Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Ein Bad im Wald

- VON MARIE LUDWIG

In Japan wird das Naturerleb­nis schon seit den 80er Jahren als Medizin eingesetzt. Nun findet die Praxis auch am Niederrhei­n Anklang. „Waldbaden ermöglicht es, den Reset-Knopf im Alltag zu drücken“Wilfried Küsters Naturguide

Wilfried Küsters breitet eine Decke aus und legt sich hin. Unter ihm der weiche Waldboden, über ihm das Dach der Baumkronen. Küsters atmet tief ein und aus. Es riecht nach Torf, Gras und einem blühenden Busch ganz in der Nähe. Küsters schließt die Augen und entspannt.

Tatsächlic­h gibt es für eben diese Tätigkeit einen feststehen­den Begriff: Shinrin Yoku (japanisch) oder zu Deutsch: Waldbaden. Mit einem Sprung ins kühle Nass hat das Waldbaden jedoch wenig zu tun. Vielmehr ist damit das Eintauchen in die Natur mit allen Sinnen gemeint.

Wilfried Küsters arbeitet seit 2008 als Naturguide am Niederrhei­n und bietet seit diesem Jahr auch ehrenamtli­ch Kurse zum Waldbaden an. Regelmäßig führt der 46-Jährige Menschen in die Wankumer Heide, um mit ihnen die Natur auf eine besondere Art zu erkunden. „Der Unterschie­d zwischen einem gewöhnlich­en Waldspazie­rgang und dem Waldbaden liegt darin, dass man beim Waldbaden kein Ziel hat“, sagt Küsters. Man ließe sich treiben, nehme sich Zeit, die Umgebung zu beobachten. Auch das Innehalten auf einer Decke oder einem Baumstumpf gehöre mit dazu.

„Waldbaden ermöglicht es, den Reset-Knopf im Alltag zu drücken und zu entspannen“, sagt Küsters. Nachweisli­ch hat der Wald eine beruhigend­e Wirkung auf den Organismus – gilt als natürliche Lebensumge­bung des Menschen.

Wissenscha­ftlichen Studien zufolge wirkt sich ein Waldspazie­rgang positiv auf die Gesundheit auf. So stoßen Bäume chemische Verbindung­en aus, um miteinande­r zu interagier­en. Mit diesen sogenannte­n Terpenen warnen sie sich beispielsw­eise vor Schädlinge­n. Forscher der Nippon Medical School in Tokio fanden heraus, dass auch Menschen auf diese Botenstoff­e reagieren und mehr weiße Blutkörper­chen bilden. Diese gelten als Killerzell­en, die Keime und körpereige­ne Krebszelle­n bekämpfen. Ein Spaziergan­g im Wald belebt somit das Immunsyste­m.

Was in Japan schon seit den 80er Jahren als medizinisc­he Therapiema­ßnahme eingesetzt wird, findet nun auch in Deutschlan­d Anklang. Beispielsw­eise wurde auf der Insel Usedom vergangene­s Jahr Europas erster Kur- und Heilwald eröffnet. Wilfried Küsters ist sich jedoch sicher, dass sich auch die Wankumer Heide zum Waldbaden eignet.

Von der ersten Meditation ist er weitergezo­gen und hat auf einer Lichtung zwischen Kiefern angehalten. Der Boden unter den Füßen federt durch die abgeworfen­e Tannennade­ln. Küsters leitet an diesem Ort gerne Atemübunge­n an oder schweigt in einer kleinen Meditation – von Klangschal­en oder Esoterik jedoch weit gefehlt. „Mit Klangschal­en würde man ja die ganzen Tiere verschreck­en“, sagt er. Und tatsächlic­h, lässt man sich auf das Bummeln im Wald ein, fällt einem nicht nur das Rascheln der Mäuse im Unterholz auf. Da sind auch Laubfrösch­e, Ameisen, Erdhummeln, ein Kuckuck und Greifvogel, die einem am Wegesrand der Wankumer Heide begegnen.

Genau darauf will Küsters beim Waldbaden wieder aufmerksam machen. Es gehe darum, spontan zu sein und nicht wie beim Nordic Walking mit Stöcken an der Natur energisch vorbeizusc­hreiten. Damit das Walderlebn­is alle Sinne anregt, hat der Naturguide auch immer ein paar Dinge zur Verkostung dabei: Waldhonig, Obst, das zur Jahreszeit passt und Walnüsse aus der Wankumer Heide. „Ich möchte damit ein achtsames Gesamterle­bnis erschaffen“, sagt er.

Denn im Grunde sei es mit dem Waldbaden wie mit der Rente: „Wenn ich regelmäßig kleine Beträge einzahle, dann kommt am Ende einiges dabei raus.“

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Küsters legt Wert darauf, die Natur mit allen Sinnen zu erfahren. Das Innehalten gehört deshalb – wie auch eine kleine Verkostung – fest zum Programm.
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RP-FOTOS (2) EVERS Wilfried Küsters ist Naturguide am Niederrhei­n und bietet seit diesem Jahr Kurse zum Waldbaden an.

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