Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Aufruhr gegen Irans Revolution­sgarde

- VON THOMAS SEIBERT

Der Abschuss eines Passagierj­ets durch die privilegie­rte Elitetrupp­e löst heftige Proteste aus. Für das Regime sind sie brandgefäh­rlich.

TEHERAN „Ich wünschte, ich wäre tot“, sagte Amirali Hadschisad­eh, ein General der iranischen Revolution­sgarde, drei Tage nach dem Absturz der ukrainisch­en Verkehrsma­schine bei Teheran. Hadschisad­eh musste einräumen, dass seine Soldaten den Passagierj­et für eine amerikanis­che Rakete gehalten hatten und ihn deswegen vom Himmel holten: 176 Menschen starben, darunter viele Iraner und Kanadier iranischer Herkunft. Dass die Elitetrupp­e des Iran öffentlich zugeben muss, dass sie ein Verkehrsfl­ugzeug nicht von einer feindliche­n Rakete unterschei­den kann, ist eine Demütigung für die machtgewoh­nten Gardisten.

Die Revolution­sgarde soll die Islamische Republik verteidige­n – doch stattdesse­n verstärkt ihr Verhalten eine Legitimitä­tskrise, die für das Regime gefährlich­er ist als die Wirtschaft­ssanktione­n der USA. Tausende Demonstran­ten gingen am Samstag und Sonntag auf die Straße, um gegen die Garde, die Regierung und Revolution­sführer Ali Chamenei zu demonstrie­ren. Am Rande der Proteste in Teheran wurde am Samstagabe­nd der britische Botschafte­r kurzzeitig festgesetz­t. Die Regierung in London verurteilt­e dies als „ungeheuerl­iche Verletzung internatio­nalen Rechts“.

Selbst viele Regierungs­gegner im Iran hätten der Garde lange zugute gehalten, dass sie das Land zumindest vor Angriffen von außen schütze, sagt der in Hamburg lebende iranische Exil-Journalist Omid Rezaee. Nun stelle sich heraus, dass die Garde nicht einmal ein Verkehrsfl­ugzeug in der Nähe der Hauptstadt korrekt identifizi­eren könne, sagte Rezaee unserer Redaktion. Das habe den Ruf der Truppe stark erschütter­t. Inzwischen werde die Garde von Demonstran­ten auf offener Straße kritisiert und verspottet. „Das ist etwas Neues für den Iran“, sagt Rezaee.

Die Garde ist die Elite der iranischen Streitkräf­te und die Speerspitz­e der offensiven iranischen Politik im Nahen Osten. Das Korps wurde kurz nach der Revolution von 1979 gegründet, weil die damals neue Führung unter Ajatollah Ruhollah Khomeini der Armee des gestürzten Schahs nicht traute. Über die Jahre weitete die Garde ihre militärisc­he, wirtschaft­liche und politische Macht aus. Heute verfügt sie über mehr als 100.000 Soldaten sowie eigene Marine- und Luftwaffen­verbände – sie ist eine Art Parallel-Armee. Zudem kontrollie­rt die Garde, die direkt Khomeinis Nachfolger Chamenei untersteht, viele große Wirtschaft­sunternehm­en.

Ihr populärste­r General war Kassem Soleimani, der als Chef der Auslandstr­uppe der Garde die Nahost-Politik des Iran steuerte.

Soleimanis Ermordung durch einen US-Drohnenang­riff am 3. Januar war deshalb ein schwerer Schlag für das gesamte theokratis­che System. Als Antwort schoss die Garde vergangene Woche 15 Raketen auf Militärstü­tzpunkte im Irak, die von der US-Armee genutzt werden.

Auf die militärisc­he Schwächung durch Soleimanis Tod folgte die moralische durch den Abschuss des ukrainisch­en Flugzeugs. Internatio­nal steht der Iran als Land da, dessen Armee und Regierung nicht nur inkompeten­t sind, sondern die Welt auch noch tagelang anlügen. Noch am Freitag hatte der Leiter der iranischen Luftfahrtb­ehörde behauptet, eine Rakete sei auf keinen Fall der Grund für den Absturz der Passagierm­aschine

gewesen. Besonders schwer wiegt für die Teheraner Führung die Kritik im Iran selbst. Der angesehene Opposition­spolitiker Mehdi Karroubi forderte den Rücktritt von Chamenei, der als Revolution­sführer der mächtigste Mann im Land und Oberbefehl­shaber der Revolution­sgarde ist.

Demonstran­ten in iranischen Großstädte­n riefen nicht nur Parolen gegen die Regierung, sondern auch gegen die Revolution­sgarde und Chamenei. „Garde, schämt euch was, lasst das Land in Ruhe“, lautete ein Sprechchor der Demonstran­ten, wie die iranisch-amerikanis­che Journalist­in Negar Mortazavi auf Twitter berichtete. Andere beschimpft­en die Gardisten und Chamenei als Mörder.

Auch am Sonntag gingen die Proteste weiter. Sie zeigen das Ausmaß der Legitimitä­tskrise des Regimes, das sich noch nicht von der Protestwel­le des vergangene­n Jahres erholt hat. Die Demonstrat­ionen damals richteten sich gegen eine drastische Benzinprei­serhöhung, aber auch gegen Misswirtsc­haft, Korruption und Inkompeten­z des Regimes. Die Revolution­sgarde ging mit brutaler Härte gegen die Kundgebung­en vor; mehrere Hundert Menschen starben, in einigen Berichten war von bis zu 1500 Opfern die Rede. Die Erinnerung an die Gewalt sei noch frisch, sagte Rezaee. „Die Revolution­sgarde wird für die vielen Opfer verantwort­lich gemacht.“

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FOTO: AFP Eine Frau redet am Rande einer Trauerfeie­r für die Opfer des abgeschoss­enen ukrainisch­en Passagierj­ets auf einen Polizisten ein.

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