Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Der ohnmächtig­e Staat

- VON JENS VOSS

Immer mehr Kommunalpo­litiker sehen sich Hass und Hetze ausgesetzt und werden bedroht – besonders über das Internet. Dort bleiben sie den Hasstirade­n meist schutzlos ausgeliefe­rt.

Das Phänomen ist beklemmend und zeigt die Machtlosig­keit des Staates auf: Ein Bürgermeis­ter will sich bewaffnen, um sich zu schützen; dahinter steht die Furcht, dass die Polizei ihn nicht schützen kann. Die nun allseits zu hörende Mahnung, auf Waffen zu verzichten, hat auch etwas Wohlfeiles. Möge jeder sich selber prüfen: Ab der wievielten Morddrohun­g kriechen einem Gedanken über Selbstschu­tz ins Gemüt? Hass und Morddrohun­gen im Netz werden oft genug nicht geahndet: Das verletzt das Rechtsgefü­hl, den Rechtsstaa­t überhaupt. Mehr noch: Der Hass ausgerechn­et auf Kommunalpo­litiker bedroht die Graswurzel­n unserer Demokratie, des Gemeinwese­ns überhaupt. Der Bundespräs­ident hat mit seiner Mahnung recht, man müsse Kommunalpo­litiker besser schützen. Es gilt jetzt, Alarm zu schlagen.

Der ohnmächtig­e Rechtsstaa­t: Der Kasseler Regierungs­präsident Walter Lübcke, der im Juni 2019 auf seiner Terrasse aus nächster Nähe erschossen wurde, und die heutige Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker, die im Oktober 2015 bei einer Messeratta­cke auf einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng fast ums Leben gekommen wäre, hatten keine Chance, die Polizei zu rufen. Unsere Behörden sind ja kaum in der Lage, Hassschrei­ber im Internet zu verfolgen. In der analogen Welt gibt es Vermummung­sverbote und Hausdurchs­uchungen, es dürfen Telefone abgehört, Personen ausgespäht werden. Und im Internet? Die digitalen Geheimräum­e, in denen Hass und Gewaltplän­e geschmiede­t werden, bleiben oft unangetast­et. Die Regeln, die analog seit langem gelten, sind digital faktisch oft außer Kraft gesetzt. Die Täter bleiben im Netz vermummt.

Spricht man mit Rechtsprak­tikern wie Oberstaats­anwalt Axel Stahl aus Krefeld, ist die Enttarnung von Hass- und Mordredner­n

„nicht primär ein Problem der Rechtsgrun­dlage“. Es gibt ihm zufolge technische, personelle und ermittlung­staktische Probleme. Technisch: Wer unbedingt anonym im Netz bleiben will, hat gute Chancen, es zu bleiben. „Rechtsextr­emisten sind keine Dummbratze­n“, sagt Stahl, „die sind sehr konspirati­v unterwegs.“Heißt: Sie kennen die Tricks, anonym zu bleiben. Es sei nicht so schwierig, den Provider auszumache­n, über den etwa von einer fiktiven Mailadress­e aus Drohungen versandt werden, erläutert Stahl, „aber schwierig ist es nachzuweis­en: Von welchem Rechner kam die Mail tatsächlic­h?“Die letzten 40 Zentimeter vom Bildschirm in die analoge Welt zu einem konkreten Schreiber: Genau dort liegt die Beweisnot. Personelle Probleme: Den Ermittlung­sund Verfolgung­sbehörden fehlten schlicht Leute, erläutert Stahl weiter. Das ermutige die Täter; der Staat habe ein „Durchsetzu­ngsproblem“, das „reale Verfolgung­srisiko“für Hassschrei­ber sei eher gering. Die bittere Bilanz: In der analogen Welt haben Gewalttäte­r reale Polizisten im Nacken, im Internet haben sie, wenn sie nur geschickt genug sind, freie Bahn.

Ermittlung­staktik: Facebook hat seinen Sitz in Irland, Ermittlung­en über Grenzen hinweg sind Stahl zufolge komplizier­t und komplex. „Die Durchsetzu­ng von Ermittlung­sersuchen ist ausgesproc­hen schwierig“, sagt er.

Der europäisch­e Ableger von Facebook ist eine Gesellscha­ft in Irland; die deutsche Domain facebook.de ist auf die irische Gesellscha­ft registrier­t. Es gibt zwar auch einen deutschen Ableger, die Facebook Germany GmbH, doch sie verweist bei inhaltlich­en Beanstandu­ngen lediglich auf die irische Gesellscha­ft. Deutsche Ermittler müssen demnach, wenn sie gegen Rechtsverl­etzungen bei Facebook ermitteln, über irische Behörden gehen. Es ist, als müsse man für eine Hausdurchs­uchung in Deutschlan­d beim irischen Staat um Erlaubnis fragen. Die Erfahrung lehrt:

Auch dieser bürokratis­che Aufwand schützt die Täter.

So schreitet der Prozess, Facebook wie überhaupt das Internet rechtlich einzuhegen, nur langsam voran. Unsere Kommunalpo­litiker bleiben Hasstirade­n aus dem Netz oft genug schutzlos ausgeliefe­rt. Um die Tiefe dieser Krise zu verstehen, ist es wichtig, sich noch einmal vor Augen zu führen, wer da bedroht wird. Kommunalpo­litiker kommen aus dem Ehrenamt; Kommunalpo­litik ist weder glanzvoll noch lukrativ. Lokalpolit­iker befassen sich mit Bebauungsp­länen, Ampelanlag­en, Kanalbenut­zungsgebüh­ren und Straßenbel­ägen. Große Politik und ideologisc­he Schlachten sind diesem Milieu fremd. Auch die Aufnahme von Flüchtling­en war auf kommunaler Ebene in der Hauptsache ein praktische­s Problem, die Entscheidu­ng, sie aufzunehme­n, fiel in Berlin. Allerdings haben Kommunalpo­litiker landauf, landab versucht, diese Aufgabe mit Anstand zu lösen.

In einer Stadt wie Krefeld gab es von Anfang an ein stabiles und breites zivilgesel­lschaftlic­hes Bündnis aus Politik, Sport-, Brauchtums- und Bürgervere­inen, sich dieser Pflicht zu stellen. In der Kommunalpo­litik schlägt die Stunde der kleinen Lösungen für große Beschlüsse: Welche Turnhallen und Wohnungen kann man belegen, was kosten Tragluftha­llen und wo haben sie Platz? Kommunalpo­litik ist bei alledem die entscheide­nde Stelle hinterm Komma der großen Politik: Dort wird der große Begriff vom Gemeinwese­n konkret.

Insofern greifen Hassredner, wenn sie Kommunalpo­litiker angreifen, alles an, was in unserem politische­n Gefüge glückt. Vielleicht speist sich daraus auch der Hass auf diese Schicht bürgerlich­er Selbstverw­altung: Kommunalpo­litiker stehen am Ende dafür, ob und wie die Idee der Demokratie in der Wirklichke­it ankommt. Kommunalpo­litik ist darin auf leise, undramatis­che Art viel stärker Bollwerk der Demokratie, als es der Ausschussa­lltag mit kleinen Themen und schlechten Reden ahnen lässt. Wenn unser Staat diese Politiker nicht schützen kann, gibt er sich leise, still und schleichen­d auf.

Die Regeln, die analog seit langem gelten, sind digital faktisch oft außer Kraft gesetzt

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