchs? „Die jungen Leute machen das nicht. Die finden zwar das Fach hochattraktiv, haben Spaß an Biochemie. Es dauert aber vielen zu lange.“Und dann erst die Laborfachkunde! „Wenn Sie in der Praxis kein eigenes Hormonlabor haben, rechnet es sich nicht.“
Obwohl es kaum Vorbeugung gegen Hashimoto gibt, hat Beate Quadbeck wichtige Tipps für Patienten. Selenreiche Ernährung sei immer gut. Und seine Schilddrüsenhormone solle man täglich vor dem Essen und möglichst nicht mit anderen Medikamenten nehmen. „Schwankungen mag die Schilddrüse nicht.“Was die Epidemiologie, also die Verbreitung der Krankheit, anlangt, weiß die Medizin, dass die Veranlagung für Hashimoto vererbt wird. Allerdings bricht die eigentliche Entzündung oft in zeitlichem Zusammenhang mit hormonellen Umstellungen (Pubertät, Entbindung, Wechseljahre) und Belastungssituationen aus.
Übrigens war der japanische Pathologe Hakaru Hashimoto im Jahr 1912 nur der sogenannte Erstbeschreiber der Krankheit. Dass es sich dem Charakter nach um eine Autoimmunerkrankung handelt, geht auf die Immunologen Deborah Doniach und Ivan Roitt zurück. Doniach kannte sich aus in chemischer Pathologie und Endokrinologie, Roitt hatte zuerst Chemie und Physiologie studiert, bevor er das eigentliche Medizinstudium aufnahm. Im Jahr 1956 wussten sie genug über Hashimoto, dass für sie zweifelsfrei feststand, dass die Schilddrüse hierbei Suizid verübt. Für die Behandlung war diese Erkenntnis ein Meilenstein.