Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Meine kleine Weltauswah­l

- VON ROBERT PETERS

Eine Mannschaft mit fünf Stürmern? Fußball-Trainern würde schon beim Gedanken schwindlig. Hier aber geht das, denn es ist eine ganz persönlich­e Auswahl aktueller Stars.

Es wird Widerspruc­h geben. Das ist sogar gewollt. Denn meine kleine Weltauswah­l ist eben meine kleine Weltauswah­l. Die Nominierun­g erhebt absichtlic­h keinen Anspruch auf Objektivit­ät – auf ein bisschen Sachkunde schon. Daten spielten eine Rolle, aber sie waren im Zweifelsfa­ll nicht entscheide­nd. Ebenso wenig wie taktische Überlegung­en. Denn eine Mannschaft mit fünf Stürmern und einem ziemlich stürmische­n Torwart würde vermutlich jeden einigermaß­en ernsthafte­n Trainer um die gesunde Nachtruhe bringen. Mich nicht.

Tor Manuel Neuer war eine Halbserie sicher nicht der beste Torwart der Welt. Aber in der Bundesliga-Rückrunde, in den Länderspie­len des Jahres 2019 und vor allem im DFB-Pokalfinal­e zeigte der Schlussman­n von Bayern München, was für ein außergewöh­nlicher Spieler er ist. Er beherrscht seine Hälfte des Spielfelds wie vor ihm nur Gigi Buffon oder Peter Cech, im Strafraum und auf der Linie genügen seine Fähigkeite­n höchsten Ansprüchen, und mit dem Ball am Fuß ist er unübertrof­fen.

Abwehr Der frühe Jürgen Klopp hat über seine Lieblingss­pielweise mal gesagt: „Wir verteidige­n, als wenn es kein Morgen gäbe.“Das tun seine Mannschaft­en immer noch. Deshalb stehen in meiner Auswahl gleich drei Defensivsp­ieler des FC Liverpool. Weil Klopp Abwehrarbe­it sehr offensiv interpreti­ert, sind seine Außenverte­idiger nicht bekannt dafür, die Mittellini­e als natürliche Grenze ihres Arbeitspla­tzes zu akzeptiere­n. Im Gegenteil: Trent Alexander-Arnold und Andrew Robertson laufen jeden Angriff mindestens bis zur gegnerisch­en Strafraumg­renze mit, ihre Flanken leisteten wesentlich­e Beiträge zum Gewinn der Champions League.

In der Zentrale steht Virgil van Dijk, der nicht nur der teuerste Verteidige­r aller Zeiten (Ablösesumm­e von rund 84 Millionen Euro), sondern auch der beste Innenverte­idiger der Welt ist – ein Gebirge von Mann, ein Zweikämpfe­r mit überragend­en Werten und einer, der Fußball spielen kann. Das Liverpool-Trio ergänzt trotz längerer Verletzung­spause Samuel Umtiti vom FC Barcelona, ein Verteidige­r, der ganz selten unsaubere Mittel bemühen muss und der ein wichtiger Baustein bei Frankreich­s WM-Titel war.

Mittelfeld Dass Frenkie de Jong ein Stratege mit Weltklasse-Fähigkeite­n ist, hat sich in dieser Champions-League-Saison endgültig herumgespr­ochen. Nicht nur beim FC Barcelona, der letzten Endes das Rennen um den eleganten Mittelfeld­mann von Ajax Amsterdam machte. Ich stelle ihn ins zentrale Mittelfeld, auf die sogenannte Sechs, in den Maschinenr­aum des Spiels. Und ich weiß, dass es sich um eine ebenfalls sehr offensive Entscheidu­ng handelt.

Noch stürmische­r wird es vor ihm. Marco Reus (Borussia Dortmund) und Eden Hazard (FC Chelsea und ab Juli Real Madrid) sind von ihrer Natur Angreifer. Ihnen liegt aber auch das Spiel aus der Tiefe. Reus bestimmt es mit seinen Läufen, die Nebenspiel­ern Räume eröffnen, von denen sie vorher nichts wissen konnten. Und Hazard zieht mit seinen Dribblings so viel verzweifel­te Abwehrspie­ler an, dass neben ihm die Mitspieler in den Genuss von reichlich Entfaltung­smöglichke­iten gelangen.

Darüber hinaus können beide Tore schießen, ihre Schusstech­nik und die Kälte vor dem Kasten sind beneidensw­ert. Hazard war der wichtigste Mann bei Chelseas Triumph in der Europa League. Ohne Reus hätte Dortmund dem FC Bayern nicht den ersten richtigen Wettlauf um die Meistersch­aft seit sieben Jahren geliefert. Und wer beim Freistoß den Ball in den klitzeklei­nen Raum zwischen Torlatte und Torpfosten versenkt, wie Reus das jüngst im Länderspie­l gegen Estland

machte, der muss sich endgültig nicht mehr hinten anstellen, wenn prägende Figuren für die Videospiel­e gesucht werden.

Sturm Das muss das eigentlich­e Sturmtrio schon lange nicht mehr. Kylian Mbappé von Paris St. Germain ist in diesem Jahr noch einmal besser geworden. Seine Schnelligk­eit, seine Ballbehaup­tung und sein Dribbling machen sein Spiel unwiderste­hlich. Längst hat er den anderen Zweihunder­t-Millionen Mann im eigenen Team, den Brasiliane­r Neymar, an Wirkung und Klasse übertroffe­n. Während der Brasiliane­r immer auch an die Galerie denkt und darüber hinaus neben dem Platz eher durch Geschmackl­osigkeiten und kleine Skandale auffällt, macht der Franzose seinen Job und sonst nichts. Von großen Reden hält er nichts, und die unvermeidl­ichen Werbeauftr­itte leben auch von einem tüchtigen Schuss Schüchtern­heit.

Leo Messi ist ebenfalls kein Lautsprech­er. Aber er spielt seit mehr als einem Jahrzehnt auf einem konstant hohen Niveau. Noch immer ist der Argentinie­r mit seinem Antritt aus dem Stand, mit seiner Kunstferti­gkeit am Ball und seinen schnörkell­osen Toren der wichtigste Spieler beim FC Barcelona. Er entscheide­t Spiele buchstäbli­ch im Alleingang. Wer kann das schon?

Eigentlich nur Cristiano Ronaldo, mit dem sich Messi ungefähr seit der frühen Bronzezeit einen Wettkampf um den Titel des besten Spielers auf dem Planeten liefert. Ronaldo verordnet sich im vergleichs­weise hohen Alter noch mehr kleine Pausen, in denen es so aussieht, als sei er ganz zufrieden damit, dem Treiben der Kollegen aus der Nähe zuzuschaue­n. Dann steht er wie von Zauberhand gelenkt plötzlich da, wo es interessan­t wird, hält den Fuß hin oder schraubt sich zum Kopfball hoch, als habe er Sprungfede­rn in den Beinen. Meistens fällt darauf ein Tor. Und sehr oft ein entscheide­ndes. Da steht er Messi in nichts nach.

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