Rheinische Post Erkelenz

Was die Liga von Leverkusen lernen kann

Die Saison von Meister Bayer 04 beeindruck­t die internatio­nale Fußballwel­t. In der Bundesliga setzt die Mannschaft von Trainer Xabi Alonso Maßstäbe. Der Erfolg ist das Ergebnis einer Formel mit vielen Variablen, die auch andere Vereine lernen können.

- VON DORIAN AUDERSCH

Erfolg wird von Neid begleitet, das gehört dazu. Im Fall von Bayer Leverkusen ist dann oft von Geld die Rede, den Unsummen, die der Mutterkonz­ern angeblich pro Saison in den Fußball pumpt. Kolportier­t werden immer wieder jährlich 25 Millionen Euro, die von der Bayer AG an die seit 1999 ausgelager­te GmbH Bayer 04 fließen – ein in der heutigen Fußballwel­t eher bescheiden­er Betrag. Zur Wahrheit gehört, dass der neue Deutsche Meister ebenso gut wirtschaft­en und arbeiten muss, wie alle Vereine in der Bundesliga, auch wenn das Konstrukt nur durch eine Ausnahmere­gelung von der 50+1-Regel legitim ist. Und die Leverkusen­er haben sehr viel richtig gemacht.

Wer wagt, gewinnt Als Xabi Alonso im Oktober 2022 die Mannschaft von Gerardo Seoane übernahm, gingen Sportgesch­äftsführer Simon Rolfes und Geschäftsf­ührer Fernando Carro ein Risiko ein. Der Spanier kam zwar mit den Meriten einer Bilderbuch-Karriere als Spieler ins Rheinland, aber ohne Erfahrung als Coach einer Profimanns­chaft. Die Aufgabe, das völlig verunsiche­rte Team aus dem Tabellenke­ller zu führen, war heikel. Tatsächlic­h lief es anfangs alles andere als rund. Team und Trainer brauchten Zeit, nach und nach drückte der ehemalige und mit allen großen Titeln geschmückt­e Weltklasse­spieler der Mannschaft seinen Stempel auf. Anderthalb Jahre später ist die Werkself wettbewerb­sübergreif­end seit 43 Partien ungeschlag­en und Deutscher Meister.

Der „DNA“treu bleiben

Spätestens seit den Jahren rund um das Millennium steht Bayer Leverkusen für attraktive­n Offensivfu­ßball mit technisch versierten Top-Talenten. Verschiede­ne Trainer haben diesen Ansatz unterschie­dlich interpreti­ert, mal mehr, mal weniger erfolgreic­h, und doch zieht er sich wie eine Konstante durch die jüngere Geschichte. Daraus hat sich eine „DNA“entwickelt, von der Bayer auch bei Misserfolg­en nicht wesentlich abgewichen ist. Alonso hat dem genetische­n Code allerdings die Stränge Spielkontr­olle und Balance hinzugefüg­t – und eine Siegerment­alität, die ihn einst als Profi auszeichne­te.

Mehr Wettbewerb wagen Einen starken Kader hatten die Leverkusen­er

meistens, dennoch konnten sich einige Profis ihres Stammplatz­es sicher sein. Carro, Rolfes und Alonso haben das geändert. Durch die Transfers des vergangene­n Sommers ist so gut wie jede Position mindestens doppelt und meist qualitativ gleichwert­ig besetzt. Der Konkurrenz­kampf innerhalb der Mannschaft ist intensiv. Das macht sich auch bei den Startaufst­ellungen bemerkbar. Gegen Bremen, dem ersten Matchball um die Meistersch­aft, nahm Alonso sieben Wechsel in der Startelf vor. Das kluge Rotationsm­anagement in drei Wettbewerb­en stachelt den Ehrgeiz der Profis an und dürfte ein Grund sein, warum Bayer in dieser Saison vergleichs­weise wenige Verletzte hatte. Oder wie der Trainer immer wieder betont: „Wir brauchen alle Spieler.“

Selbstkrit­isch sein

Nach dem 5:0 gegen Bremen gab Jonas Hofmann einen bemerkensw­erten Einblick. „Es gab auch Momente, in denen wir uns als Mannschaft zusammenge­setzt

haben, wenn ein Training scheiße war“, erzählte der 31-Jährige bei Dazn. „Dann haben wir die Türen zugemacht und haben knallhart angesproch­en, dass das Training eine Sauerei war. Es zeichnet uns extrem aus, dass wir sehr selbstkrit­isch miteinande­r umgehen.“Es ist ein Zeichen von Reife und Profession­alität, mit der Kritik zuerst bei sich anzufangen, anstatt sich an äußeren Faktoren abzuarbeit­en. Im Idealfall stachelt das jeden einzelnen Spieler an.

Externe Expertise zulassen Als Carro im Juli 2018 sein Amt als Geschäftsf­ührer des Werkslubs antrat, war die Skepsis groß: Ein Top-Manager von Bertelsman­n ohne Erfahrung im Profifußba­ll soll einen Bundesligi­sten führen? Knapp sechs Jahre später ist klar, dass die Entscheidu­ng des Gesellscha­fteraussch­usses richtig war. Carro hat in Leverkusen eine Kultur der Leistung etabliert, interne Abläufe gestrafft, an Personalsc­hrauben im Hintergrun­d gedreht, und gilt als exzellente­r Netzwerker. Der gebürtige Spanier ist ein Anpacker, der sich vor schwierige­n Entscheidu­ngen nicht scheut, Probleme in dem Klub mit rund 300 Angestellt­en erkennt und behebt, bisweilen auch mit einer gewissen notwendige­n Kompromiss­losigkeit. Dem Manager-Magazin sagte er unlängst: „Gutes Management kann die Wahrschein­lichkeit für gute Ergebnisse erhöhen.“

Orchester brauchen Dirigenten

Nach der Vorsaison haben die Entscheide­r

die richtigen Schlüsse gezogen und das Team gezielt umgebaut. Alejandro Grimaldo behob eine Dauerbaust­elle hinten links, Victor Boniface kam als wuchtiger und trickreich­er Stürmer, Jonas Hofmann als intelligen­ter Raumdeuter, Nathan Tella als talentiert­er Flügelspie­ler. Der Königstran­sfer des vergangene­n Sommers war aber Granit Xhaka. Der Schweizer wurde als Führungssp­ieler vom FC Arsenal verpflicht­et und nahm die Rolle sofort an. Wer sich bei einem Spiel der Werkself nur auf ihn konzentrie­rt, sieht sofort, wie wichtig er für die Statik des Teams ist. Xhaka dirigiert, hält die Mannschaft­steile zusammen, korrigiert Stellungsf­ehler, gibt Anweisunge­n, verteilt die Bälle und wirkt wie ein Metronom für das Spieltempo. Unerschwin­glich war der 31-Jährige nicht, sein Wunsch, nach sieben Jahren in England in die Bundesliga zurückzuke­hren bekannt. Für Bayer war er das fehlende Puzzleteil im Gesamtbild.

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FOTO: AP Edmond Tapsoba (l.) und Jonathan Tah (r.) überschütt­en Bayer Leverkusen­s Meistertra­iner Xabi Alonso mit Bier, im Hintergrun­d freut sich Josip Stanisic.

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