Wirtschaftlicher Drahtseilakt in China
Kanzler Olaf Scholz muss sich für die Interessen deutscher Unternehmen einsetzen, ohne dabei über die allgemeine Linie der EU hinauszugehen.
Bei der Flussfahrt auf dem Jangtse am Sonntagabend müssen die Manager auf den Kanzler verzichten. Der ist in Sachen Naher Osten gebunden – und will angesichts der prekären Weltlage auch keine Bilder einer Schifffahrt von sich machen lassen. Den Vertretern der deutschen Wirtschaft hat es dennoch gefallen – die vielen Selfies, die vor der eindrucksvollen nächtlichen Kulisse Chongqings entstehen, sind ein Beleg dafür. Überhaupt ist die Stimmung unter Deutschlands Topmanagern, die Olaf Scholz (SPD) auf seiner Reise begleiten, nicht so schlecht. So sind die Vorstandsvorsitzenden von Bayer, Siemens, Thyssenkrupp, Mercedes, Voith und DHL mit dabei – und setzen auch auf die Macht der Politik, um gute Investitionsbedingungen zu schaffen. Die Wirtschaftsbosse erwarten von ihm ein Aushandeln besserer Investitionsbedingungen, die USA und die EU-Kommission dagegen ein hartes Auftreten und eine Ansage gegen den Protektionismus.
Für Scholz ist es ein Drahtseilakt – er muss sich für die Interessen der deutschen Wirtschaft einsetzen, ohne dabei über die allgemeine
Linie der Europäischen Union hinauszugehen. Die sieht vor, die strategische Abhängigkeit von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt nach den USA zu verringern.
Doch in Shanghai warnt Scholz auch vor einem möglichen Handelskrieg. „Das Einzige, was immer klar sein muss, ist, dass der Wettbewerb fair sein muss“, sagt Scholz: „Wir möchten natürlich, dass unsere Unternehmen keine Beschränkungen haben, aber umgekehrt verhalten wir uns genauso, wie wir es hier fordern.“Es dürfe kein Dumping und keine Überproduktion geben. Außerdem dürften Urheberrechte nicht beeinträchtigt werden, und man solle nicht auf bürokratische Hürden stoßen, so Scholz.
Seit dem Herbst ermittelt Brüssel in einer Antisubventionsuntersuchung gegen in China produzierte E-Autos. Der Verdacht lautet auf Marktverzerrung, weil staatliche Subventionen dem Vorwurf nach dafür sorgen, dass chinesische Marken ihre E-Autos in Europa zu deutlich niedrigeren Preisen anbieten können als heimische Hersteller. Sollten diese Untersuchungen in Gegenmaßnahmen münden, könnte dies einen Handelskrieg auslösen, befürchten vor allem die deutschen
Autobauer. Scholz verweist darauf, dass es auch Vorbehalte gegeben habe, als japanische und koreanische Wagen auf den Markt der Bundesrepublik gekommen seien. Es gebe deutsche Autos in China, die mit vielen chinesischen Herstellern gemeinsam entwickelt und gebaut worden seien, und irgendwann gebe es auch chinesische Autos in Deutschland und Europa.
Wer also genau hinhört, merkt, dass auch für den Kanzler die Interessen der deutschen Wirtschaft Vorrang haben. Und die Einigkeit in der EU manchmal ein wenig nachrangig ist. Eigentlich strebt die Ampel-Regierung
laut der eigenen Strategie eine Verringerung der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China an, um ein böses Erwachen, wie bei der Kappung der russischen Gaslieferungen nach dem Angriff auf die Ukraine, zu vermeiden. Doch so richtig zündet diese Strategie bei der deutschen Wirtschaft nicht. Die etwa 5000 deutschen Unternehmen in China sorgen sich eher um unfaire Wettbewerbsbedingungen und die Exporteure um sinkende Absatzzahlen. Mit einem Handelsvolumen von rund 253 Milliarden Euro pro Jahr ist China Deutschlands wichtigster Wirtschaftspartner.