Vorerst ganz oben
Für Friedrich Merz geht es um viel: Auf dem Parteitag steht er zur Wiederwahl als Vorsitzender, seine Partei gibt sich ein neues Programm. Merz brennt auf mehr: aufs Kanzleramt. Das Symbol möglicher Probleme dabei ist ein Ei.
Es ist noch sehr früh an diesem Sitzungstag. Friedrich Merz aber ist schon im Plenarsaal des Deutschen Bundestags. Man kann ihn im Gespräch mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Rolf Mützenich, von der Tribüne aus erspähen. Die beiden Männer diskutieren angeregt, lachen. Der Oppositionsführer und Unionsfraktionschef schätzt den sozialdemokratischen Kollegen. Politisch unterschiedliche Auffassungen, aber menschlich passt es gut, so würde Merz es zusammenfassen.
Das ist nicht bei allen SPD-Politikern der Fall. Das Aufeinandertreffen erfolgt vor einem Auftritt des CDU-Vorsitzenden im Bundestag, in dessen Verlauf er am Kanzler kein gutes Haar lassen wird. Der 68 Jahre alte Oppositionsführer bezeichnet den drei Jahre jüngeren Olaf Scholz an diesem Novembermorgen als „Klempner der Macht“, spricht ihm die Eignung zum Bundeskanzler ab. Scholz fehle eine Vision für die Zukunft des Landes, sagt Merz. Nach Scholz’ Regierungserklärung sei nur ein Schluss möglich: „Sie können es nicht.“Es entspricht in etwa dem, was er vom Kanzler auch persönlich hält.
Starker Tobak, aber Merz ist mit sich zufrieden, er klatscht den neben ihm sitzenden CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zwar nicht ab, aber seiner Mimik nach würde er es am liebsten tun. Merz sitzt oft im Bundestag. Zu oft, sagen manche in der Partei. „Sein Herz ist bei der Fraktion, nicht bei der Partei“, so formuliert es jemand. Um hinterherzuschieben, dass „Friedrich wirklich ein brillanter Redner“sei.
Doch hört man sich um in der Partei, so ist die Kritik deutlich leiser geworden in den vergangenen Monaten. Merz habe sich mittlerweile viel besser im Griff; dass er im Juli vergangenen Jahres Carsten Linnemann zum Generalsekretär
der Partei gemacht habe, sei ein sehr guter Griff gewesen.
Wenn man Merz persönlich trifft in diesen Tagen, so erlebt man einen Politiker, der mit sich gerade im Reinen ist. Wie sollte er auch nicht? Doppelt so stark in Umfragen wie die Regierungspartei SPD, nicht einmal die ganze Ampel-Regierung reicht an die Zustimmung für die Union heran. Das neue CDU-Grundsatzprogramm hat er relativ geräuschlos mit den Seinen aufgesetzt, die Debatten entzündeten sich vor dem Parteitag am Thema Islam, das
nd war es dann aber auch.
Es brennt in Merz, er will mehr, das merkt man. Am besten sofort. Doch genau das kann eine Falle sein, deswegen trichtert ihm sein Team ein: Ruhe, Gelassenheit, die eigene Impulsivität nicht in Worte oder Körpersprache umsetzen. Es hat gewirkt. Vorerst.
Merz ist sehr schnell im Auffassen von Sachverhalten, dem sofortigen Weiterdenken und dem Schlüsseziehen – das hat er mit seiner Vorgängerin Angela Merkel und dem derzeitigen Kanzler gemein. Problem dabei war, dass Merz seinem Gegenüber oft ins Wort fiel, ruppiger erschien, als er es womöglich beabsichtigte. Doch er hat gelernt, hört auf die, die ihn beraten. Und mäßigt sich.
Zugleich ist Merz bewusst, dass die Lage im Land auch für einen Unionskanzler schwierig wäre. Auch er sieht die Zwänge des Haushalts, den nicht enden wollenden Krieg in der Ukraine, die Herausforderungen durch den erstarkenden Rechtsextremismus, die Unwägbarkeiten bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Wenn es gut läuft, stellt die CDU danach drei Ministerpräsidenten. Wenn es schlecht läuft, keinen – und man hat eine Debatte über die Brandmauer zur AfD am Hals. Zu diesem Thema hatte er bereits vor einem Jahr mit einer ungenauen Kommunikation in einem Sommerinterview Unruhe ausgelöst.
Merz hatte damals bekräftigt, dass die Union nicht mit der AfD kooperieren werde, das aber auf „gesetzgebende Körperschaften“, etwa auf europäischer, Bundes- oder Landesebene, beschränkt. Absicht oder Fahrlässigkeit? Wahrscheinlich wird die Union diese Diskussion im Herbst noch einmal führen müssen.
Bleibt die Frage nach der Kür des Kanzlerkandidaten der Union. Eigentlich,
so könnte man meinen, wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Ein großer Parteitag in Berlin (nämlich Anfang kommender Woche) mit Wahlen des Vorstands, ein neues Programm, dann die Europawahl, die gar nicht so schlecht verlaufen könnte. Warum also nicht? Doch da ist die Verabredung mit der CSU, genauer: mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden Markus Söder. Zeitpunkt: mal Spätsommer, mal Frühherbst, Verfahren und Präsentation unklar. Doch rütteln will daran gerade niemand.
Der CDU-Vorsitzende und der CSUVorsitzende sind einander so nahe, wie es zwei machthungrige Politiker eben sein können. Man hört einander häufig, tauscht sich aus. Doch dann kam die Sache mit dem Ei. Söder verloste zu Ostern ein Riesen-Schoko-Ei mit seinem Konterfei in den sozialen Medien. Merz nahm bei der Jungen Union Bezug darauf in, nun, humorvoll-spöttischer Art und Weise. In München war man nicht amüsiert. Und nun schlägt Söder quasi eiertechnisch zurück, verlost erneut sein Konterfei auf Eiern und reserviert eines davon für die CDU, denn er wisse, dass Merz „ein wahnsinniger Fan davon ist und es in seinem Büro haben will“.
Nun kann man das Ei-Gate als bizarren Spaß verstehen. Oder doch als Frotzelei zwischen zweien, die sich belauern. Passend dazu gibt Söder kurz vor dem CDU-Parteitag schon mal ein Interview, in dem er quasi eine große Koalition mit der SPD nach der Bundestagswahl ankündigt. Unabgesprochen, versteht sich. Man kann das alles so lesen: Auch wenn Söder Platz macht, einfach wird er es Merz nicht machen. Und vom deutlich jüngeren möglichen Kandidaten, dem NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst, den die politischen Gegner von den dreien am meisten fürchten, war noch gar nicht die Rede.
Es bleibt also munter in der Union. Doch im Mai 2024 ist Merz dennoch auf dem Zenit seiner Parteikarriere angekommen. Wie drückt es einer aus: „Friedrich Merz kann nur noch über einen stürzen: Friedrich Merz.“
Das Problem war lange, dass Merz seinem Gegenüber oft ins Wort fiel, ruppiger, als er es womöglich wollte