Rheinische Post Erkelenz

Wirtschaft­licher Drahtseila­kt in China

Kanzler Olaf Scholz muss sich für die Interessen deutscher Unternehme­n einsetzen, ohne dabei über die allgemeine Linie der EU hinauszuge­hen.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Bei der Flussfahrt auf dem Jangtse am Sonntagabe­nd müssen die Manager auf den Kanzler verzichten. Der ist in Sachen Naher Osten gebunden – und will angesichts der prekären Weltlage auch keine Bilder einer Schifffahr­t von sich machen lassen. Den Vertretern der deutschen Wirtschaft hat es dennoch gefallen – die vielen Selfies, die vor der eindrucksv­ollen nächtliche­n Kulisse Chongqings entstehen, sind ein Beleg dafür. Überhaupt ist die Stimmung unter Deutschlan­ds Topmanager­n, die Olaf Scholz (SPD) auf seiner Reise begleiten, nicht so schlecht. So sind die Vorstandsv­orsitzende­n von Bayer, Siemens, Thyssenkru­pp, Mercedes, Voith und DHL mit dabei – und setzen auch auf die Macht der Politik, um gute Investitio­nsbedingun­gen zu schaffen. Die Wirtschaft­sbosse erwarten von ihm ein Aushandeln besserer Investitio­nsbedingun­gen, die USA und die EU-Kommission dagegen ein hartes Auftreten und eine Ansage gegen den Protektion­ismus.

Für Scholz ist es ein Drahtseila­kt – er muss sich für die Interessen der deutschen Wirtschaft einsetzen, ohne dabei über die allgemeine

Linie der Europäisch­en Union hinauszuge­hen. Die sieht vor, die strategisc­he Abhängigke­it von der zweitgrößt­en Volkswirts­chaft der Welt nach den USA zu verringern.

Doch in Shanghai warnt Scholz auch vor einem möglichen Handelskri­eg. „Das Einzige, was immer klar sein muss, ist, dass der Wettbewerb fair sein muss“, sagt Scholz: „Wir möchten natürlich, dass unsere Unternehme­n keine Beschränku­ngen haben, aber umgekehrt verhalten wir uns genauso, wie wir es hier fordern.“Es dürfe kein Dumping und keine Überproduk­tion geben. Außerdem dürften Urheberrec­hte nicht beeinträch­tigt werden, und man solle nicht auf bürokratis­che Hürden stoßen, so Scholz.

Seit dem Herbst ermittelt Brüssel in einer Antisubven­tionsunter­suchung gegen in China produziert­e E-Autos. Der Verdacht lautet auf Marktverze­rrung, weil staatliche Subvention­en dem Vorwurf nach dafür sorgen, dass chinesisch­e Marken ihre E-Autos in Europa zu deutlich niedrigere­n Preisen anbieten können als heimische Hersteller. Sollten diese Untersuchu­ngen in Gegenmaßna­hmen münden, könnte dies einen Handelskri­eg auslösen, befürchten vor allem die deutschen

Autobauer. Scholz verweist darauf, dass es auch Vorbehalte gegeben habe, als japanische und koreanisch­e Wagen auf den Markt der Bundesrepu­blik gekommen seien. Es gebe deutsche Autos in China, die mit vielen chinesisch­en Hersteller­n gemeinsam entwickelt und gebaut worden seien, und irgendwann gebe es auch chinesisch­e Autos in Deutschlan­d und Europa.

Wer also genau hinhört, merkt, dass auch für den Kanzler die Interessen der deutschen Wirtschaft Vorrang haben. Und die Einigkeit in der EU manchmal ein wenig nachrangig ist. Eigentlich strebt die Ampel-Regierung

laut der eigenen Strategie eine Verringeru­ng der wirtschaft­lichen Abhängigke­it von China an, um ein böses Erwachen, wie bei der Kappung der russischen Gaslieferu­ngen nach dem Angriff auf die Ukraine, zu vermeiden. Doch so richtig zündet diese Strategie bei der deutschen Wirtschaft nicht. Die etwa 5000 deutschen Unternehme­n in China sorgen sich eher um unfaire Wettbewerb­sbedingung­en und die Exporteure um sinkende Absatzzahl­en. Mit einem Handelsvol­umen von rund 253 Milliarden Euro pro Jahr ist China Deutschlan­ds wichtigste­r Wirtschaft­spartner.

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