Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
„Der Feind steht rechts“
Die kommissarische SPD-Chefin über rechtsextremen Terror und die Zukunft ihrer Partei.
BERLIN Malu Dreyer genießt in ihrer Partei hohe Beliebtheitswerte. Der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz wird ein hohes Maß an Integrationskraft nachgesagt. Am Montag braucht sie die, wenn es um die Entscheidung über den künftigen SPD-Vorsitz geht. Viel mehr Sorgen bereitet ihr aber der Rechtsextremismus in Deutschland.
Frau Dreyer, Ihre Amtskollegin und Parteifreundin Manuela Schwesig hat aus einer schlaflosen Nacht getwittert: Rechtsextreme bedrohen unsere Freiheit. Ist die Lage so schlimm, dass politische Verantwortliche Angst haben müssen?
DREYER Wir haben keine Angst. Aber ich bin sehr in Sorge und rufe dazu auf, dass wir die Gefahren des Rechtsextremismus sehr ernst nehmen. Die SPD ist seit jeher in ihrer Haltung völlig klar: Wir sind ein Garant im Kampf gegen rechts. Rechtsextremismus gehört konsequent verfolgt, mit den Instrumenten des Rechtsstaats, aber auch mit Zivilcourage, die wir auch im Netz brauchen.
Werden Hetze und Mordaufrufe denn schon ausreichend zur Anzeige gebracht, und hat die Justiz genug Kapazitäten, sich darum zu kümmern?
DREYER Bund und Länder haben in den vergangenen Jahren auch vor diesem Hintergrund für eine deutlich bessere Ausstattung von Justiz und Polizei gesorgt. Das sehe ich auf gutem Weg. Wir haben einen starken Staat mit ausreichenden Instrumenten. Ich selbst stelle bei Anfeindungen sehr konsequent Strafanzeige.
Spüren auch Sie, dass es mehr Drohungen gegen Ihre Person gibt?
DREYER Seit einigen Jahren haben Rechtspopulisten an Selbstvertrauen gewonnen. Das drückt sich auch in Drohungen gegen mich aus. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern. Wir dürfen uns niemals den Rechten beugen.
Sehen Sie zwischen dem Erstarken des rechten Randes und den Verlusten der Volksparteien einen Zusammenhang?
DREYER Nein, einen solchen Zusammenhang sehe ich nicht. Warum Rechtsradikale glauben, sie könnten ungeniert öffentlich Stimmung machen, hat auch mit der Haltung anderer Parteien zu tun, ob sie das dulden. Wir als SPD tun das nicht und haben das auch noch nie getan. Ich kann nur hoffen, dass sich alle Landesverbände der CDU daran halten werden, was die Bundesspitze vorgegeben hat: keine Koalitionen mit der AfD.
Welche Lehren ziehen Sie aus dem Mordfall Lübcke?
DREYER Wenn sich alles zum mutmaßlichen Mörder von Herrn Lübcke bestätigt, was jetzt noch Spekulation ist, wurden die Vorgaben nach der NSU-Mordserie nicht hinreichend umgesetzt. Der Rechtsextremismus wird immer noch verharmlost. Das ist alarmierend und brandgefährlich. Nur noch mal zur Erinnerung: Genau deswegen war der Fall Hans-Georg Maaßen für die SPD nicht nur eine Personalie. Es ging darum, dass ein Mensch mit Sympathien für Rechtspopulisten nie unseren Verfassungsschutz führen darf.
Welche Erwartungen haben Sie da an den Bundesinnenminister?
DREYER Ich denke, dass Herr Seehofer bei der Neubesetzung des Verfassungsschutzes die richtige Wahl getroffen hat. Dennoch zeigen sich beim Kampf gegen Rechtsextreme immer noch Schwächen. Ich halte es für falsch, Rechtsextremismus immer unter Verweis auf Linksextremismus zu relativieren. Der Verfassungsschutzbericht zeigt klar, wo die größte Gefahr für unsere Demokratie ist. Der Feind steht rechts. Und Rechtsextremismus ist nicht nur ein Problem in Ostdeutschland.
Dann wollen wir doch mal schauen, auf was wir Sie als kommissarische SPD-Chefin festnageln können. Können Sie sich eine Doppelspitze
für die Parteiführung vorstellen?
DREYER Ich konnte mir schon immer eine Doppelspitze vorstellen, der Erfolg hängt allerdings nicht zuletzt davon ab, ob beide Personen einander vertrauen können.
Andere Parteien sind gut damit gefahren, Teams für Doppelspitzen antreten zu lassen. Wünschen Sie sich das für die SPD auch?
DREYER Ich kann Ihre Neugier verstehen, werde aber den Gremien am Montag nicht vorgreifen.
Wird das Schicksal der großen Koalition davon abhängen, wer die SPD künftig führt?
DREYER Wir werden am Montag darüber sprechen, wie wir zu einer neuen Parteiführung kommen, und darüber, in welchem Verfahren wir die Halbzeitbilanz der Koalition ziehen können. Mögliche Kandidaten für die künftige Parteiführung müssen da Klarheit haben.
In der SPD gibt es die Sorge, dass es seitens der Parteispitze eine Wahlempfehlung geben wird und damit ein offener Wahlprozess torpediert wird. Können Sie Entwarnung geben?
DREYER Wir haben nach Zehntausenden Rücksendungen in den vergangenen Wochen ein Gefühl dafür bekommen, was unsere Mitglieder erwarten. Das ist ein offener und transparenter Beteiligungsprozess zur Wahl der neuen Parteispitze. Den wird es geben. Wir machen nicht im üblichen Verfahren weiter. Der Kandidatenprozess kommt aber erst nach den Entscheidungen am Montag.
Franziska Giffey wird als Kandidatin gehandelt. Wäre sie geeignet?
DREYER Ich äußere mich zu keiner Personalie.
Die Aussage von Ihnen, Frau Schwesig und Herrn Schäfer-Gümbel, dass Sie nicht kandidieren werden, ist aber final?
DREYER Meine Entscheidung steht: Ich werde nicht als SPD-Vorsitzende kandidieren.
Bei der Pressekonferenz im WillyBrandt-Haus sprachen Sie durchaus für alle drei kommissarischen Vorsitzenden.
DREYER Bei dieser Pressekonferenz haben das beide, genau wie ich, für sich selbst erklärt.
Wird die SPD denn für die nächste Bundestagswahl wieder eine Kanzlerkandidatin oder einen Kandidaten aufstellen?
DREYER Selbstverständlich! Wir behalten den Anspruch, dieses Land führen zu wollen und gute, sozialdemokratische Politik durchzusetzen.
Und Sie teilen die Einschätzung mancher Spitzengenossen, dass die SPD weiterhin ein Wählerpotenzial von mehr als 30 Prozent hat und stärkste Kraft werden kann?
DREYER Die aktuelle Umfrageschwäche sagt darüber nichts aus. Das sozialdemokratische Potenzial bleibt, und die SPD kann stärkste Kraft werden. Klar!