Rheinische Post - Geldern an Kevelaer
Es gibt kein Zurück ins Paradies der Kindheit
In unserer Serie widmen wir uns heute dem Genre, das sich mit der Ungewissheit des Erwachsenwerdens beschäftigt.
DÜSSELDORF Irgendwann, meistens so um den 13. Geburtstag herum, merkt man, dass etwas anders ist. Das Leben fühlt sich komisch an, man weiß auch nicht so recht; es ist in dieser Zeit viel „irgendwie“und auch viel „ach“. Das ist eine Phase der gesteigerten Empfindsamkeit, man ist verletzlicher, aber auch empfangsbereiter. Und vielleicht ist das so, weil einem dämmert, dass man dabei ist, etwas zu verlieren und von etwas ausgeschlossen zu werden. Tatsächlich schließt das Paradies der Kindheit hinter einem seine Tore, ein Paradies, das man nun erst als solches zu begreifen lernt. Und das Drama dieses Transitzustandes ist die harte Wahrheit des Erwachsenseins: Es gibt kein Zurück. Das Verlustgefühl wird sich als Wehmut getarnt durch das gesamte restliche Leben ziehen.
„Coming of Age“heißt das Genre, das sich mit einem Zustand beschäftigt, für den es im Deutschen nur bescheuerte Begriffe gibt: Pubertät, Adoleszenz, Heranwachsen. Es geht in diesen Büchern, Filmen und Kunstwerken um die erste Liebe und das erste Mal weg von zuhause, es geht um den Kloß im Hals und die Faust auf der Brust. Holden Caulfield ist so etwas wie der Märtyrer dieses Milieus: Die Hauptfigur aus J.D. Salingers Buch „Der Fänger im Roggen“ist 16 und allein in Manhattan, und er muss erfahren, dass New York eine Stadt ist, die mehr Einwohner als Menschen hat. Die andere Heilige des Coming Of Age ist Andie Walsh, die von Molly Ringwald gespielte Hauptfigur des Films „Pretty In Pink“. Vielleicht müsste mal jemand einen Roman schreiben, in dem Holden und Andie heiraten; deren Kinder hätten dann bestimmt die schönste Pubertät von allen.
Gute Coming-of-Age-Kunstwerke nehmen ihre Helden ernst, und sie verwechseln Wehmut nicht mit Nostalgie. Ihre Urheber wissen, dass man in jenen Jahren keine Ratschläge braucht, sondern Gemeinschaft und Geistesverwandtschaft. Man sehnt sich nach Gefährten, und was einem da an Gutem widerfährt, trägt man für immer mit sich herum. Deshalb ist zum Beispiel eine Band, die man mit 13 lieben lernt, auf ewig eine besondere Band.
Haruki Murakami versteht das Coming of Age, John Green auch, Stephen King und Stephen Spielberg ebenfalls und natürlich der große Filmemacher John Hughes. Dieses Gefühl ist nur schwer zu beschreiben, Coming of Age ist reine Atmosphäre, Gestimmtheit bloß, Spannung. Einer Band ist es indes gelungen, das Abstrakte zu vertonen, einen klanglichen Ausdruck für die schwebende Melancholie zu finden. Die Rede ist von den Beatles, „Norwegian Wood“heißt das Lied: „And when I awoke I was alone / This bird had flown.“