Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Randsport im Rampenlicht – die deutschen Säbelfechter bei der EM in Düsseldorf.
Drei Dormagener Säbelfechter holen als Nationalteam den Titel bei der EM in Düsseldorf und bescheren ihrem Sport einen seltenen Moment im Rampenlicht. Das deutsche Fechten wähnt sich auf dem richtigen Weg aus der Krise.
DÜSSELDORF Peter Joppich weiß, wie es sich anfühlt, wenn es um alles geht. Schließlich war der Florettfechter schon viermal Weltmeister. Seinen Mitstreitern aus dem Säbel-Nationalteam am Samstag in der Düsseldorfer Messehalle bei deren Gefechten auf dem Weg zum EM-Titel von der Tribüne aus zuzuschauen, machte aber auch ihn fertig. „Wenn es knapp ist, stehe ich lieber selbst da unten und fechte. Das hier heute war einfach mega spannend, und meine Nerven liegen jetzt auch blitzeblank“, sagte der 36-Jährige. Doch am Ende entlud sich eben bei Joppich wie bei den Zuschauern und natürlich den neuen Europameistern auf der Planche die Anspannung in pure Freude. Benedikt Wagner, Matyas Szabo und Max Hartung – die drei Dormagener sprangen umher wie junge Hunde. Völlig losgelöst über den Erfolg. Könige für einen Tag.
Das Trio – erweitert um Ersatzmann Björn Hübner-Fehrer (Werbach) – bescherte dem Deutschen Fechter-Bund (DFB) einen stimmungsvollen Abschluss der mit vier Medaillen versehenen HeimEM und das Gefühl, nach dürren Jahren mit enttäuschenden Olympischen Spielen 2016 und einer WM 2018 ohne Medaille wieder auf dem Weg der Besserung zu sein. DFB-Sportdirektor Sven Ressel sagte: „Sportlich haben wir einen kleinen Schritt nach vorn gemacht.“Bei der nahenden WM in Budapest vom 15. bis 23. Juli wollen seine Schützlinge nun den nächsten folgen lassen. Alles, um bei den Spielen von Tokio 2020 wieder ein besseres Bild abgeben zu können.
Den Säbelherren kommt bei der Mission „Glorreiche Zukunft“eine tragende Rolle zu. Das stellte das Team vom Dormagener Bundesstützpunkt um Trainer Vilmos Szabo in Düsseldorf einmal mehr unter Beweis. Hartung hatte am Mittwoch Einzel-Bronze geholt, nun also Gold im Kollektiv. Die Säbelfechter sind wohl das, was der Verband sich als Visitenkarte drucken lassen würde, wenn er für seine Sportart mit einem einzigen Aushängeschild werben müsste. Ehrliche Typen, ansehnlicher Sport, guter Teamgeist und erfolgreiche Stützpunktarbeit – das sind Zutaten, die Fördergelder auch in Zukunft sichern.
Bis es jedoch soweit war, bis Hartung, Szabo und Wagner sich in den Armen lagen, hatten sie es dreimal arg spannend gestaltet. Im Viertelfinale, beim 45:40 gegen die Franzosen, im Halbfinale, beim 45:42 gegen die Italiener. Und vor allem dann im Finale, beim 45:43 gegen die Ungarn. „Klar hab‘ ich gezittert“, gab Schlussmann Wagner hinterher zu – gefragt nach seiner Gefühlslage beim entscheidenden Punkt. 1:5, 2:10, 6:15, 14:20 und 20:25 hatte Deutschland schon zurückgelegen, bevor sie das Finale als Kollektiv noch zu ihren Gunsten umbiegen konnten. „Die Mentalität hat heute den Unterschied gemacht“, sagte Wagner im ZDF. „Man muss auch mal gewinnen, wenn man zurückliegt.“
Das war sowieso die große Stärke der drei, die sich als Vereinskollegen aus dem Eff-Eff kennen. Immer, wenn einer mal schwächelte, wuchs ein anderer über sich hinaus. Mal der impulsive, forsche Wagner (29), bei dem der Bundestrainer sichtbar Angst hatte, die Anfeuerung der Zuschauer lasse ihn übermütig werden. Mal der emotionale Herz-Kämpfer Szabo (27), der die Fechtbahn zur Bühne erklärt und das Gefecht mit jeder Faser lebt. Und mal eben auch der kontrollierte Stratege Hartung (29), der dem Gegner oft im Kopf den entscheidenden Tick voraus ist. „Ich hab‘ eigentlich gar nichts gedacht, weil ich das Gefühl hatte, das wird noch was“, sagte Matyas Szabo, der Sohn von Bundes- und Vereinstrainer Vilmos Szabo.
Und es wurde ja dann auch noch was. Für die drei. Für die Zuschauer. Vor allem aber für das Fechten in Deutschland. Das ist sich als Randsportart bewusst, dass die Momente des Rampenlichts eigentlich nur auf Olympia beschränkt sind. Oder eben auf ein Heimturnier wie das jetzt in Düsseldorf. Das Interesse, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, ja der Besuch der Säbelfechter im „Aktuellen Sportstudio“am Abend, all das sind Big Points für einen Sport, der sich wie andere Sportarten in Deutschland im Rahmen der Leistungssportreform derzeit einer Potenzialanalyse für die kommenden Jahre stellen muss.
Verbandspräsidentin Claudia Bokel hatte im Vorjahr defensiv-realistisch formuliert, 2028 wieder auf allen Ebenen Weltspitze sein zu wollen. Die Dormagener Säbelfechter lieferten ihr für den Weg dorthin am Samstag belastbare Argumente.