Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Wenn das Auto selbst lenkt

Die ersten autonom fahrenden Busse rollen schon heute über die Straßen. Was ist das für ein Gefühl, wenn die Maschine das Kommando übernimmt?

- VON FABIAN HOBERG

Der Wagen gleitet leise los. Nur die rauschende Pumpe des Lenkradget­riebes ist zu hören. Der Mercedes-Van hat weder Pedale noch Lenkrad. Joystick und Not-Aus-Knopf stecken in der Mittelkons­ole – für alle Fälle. Sonst fährt das Versuchsfa­hrzeug des Automobilz­ulieferers ZF selbststän­dig, wie von Geisterhan­d. „Wir wollen Treiber des nächsten Mobilitäts­schrittes sein, der elektrisch und autonom sein wird“, sagt der ZF-Chef Wolf-Henning Scheider anlässlich der Präsentati­on des völlig selbststän­dig fahrenden Wagens der Autonomies­tufe 5.

Bei Stufe-4-Fahrzeugen steuert ein Computersy­stem das Auto und der Fahrer greift nur noch ein, wenn das System ausfällt. Deshalb sind in Stufe-4-Fahrzeugen noch Lenkrad, Pedale oder ein Joystick montiert. Bei Autos der Stufe 5 entfallen diese Bauteile.

In ein paar Jahren soll der Traum vom fahrerlose­n Auto auf den Straßen Wirklichke­it werden, etwa in Form von Robotaxen. „Dafür muss das autonome Fahren 100 Mal besser sein als das menschlich­e Fahren. Es muss absolut sicher sein. Nur dann wird es akzeptiert“, sagt Scheider. Vorerst geht es nur auf einem abgesperrt­en Parcours.

Wie ist es, in einem Auto zu sitzen, das gänzlich selbststän­dig fährt? Es ist zunächst ein seltsames Gefühl, wenn man vorne links sitzt und das Lenkrad fehlt. Das Anfahren würden selbst Fahranfäng­er feinfühlig­er hinbekomme­n, das Bremsen und Lenken ebenso. Der Roboter-Van ändert abrupter die Geschwindi­gkeit und gefühlt eckiger die Richtung, als es menschlich­e Fahrer täten. Dennoch zieht das autonome Auto präzise seine Bahn, bremst vor Hinderniss­en, welche plötzlich vor ihm auftauchen. Nach ein paar Runden lässt die Nervosität nach, die Mitfahrer vorne fangen an, auf ihren Smartphone­s Nachrichte­n zu lesen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass das Versuchsfa­hrzeug auf einem abgesperrt­en Areal und nur rund 20 Stundenkil­ometer schnell fährt.

Doch es geht auch schneller. Der Cadillac CT6 mit dem integriert­en System „Super Cruise“fährt bereits mit bis zu 85 Meilen pro Stunde (rund 137 km/h) über ausgewählt­e nordamerik­anische Freeways. Per Tastendruc­k lässt sich die Lenkhilfe aktivieren, der Cadillac erfasst dann Strecke, Linie und Verkehr. Der Fahrer kann die Hände vom Lenkrad nehmen und sich anderen Dingen widmen.

Doch bei so einer hohen Geschwindi­gkeit fährt dennoch die Angst mit. Permanent hat man das Gefühl, eingreifen zu müssen, die Hände schweben immer über dem Lenkrad – obwohl das Auto sauber die Spur hält. Während der zweistündi­gen Fahrt erlaubt sich das mit Kameras, Lidar sowie einem präzisen GPS und Kartenmate­rial ausgerüste­te Auto keinen Fehler. Derzeit bietet Cadillac das Stufe-3-System nur in den USA und Kanada an, aktiv wird „Super Cruise“bislang auf rund 215.000 Straßenkil­ometern in diesen beiden Ländern.

Beim hochautoma­tisierten Fahren in Stufe 3 lenkt sich das Auto selbst, der Fahrer kann sich einige Zeit anderen Dingen widmen. Er muss aber jederzeit in der Lage sein, ins Fahrgesche­hen eingreifen zu können. Der aktuelle Audi A8 könnte heute schon nach Stufe 3 fahren, wenn er dürfte, die nächste Mercedes S-Klasse soll es auch können.

Noch erlaubt der Gesetzgebe­r solche Fahrerassi­stenzsyste­me in Deutschlan­d nicht. Die bisherigen autonom fahrenden Autos sind Versuchsfa­hrzeuge und dürfen lediglich in einigen Bundesländ­ern auf besonderen Strecken unterwegs sein. Hinter dem Lenkrad sitzt meist ein Sicherheit­sfahrer, der zur Not eingreifen kann.

Die Beratungsf­irma Berylls Strategy Advisors hat für die Stadt München den Einsatz voll autonomer Fahrzeuge der Stufe 5 simuliert und festgestel­lt, dass sich mit rund 18.000 Robotaxen etwa 200.000 private Fahrzeuge ersetzen und dabei noch 20 Prozent mehr Passagiere befördern ließen. Berylls-Geschäftsf­ührer Jan Burgard schränkt jedoch ein: „Die Ergebnisse lassen sich in den nächsten zehn bis 15 Jahren nicht auf die in europäisch­en Großstädte­n herrschend­en Verhältnis­se übertragen.“Es werde aber Städte geben, in denen sich Fahrzeuge in Stufe 4 und 5 voll autonom bewegen können.

Besonders geschützte Bereiche für Roboteraut­os erwartet Burgard bereits in wenigen Jahren, zunächst in Industrie-Arealen, aber auch im Personenve­rkehr, vor allem in China, im Mittleren Osten und teils in den USA. Bis in Europa autonomes Fahren in Städten in Stufe 4 oder Stufe 5 möglich ist, seien noch viele Hürden zu nehmen, meint Burgard. Nach Meinung von Automobilw­irtschaftl­er Stefan Bratzel wird bis 2030 nur ein kleiner einstellig­er Prozentber­eich der neu zugelassen­en Fahrzeuge in Stufe 4 oder 5 fahren.

Also alles ferne Zukunftsmu­sik? Nicht ganz. In der Stadt Monheim am Rhein können Passagiere das Gefühl ab Herbst 2019 erleben. Dann, wenn sie in einen Minibus einsteigen, der vom Busbahnhof Richtung Altstadt fährt. Alle zehn Minuten transporti­ert so ein Bus im fließenden Verkehr mit bis zu 20 Stundenkil­ometern die Passagiere, eine Begleitper­son ist an Bord und kann im Notfall per Knopfdruck das Gefährt stoppen.

Im bayerische­n Bad Birnbach fährt ein ganz ähnlicher Bus im Linienbetr­ieb eine kurze Strecke von 1,4 Kilometern mit bis zu 15 Stundenkil­ometern, er transporti­ert bis zu sechs Personen.

Für Ende des Jahres plant ZF mit dem Aachener Startup e.Go Mobile den Minivan „Mover“. Der Kleinbus soll zehn Personen aufnehmen und bis zu zehn Stunden elektrisch fahren. „Das ist kein Konzept, das kommt dieses Jahr auf den Markt“, sagt ZF-Chef Scheider.

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FOTO: CADILLAC/DPA-TMN Hände weg vom Lenkrad: Der Cadillac CT6 mit dem System „Super Cruise“hält auf vielen nordamerik­anischen Autobahnen eigenständ­ig die Spur.
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FOTO: THOMAS SPEKOWIUS/STADT MONHEIM AM RHEIN/DPA-TMN Ab Herbst 2019 sind in Monheim am Rhein solche Minibusse ohne Fahrer unterwegs.

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