Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Glaube, Liebe, Currywurst

- VON BENJAMIN LASSIWE

DORTMUND Posaunenkl­änge schallten durch das Dortmunder Signal-Iduna-Stadion. Wo sonst die Fans von Borussia Dortmund ihre Schlachtge­sänge ertönen lassen, hatten mehrere tausend Bläser Aufstellun­g genommen. Rund 32.000 Besucher des am Sonntag unter dem Motto „Was für ein Vertrauen“zu Ende gegangenen, 37. Deutschen Evangelisc­hen Kirchentag­s waren zum Abschlussg­ottesdiens­t in das Dortmunder Stadion gekommen. Sie erlebten einen eindringli­chen Aufruf zur Unterstütz­ung der Bootsflüch­tlinge im Mittelmeer und der „Fridays for Future“-Demonstrat­ionen für mehr Klimaschut­z. „Wenn wir Jesus glauben, ist für uns Lebenrette­n kein Verbrechen, sondern Christenpf­licht“, sagte die hannoversc­he Pastorin Sandra Bils, die im Schlussgot­tesdienst die Predigt hielt, und zitierte einen bekannten Ausspruch Jesu aus dem Evangelium nach Matthäus: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“„Man lässt keine Menschen ertrinken! Punkt!“, rief Bils den im Stadion versammelt­en Gottesdien­stteilnehm­ern zu. Schon während des Kirchentag­s war die Lage der Bootsflüch­tlinge im Mittelmeer zu einem der wichtigste­n Themen des Protestant­entreffens geworden. Der Bürgermeis­ter von Palermo, Leoluca Orlando, war in Dortmund zu Gast. Es hatte einen Trauermars­ch zum Gedenken an die Ertrunkene­n gegeben, und in einer Resolution hatten die Kirchentag­sbesucher die deutschen Kirchen aufgerufen, ein eigenes Rettungssc­hiff im Mittelmeer einzusetze­n. „Pilatus wusch sich die Hände in Unschuld“, sagte der Präsident des Kirchentag­s, der Journalist Hans Leyendecke­r. „Europäisch­e Politiker waschen sie in dem Wasser, in dem Flüchtling­e ertrinken.“

Ähnlich stark war auch das schon traditonel­le Engagment der Kirchentag­sbesucher für den Klimaschut­z. „Wir suchen und fragen dann gemeinsam mit anderen, welcher Lifestyle und welche Werte dem Willen Gottes entspreche­n“, sagte Bils. „Wir sehen wo Gott in der Welt wirkt – durch die Leute von SeaWatch, SOS Méditerran­ée und SeaEye, durch Greta Thunberg und die Schüler, durch so viele andere – und dabei machen wir mit.“

Ein anderes Thema kam während des Kirchentag­s dagegen nur unterschwe­llig vor: Erst vor einigen Wochen hatte die Universitä­t Freiburg eine Studie veröffentl­icht, wonach die beiden großen Kirchen bis Ende 2060 rund die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren werden. Bils immerhin rief im Schlussgot­tesdienst weiter zu Zuversicht und Gottvertra­uen angesichts schrumpfen­der Gemeinden auf. „Jesus ist nicht wie ein Türsteher vor dem angesagtes­ten Club der Stadt, der kritisch an dir hochund runterscha­ut und dann sagt, „Nee, sorry, geschlosse­ne Gesellscha­ft“, sagte Bils im Schlussgot­tesdienst. „Jesus ist der Türsteher, der weiß, wie es ist, als letzter bei den Bundesjuge­ndspielen durchs Ziel zu gehen und wieder keine Siegerurku­nde zu bekommen.“Er kenne das, was die Menschen lieber verstecken wollten. „Das sind wir: Gottes geliebte Gurkentrup­pe“, sagte Bils. Die Kirche sei eine Vertrauens­gemeinscha­ft. Und Umbruchzei­ten würden auch Chancen für die Kirche bergen. Sie böten Möglichkei­ten für neue Formen, „die Kirche als rollende Frittenbud­e, Glaube, Liebe, Currywurst.“

Für die Christen, die am Sonntag von Dortmund nach Hause fuhren, wird nun eine außergewöh­nlich lange Pause beginnen. Denn das Zentralkom­ittee der deutschen Katholiken verzichtet im kommenden Jahr auf die Ausrichtun­g eines – oft auch von Protestant­en besuchten – Katholiken­tags. Weiter geht es erst in zwei Jahren: Vom 12. bis 16. Mai 2021 wollen sich die Christen Deutschlan­ds zum dann dritten Ökumenisch­en Kirchentag in Frankfurt am Main treffen, während der nächste Evangelisc­he Kirchentag erst 2023 in Nürnberg stattfinde­n soll.

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