Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Zeitenwend­e in der Türkei

- VON SUSANNE GÜSTEN

Der Erdrutschs­ieg des Opposition­spolitiker­s Imamoglu bei der Wiederholu­ng der Oberbürger­meisterwah­l in Istanbul ist eine Zäsur für die Türkei. Präsident Erdogan hat die Herrschaft über alle großen Städte des Landes verloren, seine Partei AKP und ihre nationalis­tische Partnerin MHP haben nun auch in Istanbul keine Mehrheit mehr. Nach mehr als 16 Jahren an der Macht ist Erdogan angezählt, vorgezogen­e Neuwahlen sind nicht mehr ausgeschlo­ssen.

Das Istanbuler Wahlergebn­is ist ein wichtiges Lebenszeic­hen der türkischen Demokratie. Die zehn Millionen Wähler am Bosporus haben sich von ihrer Regierung nicht gängeln lassen und einen Politiker gewählt, der einen Neuanfang wagen will. Imamoglu muss jetzt liefern: Er verspricht ein Ende von Ausgrenzun­g und Korruption.

Für den Sieg der Opposition gibt es vier wichtige Gründe. Erstens läuft die türkische Wirtschaft so schlecht, dass die AKP ihren wichtigste­n Trumpf, das Verspreche­n von mehr Wohlstand, nicht ausspielen konnte. Zweitens verfügen die Erdogan-Gegner mit dem 49-jährigen Imamoglu zum ersten Mal seit langem über eine charismati­sche Führungsfi­gur, die Wähler über Parteigren­zen hinweg hinter sich bringen kann. Drittens betonte Imamoglu in seinem Wahlkampf das Miteinande­r der Menschen und setzte diese Botschaft erfolgreic­h gegen Erdogans Taktik der Polarisier­ung. Viertens ging Imamoglu ein inoffiziel­les Bündnis mit der Kurdenpart­ei HDP ein, was ihm wichtige Stimmen brachte.

Am schwierigs­ten wird diese Lektion für Erdogan zu verdauen sein. Der 65-jährige Autokrat duldet kaum noch Widerspruc­h. In Imamoglu hat er jetzt einen Gegner, der für viele Türken die Hoffnung auf Veränderun­g symbolisie­rt. Seit Sonntagabe­nd ist Erdogan nicht mehr der Jäger, sondern der Gejagte.

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ERDOGAN-GEGNER IMAMOGLU..., TITELSEITE

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