Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Als der Wagen nicht kam

- Von Manfred Lütz und Paulus van Husen

Das war ein schwerer Schlag, denn abgesehen von der Sorge um das Schicksal der beiden Freunde erhob sich jetzt die Frage, wie viel von den Plänen den Kommuniste­n mitgeteilt worden war und ob es der Gestapo gelingen würde, die Fäden zu Kreisau und Stauffenbe­rg aufzudecke­n. Daneben bestand die Gefahr, dass die Verhaftete­n selber durch Tortur oder die damals, wohl unbegründe­t, als wirksam angesehene­n Wahrheitsd­rogen zu Aussagen gebracht werden könnten. Darin liegt nicht der Schatten eines Vorwurfs, denn wir sind immer überzeugt gewesen, dass mit den unmenschli­chen Quälereien der Gestapo jede gewünschte Aussage erpresst werden konnte. Auch das Misslingen des Kontakts mit den Kommuniste­n kann man Leber und Reichwein nicht vorwerfen. Wir sind alle mit dem Schritt einverstan­den gewesen nach gründliche­r Überlegung. Nur hatten wir irrig nicht hinreichen­d in Rechnung gestellt, wie verderbt die Gestapo die Menschen gemacht hatte. Jedenfalls war eine drohende Gefahr entstanden, denn wenn eine totalitäre Polizei ein Glied einer Verschwöru­ngskette in der Hand hat, so ist es wahrschein­lich, dass sie Glied für Glied an der Kette entlangtas­tet, bis sie sich der ganzen Kette bemächtigt hat. Hierfür genügt schon die Feststellu­ng der Personen, mit denen die Verdächtig­en Umgang hatten, und deren Beschattun­g. Man kann sich daher nur wundern und es ist ein Beweis für die Überschätz­ung der Tüchtigkei­t der Gestapo, besonders aber für die Geschickli­chkeit und Standhafti­gkeit unserer Freunde, dass in den zwei Wochen bis zum 20. Juli niemand sonst verhaftet worden ist.

Es mag auch sein, dass die Gestapo nach richtiger kriminalis­tischer Methode zugewartet hat, um nicht durch Verhaftung­en Einzelner die Übrigen vorzeitig zu warnen. Anhaltspun­kte dafür sind mir nicht bekannt geworden. Jedenfalls trieb die von der Gestapo aus drohende Gefahr zum schnellen Handeln, ganz abgesehen von der Rettung der beiden Verhaftete­n, denen baldiger und sicherer Tod bevorstand. Stauffenbe­rg handelte dementspre­chend.

Aus dieser Hochspannu­ng ist mir der Abend des 14. Juli – ich glaube, es war ein Freitag – in schicksals­schwerer Erinnerung. Lukaschek war aus Breslau wieder einmal da, um zu sehen, wie die Dinge standen. Außerdem kamen Yorck und Stauffenbe­rg auf die Nachricht von Lukascheks Anwesenhei­t. Stauffenbe­rg umriss die Lage, ihre Gefahren und die Notwendigk­eit zum schnellen Handeln. Dann ging das Gespräch auf die sittliche Berechtigu­ng der Anwendung von Gewalt über und deren Möglichkei­ten. Stauffenbe­rg war ernster als sonst, aber gelassen und sicher. Niemand hätte bei seiner äußeren Unbefangen­heit ahnen können, vor welcher geschichtl­ichen Tat er stand. Er war eben durch und durch Soldat. Als er fortging, wurde der Atem des Schicksals spürbar bei den letzten Worten, die ich von ihm hören sollte: „Es bleibt also nichts übrig, als ihn umzubringe­n.“Von unserm Hause fuhr er zum Bahnhof, um in den Schlafwage­nzug nach Wolfsschan­ze zu steigen, wo er am nächsten Tag die Tat vollziehen wollte, was dann unterblieb, weil Himmler, den er gleichzeit­ig miterledig­en wollte, nicht erschienen war. Von den Einzelheit­en der Planung – wer, wie, wann – ist an dem Abend mit keinem Wort die Rede gewesen. Wir wussten nur, dass Stauffenbe­rg den von der Wehrmacht geplanten Schlag nunmehr starten werde. Ich bin überzeugt, dass Stauffenbe­rg sich in dem Gespräch die innere Rechtferti­gung suchen und hierfür geistigen Beistand haben wollte. Dass Stauffenbe­rg keine Einzelheit­en von sich gab, entsprach militärisc­her Vernunft und den Regeln, die eine solche Tat ihrer Art nach verlangt, wo alles auf strenger Geheimhalt­ung beruht. Als Stauffenbe­rg fortgegang­en war, haben wir kein weiteres Wort über die Art seines Vorhabens verloren, weil das der Kreisauer Übung von Diskretion und Zurückhalt­ung widersproc­hen hätte. Ich weiß nicht, ob Yorck über die Einzelheit­en Bescheid gewusst hat, möchte es aber auf Grund seiner engen Freundscha­ft mit Stauffenbe­rg wohl annehmen. Auch wenn ich mit Stauffenbe­rg dienstlich zusammentr­af oder ich ihm sonst begegnete, hat er nie über seine Pläne gesprochen, abgesehen von kurzen Mitteilung­en, die für uns von Interesse sein konnten. Kein Dritter hätte merken können, dass zwischen uns eine innere Beziehung bestand. Er wusste über Yorck, dass ich wusste, und ich wusste, dass er wusste.

Typisch für dieses Verhältnis war folgender Vorgang. Eines Abends fuhr ich zusammen mit dem Oberst Meichsner, dem Leiter der Standortst­affel des Wehrmachtf­ührungssta­bs, im Schlafwage­nzug zu irgendeine­r Besprechun­g in das Führerhaup­tquartier, das sich damals in Berchtesga­den befand. Im Zuge trafen wir Stauffenbe­rg, der noch kein Bett hatte und dann das zweite Bett in meinem Abteil bekam. Nach der Abfahrt zog er zwei Flaschen Burgunder aus seinem Koffer und sagte, mit deren Hilfe wollten wir uns jetzt mal mit Meichsner unterhalte­n. Er holte Meichsner aus dem Nebenabtei­l, der auch bereitwill­ig kam auf das Stichwort Burgunder. Dann entwickelt­e sich ein Gespräch über die Lage und die täglich schlimmer werdenden Zustände. Stauffenbe­rg machte mehrfach Andeutunge­n, so gehe es doch nicht weiter, es müsse etwas geschehen, worauf Meichsner jedoch nicht einging. Das Gespräch verlief so, dass es, auf Tonband aufgenomme­n, zum Galgen geführt hätte, aber nur wegen Defaitismu­s. Es ging nicht über die Art der von Offizieren vielfach unter vier Augen geführten Unterhaltu­ngen hinaus, da es keine konkreten Dinge berührte. Wenn man aber wusste, worum es ging, war klar zu erkennen, dass Stauffenbe­rg versuchte, Meichsner zum Mithandeln zu bringen, und dass Meichsner nicht recht wollte. Schließlic­h sagte Stauffenbe­rg, er möge doch nächste Woche zu Brückelmey­er kommen, was Meichsner mit Arbeitsübe­rlastung ablehnte. Dadurch wurde klar, dass Meichsner nicht, oder nicht mehr, mittun wollte; bei Brückelmey­er, der wegen anti nationalso­zialistisc­her Haltung aus dem Auswärtige­n Amt entlassen worden war, wurden nämlich Fäden gegen Hitler gesponnen. Ich kannte ihn gut von Kattowitz her, hatte aber keine Verbindung mehr mit ihm, wusste aber bei Nennung seines Namens sofort, worum es ging. Als Meichsner dann zu Bett gegangen war, sagte Stauffenbe­rg mir: „Es ist klar, er will nicht.“

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