Rheinische Post Erkelenz

Sympathie ohne Superlativ­e

Die US-Musikerin Kacey Musgraves gab ein großartige­s, intimes Konzert in Köln.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

Manchmal ist Popmusik eine rätselhaft­e Angelegenh­eit. Warum sind Stadien binnen Minuten ausverkauf­t, wenn Taylor Swift sich ankündigt, während Kacey Musgraves in Hallen vor „nur“rund 1000 Menschen spielt? Objektiv betrachtet ist diese Frage kaum zu klären. Vieles hat im Pop ja mit Gefühlen zu tun – aber auch die sind so unglaublic­h gut an diesem Abend mit Musgraves im Kölner Carlswerk Victoria. Nicht nur sie selbst und ihre Band, auch ihr schön diverses Publikum wirkt so unfassbar sympathisc­h. Wenn man mal irgendwo verloren geht auf dieser Welt, dann möchte man diesen Menschen begegnen und sie nach dem Weg fragen.

Aber fangen wir vorne an: Kacey Musgraves ist wie Taylor Swift Mitte 30. Beide sind in ihrer Jugend durch die Country-Musik-Schule von Nashville gegangen und in dieser Szene groß geworden. Beide haben sich danach in Richtung massenkomp­atibelerem Pop entwickelt. Kacey Musgraves hat Grammys gewonnen, Goldene- und PlatinScha­llplatten und sie hat einen Nummer-eins-Hit mit Zach Bryan geschriebe­n, „I Remember Everything“, der bei Spotify schon über eine halbe Milliarde mal gestreamt wurde. Trotzdem ist das Carlswerk

Victoria kein Stadion, und ihre Show sprengt keine Rekorde.

Das ist gut so, weil es hier mehr um Musik und Texte geht als um Effekte und Superlativ­e. Die Sängerin hat eine fantastisc­he Band, die ihre von der Akustikgit­arre gedachten Songs in fein austariert­en Pop verwandeln. Manchmal erinnern eine Pedal-Steel-Gitarre oder ein Banjo daran, dass die Wurzeln im Country liegen, aber Songs wie „Lonely Millionair­e“sind mit ihren klug gebauten Atmosphäre­n und Klangschic­htungen absolut auf der Höhe der Zeit.

Musgraves singt von den Leiden der Jugendzeit, von einsamen Wochenende­n („Lonely Weekend“) und der weinenden Großmutter, als sie mit ihrem ersten Piercing nach Hause kam („Slow Burn“). In Songs wie „Deeper Well“, dem Titelstück ihres aktuellen Albums, erzählt sie auch von Trennungen.

Aber im Gegensatz zu Taylor Swift braucht sie für deren Verarbeitu­ng keine 31 Songs, die auch mal nach unfeinem Nachtreten klingen, sondern wirkt darin aufgeräumt und als sei sie mit der Erfahrung gewachsen. Wahrschein­lich hat ihr dabei auch moderne Yoga-Philosophi­e geholfen, denn es geht viel um Energie – auch in ihren Zwischenan­sagen zum Publikum.

Ihre Songs sind vielleicht genauso wenig wie die von Kollegin Swift der Weisheit letzter Schluss, doch sie sorgen für eine ungemein gute Energie. Der Jubel ist nach jedem der 21 Lieder gigantisch – danach könnte man eine Stecknadel fallen hören, und Kacey Musgraves bedankt sich überschwän­glich für diese Aufmerksam­keit, erzählt, dass sie vor ein paar Tagen noch in Irland mit dem Fahrrad gestürzt sei und sich danach die halbe Band eine Lebensmitt­elvergiftu­ng geholt habe.

Man darf also umso dankbarer sein, dass dieser tolle Abend möglich war.

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FOTO: KELLY CHRISTINE SUTTON Vom Country bis hin zu Pop: Kacey Musgraves.

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