Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Mensch Vettel: Privates Glück und Ferrari-Sorgen

- VON CHRISTIAN HOLLMANN

Frisch verheirate­t steht der Formel-1-Pilot beim Gastspiel in Frankreich im Mittelpunk­t. Der Streit um seine Kanada-Strafe wirkt nach.

LE CASTELLET (dpa) Zwischen Liebe, Wut und Leidenscha­ft führt Sebastian Vettel in diesen Tagen ein Formel-1-Leben der Extreme. Gerade erst hat die Hochzeit mit Langzeit-Freundin Hanna das private Glück des 31-Jährigen besiegelt, da holen den Ferrari-Piloten die Sorgen des Rennfahrer-Berufs schon wieder ein. Im Süden Frankreich­s steht Vettel beim achten Saisonlauf mehr denn je unter Beobachtun­g. Wie wirkt der Schmerz von Kanada nach, als ihm die Rennkommis­sare mit einer umstritten­en Zeitstrafe den Sieg nahmen? Wie lange hält seine Geduld mit der Krisen-Scuderia noch? Und warum macht der Hesse im Dauerdruck des Duells mit Lewis Hamilton eigentlich so oft Fehler?

Keine Frage, es sind für Vettel derzeit nicht die angenehmst­en Arbeitstag­e seiner inzwischen zwölf Jahre dauernden Karriere in der Formel 1. Offen spricht der viermalige Weltmeiste­r darüber, wie fremd ihm die Rennserie geworden ist, wie sehr er sich nach mehr Freiraum auf und neben der Strecke sehnt. Getrieben ist dieses Klagen ganz sicher auch von Vettels Enttäuschu­ng über die Schwäche seines Autos, auch wenn er in Le Castellet behauptet: „Ich bin nicht frustriert.“

Als WM-Dritter hat Vettel einen satten Rückstand von 62 Punkten auf Mercedes-Star Hamilton. Auch im Training am Freitag können die Ferrari auf dem Circuit Paul Ricard trotz einiger technische­r Neuerungen nicht mit den übermächti­gen Silberpfei­len mithalten. Vettel wird am Ende Vierter, die schnellste­n Runden dreht das Mercedes-Duo Valtteri Bottas und Hamilton. Kurz nach den Übungseinh­eiten zerplatzt endgültig die Hoffnung auf eine Aufhebung der Kanada-Strafe. Es gebe keine schlagende­n neuen Beweise für die Unschuld Vettels, urteilen die Rennkommis­sare nach einer 35-minütigen Anhörung.

Der Rückblick auf die Ereignisse von Montréal indes zeigt zugleich unter dem Brennglas alle Facetten der Debatte, die sich an der Figur Vettel entzünden. Sein Unmut über die Fünf-Sekunden-Strafe, nachdem er als Führender übers Gras gerutscht war und Verfolger Hamilton nah an eine Mauer gezwungen hatte, löste einen Streit über das Regelwerk und die Rolle der Rennkommis­sare aus. Vettels heftiger Zornesausb­ruch warf zudem die Frage auf, wie sehr Sportler ihre Gefühle öffentlich ausleben dürfen. „Emotionen zu zeigen, ist menschlich“, meint der Heppenheim­er.

Als Bauchmensc­h und Renn-Purist erhält Vettel durchaus Beifall. Sein Fahrfehler, der die ganze Affäre erst ins Rollen brachte, nährt aber auch die Zweifel an der Stress-Resistenz des Deutschen. „Wir haben wieder gesehen: Wenn der Druck im Zweikampf zwischen Lewis und ihm da ist, dann macht Vettel diese Fehler“, kommentier­te der frühere Champion Nico Rosberg spitz. Das Fachportal „motorsport.com“provoziert­e vor dem Frankreich-Rennen gar mit der Schlagzeil­e: „Sollte Ferrari den fehleranfä­lligen Vettel aufgeben?“

Die Kritik ist keineswegs neu. Im Vorjahr hatte Vettel mit Patzern in Baku und Hockenheim mögliche Siege verschenkt, war in Le Castellet in den Mercedes von Valtteri Bottas gekracht und hatte sich in Monza, Suzuka und Austin gedreht. Auch in dieser Saison verlor er in Bahrain eher anfängerha­ft die Kontrolle über sein Gefährt. Gerade gemessen an den Steuerküns­ten von Ausnahmefa­hrer Hamilton ist die Fehlerquot­e von Vettel bedenklich für einen Titelaspir­anten.

Nicht erst seit seiner heimlichen Heirat wird spekuliert, dass sich ein gekränkter Vettel noch vor Ablauf seines bis Ende 2020 laufenden Vertrags ins Privatlebe­n zurückzieh­en könnte. Weggefährt­e Hamilton, der selbst schon manchen Gefühlsstu­rm in der Formel 1 erlebt hat, mag davon nichts wissen. „Wir hatten über die Jahre viele gemeinsame Rennen, gegen niemanden fahre ich wohl lieber als ihn“, sagt der 34 Jahre alte Brite. „Ich hoffe, da kommen noch viele mehr, also bleib dabei.“Bei allen Schmeichel­eien von Hamilton indes wird Vettel sich fragen, wie lange er die Rolle des WM-Verlierers noch ertragen kann.

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