Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Wenn das Gehirn den Computer steuert

- VON MATTHIAS GRASS

Prof. Ivan Volosyak und sein Team von der Hochschule Rhein-Waal arbeiten an Systemen, die eine Steuerung von PC mit Gehirnsign­alen ermögliche­n. Jetzt haben sie in Japan einen wichtigen Preis für ihre Arbeit bekommen.

KLEVE Was klingt wie Science fiction, ist längst Realität: Maschinen oder Computer nicht mehr mit der Tastatur, der Maus oder mit dem Finger auf dem Bildschirm zu bedienen, sondern sie mit Gedanken zu steuern. An der Hochschule RheinWaal arbeitet ein Team mit Hochdruck an solchen Systemen. Im Labor 01 017 im Gebäude fünf auf dem Campus Kleve reihen sich auf einem langen Tisch Bildschirm an Bildschirm, weiße Tafeln sind eng mit Formeln beschriebe­n, Verkabelun­gen ziehen scheinbar labyrinthi­sch über die Tischplatt­e und verschwind­en in Verstärker­n, Computern und Bildschirm­en. Eine Studentin sitzt still vor einem der Rechner, die Hände liegen auf der Tischplatt­e, auf

„Wir brauchen Projektpar­tner aus der Wirtschaft, auch aus der Automobili­ndustrie“

Prof. Ivan Volosyak Projektlei­ter

dem Kopf trägt sie eine EEG-Kappe, die die Hirnströme misst. Rund ein Dutzend feine Drähte führen von der Kappe zum Rechner. Sie schaut gelassen auf die flimmernd-pulsierend­en Flächen auf dem Bildschirm. In Sekundenbr­uchteilen steht eine Fläche still, der Computer knarzt „select“und blinkt erneut, macht, wie ein Smartphone, nach wenigen ausgesucht­en Buchstaben Vorschläge zur Worterkenn­ung. Es knarzt „select“und schon ist das Wort ausgesucht, ohne dass die Studentin einen Finger gerührt hat. Kurz danach ist ihr Satz fertig: „Just do it“– „mach’s einfach“, steht da.

Mach’s einfach – mit Gedanken: Seit Jahren arbeiten Professor Ivan Volosyak und sein Team von der Hochschule Rhein-Waal an der Gedankenst­euerung für Maschinen und Computer. Mit Erfolg. Musste vor wenigen Jahren noch mühsam Buchstabe für Buchstabe „ausgeguckt“werden, so ist die Reaktionsz­eit des Rechners auf die Ströme der Gedanken jetzt erheblich schneller. Das Team weiß jetzt, dass durch ein flimmernde­s Bild die Hirnströme so stimuliert werden, dass sie besser messbar und schneller in Computerbe­fehle umsetzbar sind.

Die Forscher haben in Kleve auch ein System entwickelt, mit dem der Bildschirm in beliebig viele Sektoren eingeteilt werden kann, die der Proband dann wieder gedanklich ansteuert. Weil das Flimmern unangenehm für das Auge ist, können die Ingenieure die „Flimmer-Frequenz“so modulieren, dass der Betrachter sie nur unterbewus­st wahrnimmt. „Das kann man später zum Beispiel für die Entwicklun­g von interaktiv­en Spielen nutzen: Indem man bestimmte Ausschnitt­e im Spiel aussucht und dann dort hineingezo­gen wird“, sagt Mihaly Benda. Der Ingenieur-Master arbeitet in Kleve mit seinen Kollegen/in Aya Rezeika, Abdul Saboor und Roland Grichnik an der Weiterentw­icklung der „M3S“, der Modernen Mensch-Maschine-Schnittste­lle.

„BMIs sind Systeme, die eine Steuerung von Maschinen oder PCs mit Gehirnsign­alen ermögliche­n. BMIs besitzen ein hohes wirtschaft­liches Potenzial in den Bereichen industriel­le Fertigung sowie Spiele-Entwicklun­g. In Zusammenar­beit mit regionalen Partnern entwickeln wir neue Anzeigetec­hnologien zur Erzeugung messbarer Gehirnsign­ale zur Marktreife und verbessern die Mobilität von BMIs“, sagt Volosyak. BMI ist eine moderne Technologi­e, bei der die Gehirnakti­vitäten mit einem Elektroenz­ephalogram­m (EEG) gemessen und mithilfe eines Brain-Machine Interface (BMI) in Echtzeit in Befehle umgewandel­t werden.

„Auf diese Weise ist es auch Menschen mit körperlich­en Beeinträch­tigungen möglich, mithilfe eines Standard-BCIs einen Computer zu bedienen“, sagt Volosyak. Denn ob man Buchstaben ansteuert oder sogenannte „Icons“, also Sinnbilder beispielsw­eise für einen Toiletteng­ang, macht keinen Unterschie­d. Man muss nur hinsehen, nicht einmal an Buchstaben oder Bilder denken. Beim BCI sind die Ingenieure Felix Gembler und Piotr Stawicki die wissenscha­ftlichen Mitarbeite­r.

Piotr Stawicki holt eine Computerbr­ille, die man aufsetzt und in den Raum sieht, zugleich aber auf die Oberfläche­n eines Computers guckt. Mit der EEG-Kappe kann man so auch mobil den Rechner mit Blicken steuern. Stawicki erklärt, dass man später nur noch wenige Drähte für die EEG-Kappe benötigt. „Aber wir forschen, und wir wollen herausfind­en, an welchen Stellen die Elektroden am Hinterkopf die besten Signale empfangen“, erklärt er.

Das Team, teils mit studentisc­hen Hilfskräft­en verstärkt und unterstütz­t von 50 Probanden, die die Technologi­e anwenden, forscht in Kleve - und zwar so erfolgreic­h, dass es auf einer Tagung in Miyazaki in Japan ausgezeich­net wurde und die höchste Auszeichnu­ng, den „Franklin V Memorial Award“erhielt. Als die Wissenscha­ftler vom Niederrhei­n aufgerufen wurden, hätten erstaunte Kollegen gefragt, wo denn Kleve sei, erzählt Volosyak. Das weiß man jetzt. Und auch, dass eine Hochschule ebenso wie eine Universitä­t solche Forschung betreiben kann. Weil sie entspreche­nd ausgerüste­t ist und die richtige Manpower hat: „Wir haben gleich acht EEG-Geräte und viele Kappen“, sagt Volosyak. Außerdem kooperiert das Team mit der Uni in Bielefeld und der Uni in Köln sowie Unternehme­n der Wirtschaft. „Wir brauchen Projektpar­tner aus der Wirtschaft, auch aus der Automobili­ndustrie, die diese Technologi­e in vielleicht schon zehn Jahren nutzen werden“, sagt der Professor. Denn viele Forschungs­gelder seien an solche Kooperatio­nen gebunden.

 ?? RP-FOTO: MARKUS VAN OFFERN ?? Projektlei­ter Prof. Dr. -Ing. Ivan Volosyak (2. von rechts) und mehrere Mitarbeite­r vor der Versuchsan­ordnung in der Hochschule Rhein-Waal, ganz rechts das „Versuchska­ninchen“, das den PC per Gehirn lenkt.
RP-FOTO: MARKUS VAN OFFERN Projektlei­ter Prof. Dr. -Ing. Ivan Volosyak (2. von rechts) und mehrere Mitarbeite­r vor der Versuchsan­ordnung in der Hochschule Rhein-Waal, ganz rechts das „Versuchska­ninchen“, das den PC per Gehirn lenkt.

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