Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Der stille Anführer

- VON PHILLIP OLDENBURG

Toni Kroos gehört zu Deutschlan­ds erfolgreic­hsten Fußballern. Ein Film gewährt den Fans intime Einblicke.

DÜSSELDORF Deutschlan­d hat es geschafft. Bei der WM 2014 in Brasilien krönt sich das DFB-Team in Rio de Janeiro zum vierten Mal zum Weltmeiste­r. Dicht an dicht gedrängt posieren die Nationalsp­ieler nach der Pokalüberg­abe in der Kabine für ein Foto mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Bundespräs­ident Joachim Gauck. Ein Schnappsch­uss, der um die Welt geht. Doch einer fehlt in der Jubeltraub­e: Toni Kroos. Der Taktgeber der deutschen Mannschaft sitzt nach seinem wohl größtem Erfolg allein und unbeteilig­t auf der Bank und öffnet seine Schuhe.

Falls es ein Bild gibt, das den Menschen Toni Kroos treffend charakteri­siert, ist es eben jenes Kabinen-Foto nach dem WM-Triumph. Er wolle lediglich „auf dem Weg zum Ziel eine Rolle spielen“, sagt der 29-Jährige im Dokumentar­film „Kroos“, der ab dem 4. Juli in den deutschen Kinos zu sehen ist. Die große Bühne überlasse er gerne anderen. Dabei hat der 92-malige Nationalsp­ieler die Größe, sich ins Rampenlich­t zu stellen. Auf dem Platz gehört er seit Jahren zu den Besten, ist Kopf und Herz beim größten Klub der Welt (Real Madrid) und hat eine beeindruck­ende Trophäensa­mmlung vorzuweise­n. Er ist Weltmeiste­r, mehrfacher deutscher Meister und Pokalsiege­r, spanischer Meister, vierfacher Champions-League-Sieger. Aber er zeigt das nicht, mag keinen Protz. Er definiert sich lieber über Leistung auf dem Platz.

Nun also ein Film. „Kroos“gewährt den Fans intime und außergewöh­nliche Einblicke in das Leben und die Karriere von einem „der größten Dirigenten, die der deutsche Fußball je hatte“, wie der ehemalige Fußballpro­fi Matthias Sammer ihn bezeichnet. Ein Schritt, den man von ihm eigentlich nicht erwartet hat. Ausgerechn­et er, der nicht gerne über sich redet. Kategorisc­h sein Privatlebe­n abschirmt. Seine Frau Jessica spricht von einer „emotionale­n Mauer“, die Kroos um sich errichtet habe. Und trotzdem ließen er und sein Umfeld sich darauf ein, über mehr als ein Jahr hinweg von Regisseur Manfred Oldenburg und der Kamera begleitet zu werden. Das Filmteam sprach mit ihm, seiner Frau, seinem Bruder Felix, seinen Eltern und Weggefährt­en. Auch Pop-Star Robbie Williams taucht als glühender Kroos-Fan auf.

Die Doku verfolgt den Weg, den Kroos von seinem Geburtsort Greifswald bis nach Madrid zurückgele­gt hat – mit Stationen in München und Leverkusen. Zu seiner Karriere gehören aber auch Rückschläg­e und Enttäuschu­ngen, wie zum Beispiel das verlorene „Finale Dahoam“2012 mit Bayern gegen den FC Chelsea, für welches er noch immer als Sündenbock herhalten muss. Oder das Debakel bei der WM in Russland 2018. Es gibt auch interessan­te Blicke hinter die Kulissen, die Kroos bei seiner Vertragsve­rlängerung bei Real zeigen oder auf der Fifa-Gala zum Weltfußbal­ler des Jahres.

Als Kroos zwölf Jahre alt ist, bekommt er ein Angebot von Hansa Rostock. Für den Traum von der Profi-Karriere zieht die ganze Familie aus Greifswald um. Sein Vater Roland ist als Jugendtrai­ner der Entdecker des Talents gewesen. Dabei sei „auf der Papa-Sohn-Ebene etwas auf der Strecke geblieben“, sagt Toni Kroos. Nach vier Jahren in Rostock folgt der Wechsel in die Akademie des FC Bayern. Ein Abschied der schmerzt. Tonis Mutter Birgit erklärt, „viel geweint“zu haben, nachdem ihr Sohn das gemeinsame Zuhause verließ.

In München ist man von seinem Talent überzeugt. Nur spielen tut er nicht. Kroos wird an Bayer 04 ausgeliehe­n. Es ist ein Glücksfall. Unter Trainer Jupp Heynckes blüht er auf, wird zum Stammspiel­er und Leistungst­räger. Für die Bayern steht fest, Kroos muss zurück nach München.

Doch nach seiner Rückkehr stagniert seine Entwicklun­g. Erst als Bayern Heynckes als Trainer verpflicht­et, geht es aufwärts. Kroos bringt nun zwar seine Leistung, spielt aber unauffälli­g und unspektaku­lär. Für viele Bayern-Fans ist er der „Querpass-Toni“. Und auch für den Mittelfeld­spieler ist der FC Bayern nur ein Arbeitgebe­r und keine Herzensang­elegenheit.

Kurz nach dem Triumph von Rio wechselt er zu Real Madrid, um „etwas Neues auszuprobi­eren“. Der Rekordmeis­ter kann und will ihm zudem nicht das bieten, was er für sich veranschla­gt. „Ein Verein muss manchmal harte Entscheidu­ngen treffen – und das war eine harte, vielleicht die falsche“, sagt Bayern-Präsident Uli Hoeneß heute.

In Madrid trifft er auf eine ganze Reihe Weltstars, in deren Reihen er sich beweisen muss. Doch mit seiner Art, Fußball zu spielen, sticht er heraus. Seine Pässe und seine Gelassenhe­it, das Spiel der Königliche­n zu dirigieren, überzeugen das kritische Madrider Publikum. Teamkolleg­e Casemiro erklärt, dass sich das Spiel von Real nach dem Rhythmus von Kroos richte.

Der Film zeigt aber auch, wie der Mensch Kroos tickt. Er dürfte einer der wenigen Fußball-Stars sein, die ihre Schuhe noch selber putzen. So zu sehen in der Anfangs- und Endszene. Kroos gibt zu, dass er sich „nicht wohl“fühle, wenn er keine weißen Fußballsch­uhe anhabe.

Seit mehr als vier Jahren lebt er mit seiner Frau und den drei Kindern nun schon in Madrid. Die Innenstadt kennen sie eigentlich nur vom Hörensagen. Sie leben zurückgezo­gen. Er liebe es, zu Hause zu sein, sagt Kroos, für den die Familie an erster Stelle steht. So lässt er sich nach einem Spiel auch mal zum Privatflie­ger chauffiere­n, um so schnell wie möglich wieder zu Hause zu sein. „Zu anstrengen­d gibt es nicht, um so schnell wie möglich nach Hause zu kommen“, erzählt Kroos. Aufnahmen zeigen, wie er mit seinen Kindern im heimischen Pool rumalbert.

Zu Kroos‘ Leben gehört eben nicht nur der Fußball. Nach einem Besuch in einem Madrider Kinderhosp­iz gründet er 2015 die Toni-Kroos-Stiftung, deren Ziel es ist, gesundheit­lich beeinträch­tigten Kindern und Jugendlich­en sowie deren Familien Unterstütz­ung anzubieten. Die karitative Arbeit ist für ihn eine Herzensang­elegenheit. Er weiß, wie privilegie­rt er lebt – und möchte etwas zurückgebe­n. Treu bleibt er sich auch hier. Sein Einsatz für die Kinder geschieht im Stillen und ohne großes Aufsehen. Denn: Kroos will nur auf dem Weg zum Ziel eine Rolle spielen.

 ?? FOTO: BROADVIEW PICTURE ?? Eine Szene aus dem Dokumentar­film „Kroos“: Toni Kroos auf dem Rückflug nach dem gewonnen Champions-League-Finale 2018 mit Real Madrid. Neben dem Fußballsta­r steht der silberne Henkelpott, und vor ihm schläft sein Sohn Leon.
FOTO: BROADVIEW PICTURE Eine Szene aus dem Dokumentar­film „Kroos“: Toni Kroos auf dem Rückflug nach dem gewonnen Champions-League-Finale 2018 mit Real Madrid. Neben dem Fußballsta­r steht der silberne Henkelpott, und vor ihm schläft sein Sohn Leon.
 ?? FOTO: DPA ?? Der Taktgeber im Mittelfeld von Real Madrid: Toni Kroos. Seit 2014 spielt der 29-Jährige bei den Königliche­n.
FOTO: DPA Der Taktgeber im Mittelfeld von Real Madrid: Toni Kroos. Seit 2014 spielt der 29-Jährige bei den Königliche­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany