Rheinische Post - Geldern an Kevelaer

Ballett am Rhein tanzt nach Island

Im neuen Abend „b.42“erweckt der Co-Direktor der Kompanie, Remus Sucheana, in Duisburg steinige Landschaft­en zum Leben.

- VON DOROTHEE KRINGS

DUISBURG Eine Magierin schleicht über ein Feld aus Geröll, im Hintergrun­d eine Hecke aus Zweigen, kahl und krumm wie Krallen. Die Tänzerin bewegt sich geduckt, als lauere Gefahr. Da erwachen die geronnenen Lavabrocke­n zum Leben. Im Halbdunkel hatten Tänzer mit gekrümmtem Rücken am Boden gehockt. Jetzt strecken sie die Glieder, finden in synchrone Bewegungen, deren Impulse aus der Umgebung zu kommen scheinen. Da setzt auch die Musik ein: Zwielichti­ge Klänge steigen wie Nebelschwa­den aus dem Orchester und verdichten sich zu neuen Klangfarbe­n. Bis von drei Plateaus, die hoch über den Tänzer hängen, das Schlagwerk einsetzt und rhythmisch­e Konturen aus dem Klangnebel hervortrei­bt.

Der Co-Direktor des Balletts am Rhein, Remus Sucheana, hat sich für „Symphonic Poem“von zeitgenöss­ischer Musik von Anna Thorvaldsd­ottir anregen lassen und greift Landschaft­sbilder aus ihrer Heimat Island auf. Bei der Uraufführu­ng seiner Choreograf­ie beim Abend „b.42“im Theater Duisburg bewegen sich seine Tänzer nicht nur durch schroffe Permafrost-Gefilde, sie scheinen selbst Teil der vergletsch­erten Landschaft zu sein. So hat ihr Tanz zunächst etwas Erdenschwe­res,

Mythisches, als beobachte man Fabelwesen aus einem Vulkanreic­h. Im Kontrast dazu stehen die Kostüme von Mylla Ek. Die Schwedin lässt die Männer in schlichten Kutten auftreten, die Frauen dagegen tragen raffiniert­e Oberteile mit steifen Riesenärme­ln und extravagan­ten Kopfputz. Eine eigenwilli­ge Haute Couture, die für ein anderes Stück entworfen scheint. Gegen Ende erblüht aus den atonalen Klängen eine Melodie, die Rhythmen fügen sich, und Sucheana lässt mit viel Gespür für die Entwicklun­gslinien der Musik das gesamte Ensemble tanzen – in Harmonie vereint. Da hat auf einmal der Tanz die Oberhand, tritt hervor aus dem Übermaß an optischen Effekten, in der sich Sucheanas Choreograf­ie zuvor verlor.

Begonnen hatte der Abend höchst virtuos mit einer Feier des Neoklassis­chen Balletts, mit den „Square Dance“von George Balanchine. Die 1957 uraufgefüh­rte Arbeit stellt höchste Ansprüche an die Kompanie, sie verlangt Schnelligk­eit vor allem in der Beinarbeit bei perfekter Synchronit­ät. Alles muss leicht, duftig, heiter wirken, unbefangen wie ein Spiel mit goldenen Bällen, und ist so durchsicht­ig gebaut, dass keine Ungenauigk­eit verborgen bleibt. Der große Reiz liegt in Balanchine­s Kunst, durch klassische Stücke moderne Tanzsprach­en schimmern zu lassen. Zu Musik von Vivaldi und Corelli zeigen die Tänzer Figuren von großer Anmut, folgen zugleich in der rechteckig­en Anordnung der Paare und der munteren Abfolge der Tänze dem „Square Dance“-Prinzip. Balanchine, der in Russland ausgebilde­t wurde und 1924 in den Westen floh, verwob so den Volkstanz seiner neuen Heimat USA mit dem Ideal purer Schönheit und klassische­r Transparen­z.

Die Duisburger Philharmon­iker unter Martin Braun müssen weite Sprünge durch die Epochen meistern. Die Klangforma­tionen der Uraufführu­ng gestalten sie vielfarbig, die Barockmusi­k virtuos, wenn auch die vier Geigensoli­sten, die bei Balanchine verlangt sind, keine einheitlic­he Klangsprac­he sprechen. Zur Wiederaufn­ahme von Martin Schläpfers „Reformatio­nssymphoni­e“ist das Orchester bei Mendelssoh­n Bartholdy mit seinen majestätis­chen Fanfaren und komplexen Chorälen in seinem Element.

2008 hat Martin Schläpfer seine Choreograf­ie zu dem hintergrün­digen Werk für das Ballett Mainz geschaffen. 2010 studierte er es mit dem Ballett am Rhein für den Abend „b.03“ein. Nun lag die Wiederaufn­ahme in Händen seiner Ballettmei­sterinnen Kerstin Feig und Julie Thirault, die bis 2018 noch Tänzerin der Kompanie war. Die Wiederbege­gnung

mit Schläpfers Arbeit ist beglückend, ist sie doch mit hoher Sensibilit­ät aus der Musik gewonnen, erzählt aber mit Klarheit eigene Geschichte­n vom Glauben und Zweifeln, von der Einfühlsam­keit und der Unerbittli­chkeit des Tanzes. Wie in späteren Arbeiten spielt Schläpfer mit dem Einsatz des Spitzensch­uhs, der den Tänzerinne­n abgehobene Leichtigke­it verleiht, aber auch Ausdruck von Aggression und Abwehr sein kann.

Mit der Wiederaufn­ahme läutet Schläpfer seinen Abschied vom Ballett am Rhein an. Was einst frisch von ihm geformt wurde, muss nun als Repertoire gepflegt werden. Die Arbeit hat sich schon verändert, wie sich die Kompanie verändert hat. So erzählt diese Choreograf­ie in der Wiederbege­gnung auch vom Fortschrei­ten der Zeit und weckt eine hübsche Wehmut.

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FOTO: GERT WEIGELT Szene aus „Symphonic Poem“von Remus Sucheana.

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