Autist macht Master in Harvard
Als Kind wurde Max Kümmecke wegen seines Asperger-Syndroms gemobbt, sollte von der Schule fliegen. Wie er zwölf Jahre später den Sprung an die renommierteste Uni der Welt geschafft hat und was er betroffenen Familien rät.
In diesen Tagen sitzt Max Kümmecke (24) ganz entspannt in seinem Elternhaus in Gerderath. Gerade ist er von der Harvard University, der renommiertesten Universität der Welt, zurückgekehrt, an der er im vergangenen Jahr geforscht und an seiner Masterarbeit gearbeitet hat. Kümmecke ist Biotechniker, betreibt Stammzellenforschung auf dem Gebiet der sogenannten RNAPolymerase. In wenigen Tagen wird er an der Uni Wien, an der er vor seinem Auslandsjahr studiert hat, seine Masterarbeit verteidigen und dann im September nach New York ziehen, um an der Rockefeller University seinen Doktor zu machen.
Dass diese Zeilen mal über Max Kümmecke geschrieben werden, hätte vor zwölf Jahren wohl niemand für möglich gehalten. Nicht seine Eltern und schon gar nicht seine Lehrer. Denn Max Kümmecke ist Autist, hat das Asperger-Syndrom. Soziale Interaktion fiel ihm als Kind enorm schwierig, ihm fehlte Einfühlungsvermögen, in großen Gruppen kam er nicht zurecht. „Diese Schulzeit war
extrem schwierig für mich, ich bin überhaupt nicht klargekommen“, sagt Kümmecke. Weil er anders war, ist er von seinen Mitschülern am Wegberger Maximilian-Kolbe-Gymnasium extrem gemobbt worden. „Mit elf Jahren habe ich 80 Kilo gewogen, weil dieses Mobbing mich so extrem belastet hat“, sagt er. „Diese riesigen Klassen haben mich sehr nervös gemacht, ich hatte vor den alltäglichsten Dingen Angst“, erklärt Kümmecke.
In der Folge wird er zum Problemschüler, müssen seine Eltern zu Gesprächen in die Schule kommen. „Ein Lehrer hat über mich gesagt, dass ich unbeschulbar bin“, sagt Kümmecke, der diese Äußerung heute verstehen kann: „Wenn du ein Arschlochkind
bist und dem Lehrer eine volle Breitseite verpasst, dann kann man das nachvollziehen, dass er das sagt.“Max Kümmecke soll von der Schule fliegen, die Lehrer wollen ihn auf eine Förderschule schicken. „Wenn ich damals auf die Sonderschule gekommen wäre, wäre ich komplett verkommen“, ist er sich heute sicher.
Der entscheidende Impuls kommt damals vom Jugendamt der Stadt Erkelenz, die ebenfalls mit seinem Fall betraut ist. Das Amt vermittelt und finanziert ihm einen Platz an der Hebo-Privatschule in Mönchengladbach. Und dort beginnt Max Kümmecke aufzublühen. „Das war für mich ein Neustart, in den viel kleineren Klassen kam ich viel besser zurecht. Ich habe soziale Kontakte
geknüpft, Freunde gefunden, 40 Kilo abgenommen, alle meine Probleme waren plötzlich weg“, sagt Kümmecke. Zeitgleich lernt er in der Therapie, mit seinem Asperger-Syndrom umzugehen.
Ein herausragender Schüler ist er zwar nicht, Kümmecke macht sein Abi aber trotzdem mit einem guten Schnitt von 2,0. Was er danach machen möchte, weiß er zunächst gar nicht genau, am Tag der offenen Tür der FH Aachen klingt Biotechnologie aber interessant. „Ich bin dort mega naiv hingegangen, hab mir vorher gar keine Gedanken gemacht“, sagt er lachend. Kümmecke zieht in ein Studentenwohnheim in Jülich, wo der Forschungscampus liegt. Er entwickelt sich zu einem guten Studenten,
geht in seinem Fach vollkommen auf. Für den Master zieht er dann nach Wien, beginnt das Studium dort im März 2020. „Ich war 15 Tage da, dann kam der Lockdown“, sagt er lachend. Weil er auch dort in einem Studentenwohnheim lebt, kommen die sozialen Kontakte trotzdem nicht zu kurz. „Wien war eine der bisher schönsten Phasen in meinem Leben“, sagt Kümmecke.
Und als es darum geht, wo Kümmecke seine Abschlussarbeit im Ausland machen könnte, wird er auf Twitter auf die Forschung des Dortmunder Zellbiologen Lucas Farnung aufmerksam, der in Harvard als Professor arbeitet. Kümmecke schreibt ihn an. „Ich glaube, Lucas fand meine Bewerbung dann einfach gut und hat mich angenommen.“So einfach kommt man also nach Harvard. „Eigentlich war es wirklich ganz easy“, sagt Kümmecke lachend und fügt an: „Okay, man braucht natürlich einen ganz guten Lebenslauf.“Im Labor, dem sogenannten Farnung Lab, seien seinem Team im vergangenen halben Jahr große Fortschritte gelungen, auch darüber hinaus war die Zeit an der Ostküste toll: „Boston ist das Mekka der Biotechnologie, die Startup-Kultur ist riesig und man kann schnell die Karriereleiter aufsteigen“, sagt Kümmecke. Nun freut er sich, gemeinsam mit einigen Forscherkollegen, die er in Harvard kennengelernt hat, nach New York zu gehen.
Für Eltern, die ebenfalls ein Kind mit Autismus haben, hat er einen Ratschlag: „Niemals die Hoffnung verlieren und das eigene Kind niemals als Problemkind betrachten. Es gibt viele Experten, die einem weiterhelfen können.“