Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Meine kleine Weltauswahl
Eine Mannschaft mit fünf Stürmern? Fußball-Trainern würde schon beim Gedanken schwindlig. Hier aber geht das, denn es ist eine ganz persönliche Auswahl aktueller Stars.
Es wird Widerspruch geben. Das ist sogar gewollt. Denn meine kleine Weltauswahl ist eben meine kleine Weltauswahl. Die Nominierung erhebt absichtlich keinen Anspruch auf Objektivität – auf ein bisschen Sachkunde schon. Daten spielten eine Rolle, aber sie waren im Zweifelsfall nicht entscheidend. Ebenso wenig wie taktische Überlegungen. Denn eine Mannschaft mit fünf Stürmern und einem ziemlich stürmischen Torwart würde vermutlich jeden einigermaßen ernsthaften Trainer um die gesunde Nachtruhe bringen. Mich nicht.
Tor Manuel Neuer war eine Halbserie sicher nicht der beste Torwart der Welt. Aber in der Bundesliga-Rückrunde, in den Länderspielen des Jahres 2019 und vor allem im DFB-Pokalfinale zeigte der Schlussmann von Bayern München, was für ein außergewöhnlicher Spieler er ist. Er beherrscht seine Hälfte des Spielfelds wie vor ihm nur Gigi Buffon oder Peter Cech, im Strafraum und auf der Linie genügen seine Fähigkeiten höchsten Ansprüchen, und mit dem Ball am Fuß ist er unübertroffen.
Abwehr Der frühe Jürgen Klopp hat über seine Lieblingsspielweise mal gesagt: „Wir verteidigen, als wenn es kein Morgen gäbe.“Das tun seine Mannschaften immer noch. Deshalb stehen in meiner Auswahl gleich drei Defensivspieler des FC Liverpool. Weil Klopp Abwehrarbeit sehr offensiv interpretiert, sind seine Außenverteidiger nicht bekannt dafür, die Mittellinie als natürliche Grenze ihres Arbeitsplatzes zu akzeptieren. Im Gegenteil: Trent Alexander-Arnold und Andrew Robertson laufen jeden Angriff mindestens bis zur gegnerischen Strafraumgrenze mit, ihre Flanken leisteten wesentliche Beiträge zum Gewinn der Champions League.
In der Zentrale steht Virgil van Dijk, der nicht nur der teuerste Verteidiger aller Zeiten (Ablösesumme von rund 84 Millionen Euro), sondern auch der beste Innenverteidiger der Welt ist – ein Gebirge von Mann, ein Zweikämpfer mit überragenden Werten und einer, der Fußball spielen kann. Das Liverpool-Trio ergänzt trotz längerer Verletzungspause Samuel Umtiti vom FC Barcelona, ein Verteidiger, der ganz selten unsaubere Mittel bemühen muss und der ein wichtiger Baustein bei Frankreichs WM-Titel war.
Mittelfeld Dass Frenkie de Jong ein Stratege mit Weltklasse-Fähigkeiten ist, hat sich in dieser Champions-League-Saison endgültig herumgesprochen. Nicht nur beim FC Barcelona, der letzten Endes das Rennen um den eleganten Mittelfeldmann von Ajax Amsterdam machte. Ich stelle ihn ins zentrale Mittelfeld, auf die sogenannte Sechs, in den Maschinenraum des Spiels. Und ich weiß, dass es sich um eine ebenfalls sehr offensive Entscheidung handelt.
Noch stürmischer wird es vor ihm. Marco Reus (Borussia Dortmund) und Eden Hazard (FC Chelsea und ab Juli Real Madrid) sind von ihrer Natur Angreifer. Ihnen liegt aber auch das Spiel aus der Tiefe. Reus bestimmt es mit seinen Läufen, die Nebenspielern Räume eröffnen, von denen sie vorher nichts wissen konnten. Und Hazard zieht mit seinen Dribblings so viel verzweifelte Abwehrspieler an, dass neben ihm die Mitspieler in den Genuss von reichlich Entfaltungsmöglichkeiten gelangen.
Darüber hinaus können beide Tore schießen, ihre Schusstechnik und die Kälte vor dem Kasten sind beneidenswert. Hazard war der wichtigste Mann bei Chelseas Triumph in der Europa League. Ohne Reus hätte Dortmund dem FC Bayern nicht den ersten richtigen Wettlauf um die Meisterschaft seit sieben Jahren geliefert. Und wer beim Freistoß den Ball in den klitzekleinen Raum zwischen Torlatte und Torpfosten versenkt, wie Reus das jüngst im Länderspiel gegen Estland
machte, der muss sich endgültig nicht mehr hinten anstellen, wenn prägende Figuren für die Videospiele gesucht werden.
Sturm Das muss das eigentliche Sturmtrio schon lange nicht mehr. Kylian Mbappé von Paris St. Germain ist in diesem Jahr noch einmal besser geworden. Seine Schnelligkeit, seine Ballbehauptung und sein Dribbling machen sein Spiel unwiderstehlich. Längst hat er den anderen Zweihundert-Millionen Mann im eigenen Team, den Brasilianer Neymar, an Wirkung und Klasse übertroffen. Während der Brasilianer immer auch an die Galerie denkt und darüber hinaus neben dem Platz eher durch Geschmacklosigkeiten und kleine Skandale auffällt, macht der Franzose seinen Job und sonst nichts. Von großen Reden hält er nichts, und die unvermeidlichen Werbeauftritte leben auch von einem tüchtigen Schuss Schüchternheit.
Leo Messi ist ebenfalls kein Lautsprecher. Aber er spielt seit mehr als einem Jahrzehnt auf einem konstant hohen Niveau. Noch immer ist der Argentinier mit seinem Antritt aus dem Stand, mit seiner Kunstfertigkeit am Ball und seinen schnörkellosen Toren der wichtigste Spieler beim FC Barcelona. Er entscheidet Spiele buchstäblich im Alleingang. Wer kann das schon?
Eigentlich nur Cristiano Ronaldo, mit dem sich Messi ungefähr seit der frühen Bronzezeit einen Wettkampf um den Titel des besten Spielers auf dem Planeten liefert. Ronaldo verordnet sich im vergleichsweise hohen Alter noch mehr kleine Pausen, in denen es so aussieht, als sei er ganz zufrieden damit, dem Treiben der Kollegen aus der Nähe zuzuschauen. Dann steht er wie von Zauberhand gelenkt plötzlich da, wo es interessant wird, hält den Fuß hin oder schraubt sich zum Kopfball hoch, als habe er Sprungfedern in den Beinen. Meistens fällt darauf ein Tor. Und sehr oft ein entscheidendes. Da steht er Messi in nichts nach.