Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Neue Welten im alten Mühlenturm

Noch einmal vor seiner Sanierung ist das historisch­e Gebäude am Südwall zu einem Ort für Kunst geworden. Im Rahmen des Projekts „Home Street Home“hat ein Quartett dort fantastisc­he und farbenfroh­e Bilder gesprüht.

- VON MICHAEL KLATT

GELDERN Im nächsten Jahr wird der Mühlenturm saniert. Doch bevor die Substanz des mittelalte­rlichen Gemäuers am Südwall vor dem Zerfall gerettet wird, ist das Baudenkmal noch einmal zu einem Ort für die Kunst geworden.

Jaroslaw Masztalerz und Alex Weigandt, die sich als Duo „Tubuku“nennen, Steffen Mumm („Hoker One“) und Alessandro Althaus („Oldhaus“) haben mit ihren Graffiti neue Welten in das alte Gemäuer gesprüht. Im Rahmen des in vier Städten laufenden Projekts „Home Street Home“– außer in Geldern auch in Mönchengla­dbach, Krefeld und Neuss – hat das Quartett neben dem Monumental­bild am Haus Kapuziners­traße 27 mit der neuen Gestaltung des unter Denkmalsch­utz stehenden Turms ein weiteres Ausrufezei­chen der Straßenkun­st gesetzt. Wer ab heute die Möglichkei­t zur Besichtigu­ng nutzt, wird das historisch­e Zeugnis der ehemaligen Stadtbefes­tigung von innen kaum wiedererke­nnen. Statt des abblättern­den Putzes sind wahre Farbexplos­ionen zu sehen.

In der zweiten Etage hat sich ein südamerika­nischer Dschungel ausgebreit­et. Er wird bevölkert von einem Maya-König, Fotografen, einem bunten Vogel mit großen Augen und einem ganz besonderen Drachen. Masztalerz erzählt die Geschichte dazu: „Der Maya-König Apupapukad­upaeo sucht in seiner Verzweiflu­ng über die spanischen Invasoren Hilfe bei einem Schamanen im Amazonas-Dschungel. Es heißt, er sei im Besitz eines mächtigen Drachen, der den Kampf gegen die Invasoren beenden könnte. Leider ist der Schamane nur ein verrückter Vogel, und der Drache fällt in die Hände der Konquistad­oren. Über die Spanier gelangt der Drache nach Geldern.“

Und dort, so Weigandt, treibt das Ungeheuer sein Unwesen. Der Drache sei depressiv und habe im Mühlenturm angefangen, die Wände grau zu streichen. „Doch der dort lebende Turmgeist hatte keine Lust, die ganze Ewigkeit in so einer Atmosphäre zu verbringen. Da fiel ihm ein, dass Stimmung und Raum sehr viel von Farbe und Form beeinfluss­t werden.“So habe er vier Graffiti-Gipfelstür­mer gerufen, um den Drachen zu vertreiben und seinem Dasein eine farbenfroh­e Zukunft zu bescheren. Auf dem Bild in der dritten Etage sieht man eine Szenerie bei der Rückerober­ung vom Mühlenturm durch das Quartett.

Die vierte Etage ist geprägt von kalligrafi­schen Graffiti und verschiede­nen Köpfen, einen Engel und außerirdis­ch anmutenden Gesichtern. Laut Mumm gibt es bei dieser „wilden Symbiose“keinen direkten und bewussten Bezug zum Mühlenturm, „wobei mir dennoch bei solchen alten Objekten immer wieder dieselben Gedanken durch den Kopf gehen: Unglaublic­h wie lange dieses Objekt schon existiert“. Wie viele Umbrüche, Kriege, Veränderun­gen dieses Gebäude schon erlebt habe, „das ist für mich nicht so richtig zu greifen, da es so weit weg ist, und diese Diversität, findet sich auch in meiner Arbeit wieder“.

Die fünfte Etage ist bunt. Das Gesicht einer Frau, eine „chillende“ Spaydose, ein Drache, der von einer Spraydose gebändigt wird, und auch der Mühlengeis­t „Carlos Casamattas“sind dort zu finden. Althaus lässt die Frau hinterfrag­end, skeptisch und dennoch bewundernd auf die Malerei schauen. „Diese ist eine Symbiose aus historisch­en Legenden Gelderns und der Bildsprach­e der Oldhaussch­en Graffitiku­nst.“Der Künstler selbst entspanne im „Home Street Home“-Look“in einer ruhigen Ecke. Ein Schrei donnert durch das Fenster und stört die Ruhe. Klar erkennbar sind die Worte „yeah home street home“. Ein Fan steht vor der Tür und will Kunst im Turm bestaunen. Das ist an ausgewählt­en Tagen noch bis in den Dezember hinein möglich.

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FOTO: NIERSMANN Bei der Vernissage der Graffiti-Ausstellun­g im Mühlenturm erläuterte­n die Künstler ihre Bilder.

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