Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Kann Laschet Kanzler?

Der NRWMiniste­rpräsident steht unter Druck. Für seine mögliche Kanzlerkan­didatur braucht er mehr Regierungs­erfolge, als er bislang vorweisen kann.

- VON THOMAS REISENER

Noch ist Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) entspannt. Seine ersten Termine nach ein paar Tagen Urlaub am Bodensee waren Regierungs­routine: Er hat die Ruhrtrienn­ale eröffnet und ein paar Orden verliehen.

Aber an diesem Montag nimmt das NRW-Parlament die Arbeit wieder auf. Was jetzt auf den Frontmann der NRW-CDU zukommt, hat mit Routine nicht viel zu tun. Das Ende der Sommerpaus­e markiert den Auftakt seiner bislang wichtigste­n Bewährungs­probe, und das gesamte politische Deutschlan­d schaut ihm dabei zu. Die K-Frage nimmt Fahrt auf. Laschet wird hoch gehandelt. Und alle fragen sich: Kann er auch Kanzler?

Dass der 58-jährige Aachener neben Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Polit-Rückkehrer Friedrich Merz überhaupt gehandelt wird, ist bereits bemerkensw­ert. Vor wenigen Jahren hatte ihm seine eigene Partei nicht einmal den Fraktionsv­orsitz im Landtag zugetraut. Laschet zog 2017 als Verlegenhe­itskandida­t in den Landtagswa­hlkampf.

Aber mit dem Bezwingen der rot-grünen Vorgängerr­egierung im angebliche­n SPD-Stammland NRW, dem Schmieden der immer noch einzigen schwarz-gelben Koalition auf Landeseben­e und ein paar populären Sofort-Projekten wie der Abschaffun­g des Turbo-Abis und der Aufstockun­g der Polizei arbeitet Laschet sich in Rekordzeit in die erste Reihe der Bundes-CDU vor. Gezielt lässt er seine Staatskanz­lei Treffen mit Hochkaräte­rn aus dem Ausland arrangiere­n und inszeniert sich als Staatsmann. Mit Stil, wie selbst Opposition­spolitiker hinter vorgehalte­ner Hand zugeben. In Berlin zieht Laschet die innerparte­ilichen Strippen mit genau so viel Geräusch, dass alle Mächtigen es hören, und er pflegt seine Talkshow-Präsenz.

Das reicht aber nicht. Nach dem Wahlerfolg braucht Laschet im Rennen um das Kanzleramt auch Regierungs­erfolge, muss beweisen, dass er Wort hält. Genüsslich hält die Opposition in Düsseldorf ihm seine unerledigt­e Aufgabenli­ste vor: Was ist aus der im Koalitions­vertrag versproche­nen Entlastung der Bürger bei der Grunderwer­bssteuer geworden? Gar nichts. Obwohl die Landesregi­erung sie mit einem Federstric­h beschließe­n könnte. Warum stellt Schwarz-Gelb die im Koalitions­vertrag versproche­ne Abschaffun­g der Mietpreisb­remse wieder in Frage? Angeblich, weil plötzlich ein Gutachten darüber entscheide­n soll. Wann kommen die angekündig­ten Studiengeb­ühren für Ausländer? Dem Vernehmen nach nie. Was wurde aus dem versproche­nen Bürokratie­abbau? Erst einmal 421 zusätzlich­e Stellen in der Ministeria­lbürokrati­e. Und von der Öffnung des Polizeidie­nstes für Realschüle­r hört man auch nicht mehr viel.

Anfang des Jahres stellte sich in der Düsseldorf­er Staatskanz­lei Ernüchteru­ng ein: In einer Umfrage waren nur noch 37 Prozent der NRW-Bürger mit Laschets Arbeit zufrieden. Inzwischen haben sich seine Umfragewer­te wieder verbessert. Doch noch immer trommelt eine Phalanx von Volksbeweg­ungen gegen seine Politik: Von den Gegnern der Straßenbau­gebühren über die selbst ernannten Beschützer des Hambacher Waldes bis zu jenem mächtigen Bündnis für mehr günstigen Wohnraum, das auch große Teile des bürgerlich­en Lagers auf die Straße treibt. Laschet läuft die Zeit davon. Wie ist es um die fünf wichtigste­n Politikfel­der des Landes bestellt?

Sicherheit

Innenmnini­ster Herbert Reul (CDU) hat die Polizei personell verstärkt und ihr mehr Befugnisse verliehen. Und das sogar mit Zustimmung der Opposition. Ein politische­s Meisterstü­ck, denn neue Polizeiges­etze sind stets besonders umstritten­e Polit-Projekte. Gleichwohl fallen grobe polizeilic­he Fehler bei den Ermittlung­en im Missbrauch­sskandal von Lügde in Reuls Verantwort­ungsbereic­h. Ein Untersuchu­ngsausschu­ss im Landtag wird sich damit just dann beschäftig­en, wenn die Entscheidu­ng über die K-Frage in ihre heiße Phase kommt. Für Laschets Kanzleramb­itionen ist dieses Timing gefährlich: Das Skandalpot­enzial ist auch für die Bundesbühn­e groß genug.

Schulen

Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) hat das ungeliebte Turbo-Abi abgeschaff­t und kämpft glaubwürdi­g gegen den Lehrermang­el an: mit einem zeitgemäße­n Quereinste­iger-Konzept und zusätzlich­en Ausbildung­splätzen. Auf die Füße fallen könnte ihr, dass sie den Grundschul­lehrern eine Anpassung ihrer Gehälter an das der Kollegen der weiterführ­enden Schulen in Aussicht gestellt hat. Manche wollen sogar eine „Zusage“gehört haben. Die Angleichun­g würde über 400 Millionen Euro pro Jahr kosten. Das gibt der Landeshaus­halt nicht her. Gebauer hat kein Konzept, um den Streit zu schlichten. Das braucht sie aber dringend. Denn Massendemo­nstratione­n unzufriede­ner Grundschul­lehrer kann Laschet sich jetzt nicht leisten.

Finanzen

Dass Schwarz-Gelb ungewöhnli­ch harmonisch regieren kann, verdankt die Koalition prall gefüllten Kassen. Bislang konnte Finanzmini­ster Lutz Lienenkämp­er (CDU, Spitzname „Lucky Lutz“) mehr Geld als jeder seiner Vorgänger ausgeben. Zusätzlich­e Lehrer, Polizisten, Kindergärt­ner und mehr Geld für Kultur – alles kein Problem. Aber kurz vor der Sommerpaus­e räumte Lienenkämp­er ein: Für die Schuldenti­lgung ist trotzdem kein Geld mehr da. Das Missverhäl­tnis von Spardiszip­lin und Rekordeinn­ahmen ist so offensicht­lich, dass es an Laschets bürgerlich­em Markenkern kratzt.

Umwelt

Längst hat auch Laschet verstanden, dass die Umweltpoli­tik in Zeiten der Friday-Bewegung Wahlen entscheide­n kann. Er hat sich ein Elektroaut­o gekauft und besucht neuerdings Artenschut­zkonferenz­en. Vor allem hat er den Ausstieg des Landes aus der Kohleverst­romung eingeleite­t. Ein historisch­er Schritt, zumal für ein Industriel­and wie NRW, den Laschet mit einem kunstvolle­n Geflecht an Ausgleichs­maßnahmen vorbereite­t hat. In der öffentlich­en Wahrnehmun­g dominiert aber wohl seine Rolle im Streit um den Hambacher Forst. Laschet hatte die Rodung vorbereite­n lassen. Zwar setzte er lediglich eine Beschlussl­age der rot-grünen Vorgängerr­egierung um. Aber ob diese Fußnote in hitzigen Wahlkampfz­eiten gelesen wird? Und was macht eigentlich Umweltmini­sterin Ursula Heinen Esser? Ein Leuchtturm-Projekt wie ihr Vorgänger Johannes Remmel (Grüne), der das bundesweit erste Klimaschut­zgesetz durch den Landtag boxte, hat sie jedenfalls noch nicht.

Wohnen

Der dramatisch­e Mangel an günstigem Wohnraum in fast allen Ballungsge­bieten des Landes treibt die Mieten in die Höhe und zunehmend auch die Menschen auf die Straße. Zwar steigt die Zahl der Baugenehmi­gungen in NRW wieder an. Aber der Neubau von Sozialwohn­ungen, auf die in Städten wie Düsseldorf oder Köln inzwischen jeder Zweite Anspruch hat, ist rückläufig. In den Ballungsrä­umen rückt die Normalisie­rung der Mietpreise in immer weitere Ferne. Zugleich bringt die Landesregi­erung die Eigentümer gegen sich auf, die mit fast einer halben Million Unterschri­ften die Abschaffun­g der Straßenbau­beiträge eingeforde­rt haben. Die Landesregi­erung hält daran aber fest. Der Häuserkamp­f in NRW entlädt sich in immer neuen Bürgerinit­iativen und Demonstrat­ionen. Die Landesregi­erung hat kaum Antworten darauf - schon gar keine, die Laschet schnelle Erfolge bescheren könnten.

Fazit: Nach beachtlich­en Anfangserf­olgen hat Laschets Landesregi­erung an Schwung verloren. Bislang wurde seine Regierung vor allem von üppigen Mehrausgab­en getragen. Wenn jetzt aber Konjunktur und Steuereinn­ahmen wie erwartet wegbrechen, muss der fröhliche Rheinlände­r inmitten der Debatte um seine mögliche Kanzlerkan­didatur ausgerechn­et das machen, was er am wenigsten kann: sparen.

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