Rheinische Post Erkelenz

Vorerst ganz oben

Für Friedrich Merz geht es um viel: Auf dem Parteitag steht er zur Wiederwahl als Vorsitzend­er, seine Partei gibt sich ein neues Programm. Merz brennt auf mehr: aufs Kanzleramt. Das Symbol möglicher Probleme dabei ist ein Ei.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Es ist noch sehr früh an diesem Sitzungsta­g. Friedrich Merz aber ist schon im Plenarsaal des Deutschen Bundestags. Man kann ihn im Gespräch mit dem Fraktionsv­orsitzende­n der SPD, Rolf Mützenich, von der Tribüne aus erspähen. Die beiden Männer diskutiere­n angeregt, lachen. Der Opposition­sführer und Unionsfrak­tionschef schätzt den sozialdemo­kratischen Kollegen. Politisch unterschie­dliche Auffassung­en, aber menschlich passt es gut, so würde Merz es zusammenfa­ssen.

Das ist nicht bei allen SPD-Politikern der Fall. Das Aufeinande­rtreffen erfolgt vor einem Auftritt des CDU-Vorsitzend­en im Bundestag, in dessen Verlauf er am Kanzler kein gutes Haar lassen wird. Der 68 Jahre alte Opposition­sführer bezeichnet den drei Jahre jüngeren Olaf Scholz an diesem Novembermo­rgen als „Klempner der Macht“, spricht ihm die Eignung zum Bundeskanz­ler ab. Scholz fehle eine Vision für die Zukunft des Landes, sagt Merz. Nach Scholz’ Regierungs­erklärung sei nur ein Schluss möglich: „Sie können es nicht.“Es entspricht in etwa dem, was er vom Kanzler auch persönlich hält.

Starker Tobak, aber Merz ist mit sich zufrieden, er klatscht den neben ihm sitzenden CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt zwar nicht ab, aber seiner Mimik nach würde er es am liebsten tun. Merz sitzt oft im Bundestag. Zu oft, sagen manche in der Partei. „Sein Herz ist bei der Fraktion, nicht bei der Partei“, so formuliert es jemand. Um hinterherz­uschieben, dass „Friedrich wirklich ein brillanter Redner“sei.

Doch hört man sich um in der Partei, so ist die Kritik deutlich leiser geworden in den vergangene­n Monaten. Merz habe sich mittlerwei­le viel besser im Griff; dass er im Juli vergangene­n Jahres Carsten Linnemann zum Generalsek­retär

der Partei gemacht habe, sei ein sehr guter Griff gewesen.

Wenn man Merz persönlich trifft in diesen Tagen, so erlebt man einen Politiker, der mit sich gerade im Reinen ist. Wie sollte er auch nicht? Doppelt so stark in Umfragen wie die Regierungs­partei SPD, nicht einmal die ganze Ampel-Regierung reicht an die Zustimmung für die Union heran. Das neue CDU-Grundsatzp­rogramm hat er relativ geräuschlo­s mit den Seinen aufgesetzt, die Debatten entzündete­n sich vor dem Parteitag am Thema Islam, das

nd war es dann aber auch.

Es brennt in Merz, er will mehr, das merkt man. Am besten sofort. Doch genau das kann eine Falle sein, deswegen trichtert ihm sein Team ein: Ruhe, Gelassenhe­it, die eigene Impulsivit­ät nicht in Worte oder Körperspra­che umsetzen. Es hat gewirkt. Vorerst.

Merz ist sehr schnell im Auffassen von Sachverhal­ten, dem sofortigen Weiterdenk­en und dem Schlüssezi­ehen – das hat er mit seiner Vorgängeri­n Angela Merkel und dem derzeitige­n Kanzler gemein. Problem dabei war, dass Merz seinem Gegenüber oft ins Wort fiel, ruppiger erschien, als er es womöglich beabsichti­gte. Doch er hat gelernt, hört auf die, die ihn beraten. Und mäßigt sich.

Zugleich ist Merz bewusst, dass die Lage im Land auch für einen Unionskanz­ler schwierig wäre. Auch er sieht die Zwänge des Haushalts, den nicht enden wollenden Krieg in der Ukraine, die Herausford­erungen durch den erstarkend­en Rechtsextr­emismus, die Unwägbarke­iten bei den Landtagswa­hlen in Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g. Wenn es gut läuft, stellt die CDU danach drei Ministerpr­äsidenten. Wenn es schlecht läuft, keinen – und man hat eine Debatte über die Brandmauer zur AfD am Hals. Zu diesem Thema hatte er bereits vor einem Jahr mit einer ungenauen Kommunikat­ion in einem Sommerinte­rview Unruhe ausgelöst.

Merz hatte damals bekräftigt, dass die Union nicht mit der AfD kooperiere­n werde, das aber auf „gesetzgebe­nde Körperscha­ften“, etwa auf europäisch­er, Bundes- oder Landeseben­e, beschränkt. Absicht oder Fahrlässig­keit? Wahrschein­lich wird die Union diese Diskussion im Herbst noch einmal führen müssen.

Bleibt die Frage nach der Kür des Kanzlerkan­didaten der Union. Eigentlich,

so könnte man meinen, wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Ein großer Parteitag in Berlin (nämlich Anfang kommender Woche) mit Wahlen des Vorstands, ein neues Programm, dann die Europawahl, die gar nicht so schlecht verlaufen könnte. Warum also nicht? Doch da ist die Verabredun­g mit der CSU, genauer: mit dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten und Parteivors­itzenden Markus Söder. Zeitpunkt: mal Spätsommer, mal Frühherbst, Verfahren und Präsentati­on unklar. Doch rütteln will daran gerade niemand.

Der CDU-Vorsitzend­e und der CSUVorsitz­ende sind einander so nahe, wie es zwei machthungr­ige Politiker eben sein können. Man hört einander häufig, tauscht sich aus. Doch dann kam die Sache mit dem Ei. Söder verloste zu Ostern ein Riesen-Schoko-Ei mit seinem Konterfei in den sozialen Medien. Merz nahm bei der Jungen Union Bezug darauf in, nun, humorvoll-spöttische­r Art und Weise. In München war man nicht amüsiert. Und nun schlägt Söder quasi eiertechni­sch zurück, verlost erneut sein Konterfei auf Eiern und reserviert eines davon für die CDU, denn er wisse, dass Merz „ein wahnsinnig­er Fan davon ist und es in seinem Büro haben will“.

Nun kann man das Ei-Gate als bizarren Spaß verstehen. Oder doch als Frotzelei zwischen zweien, die sich belauern. Passend dazu gibt Söder kurz vor dem CDU-Parteitag schon mal ein Interview, in dem er quasi eine große Koalition mit der SPD nach der Bundestags­wahl ankündigt. Unabgespro­chen, versteht sich. Man kann das alles so lesen: Auch wenn Söder Platz macht, einfach wird er es Merz nicht machen. Und vom deutlich jüngeren möglichen Kandidaten, dem NRW-Ministerpr­äsidenten Hendrik Wüst, den die politische­n Gegner von den dreien am meisten fürchten, war noch gar nicht die Rede.

Es bleibt also munter in der Union. Doch im Mai 2024 ist Merz dennoch auf dem Zenit seiner Parteikarr­iere angekommen. Wie drückt es einer aus: „Friedrich Merz kann nur noch über einen stürzen: Friedrich Merz.“

Das Problem war lange, dass Merz seinem Gegenüber oft ins Wort fiel, ruppiger, als er es womöglich wollte

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KARIKATUR: KLAUS STUTTMANN

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